27.04.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 166 / Zusatzpunkt 1

Sevim DağdelenDIE LINKE - Aktuelle Stunde zum Umgang mit der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Bundesregierung! Die willfährige Haltung der deutschen Bundeskanzlerin, die bei dieser wichtigen Debatte heute schon wieder nicht anwesend ist – wahrscheinlich eröffnet sie gerade ein neues EU-Beitrittskapitel für die Türkei –,

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Bloß nicht!)

gegenüber dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan hat verheerende Konsequenzen. Erdogan und das AKP‑Re­gime fühlen sich nämlich durch den schmutzigen EU-Türkei-Flüchtlingsdeal regelrecht ermutigt, immer härter gegen Kritiker im Inland, aber zunehmend auch im Ausland vorzugehen.

Für all das, was wir jetzt erleben – von den Forderungen des türkischen Parlamentspräsidenten nach einem Gottesstaat in der Türkei bis hin zu den Einreiseverboten für ausländische Journalisten –, trägt diese Bundesregierung eine Mitverantwortung.

(Beifall bei der LINKEN)

Kanzlerin Merkel und ihr Vize Gabriel machen Erdogan nämlich durch ihre beständige Zusammenarbeit stark. Während in Ankara eine Mörderbande regiert, die Journalisten wie Can Dündar verfolgen lässt, weil diese Waffenlieferungen an islamistische Gotteskrieger in Syrien durch den türkischen Geheimdienst aufgedeckt haben, hält es die Bundeskanzlerin nicht einmal für nötig, auch nur zu erwägen, sich mit verfolgten Journalisten in der Türkei zu treffen. Ich finde, das ist ein Armutszeugnis für eine Bundesregierung und für eine Bundeskanzlerin, die sich als Kanzlerin der freien Welt feiern lässt.

(Beifall bei der LINKEN)

Gehört es eigentlich zum guten Ton, wenn ein ­NATO-Land oder EU-Beitrittskandidat wie die Türkei Waffen an islamistische Mörderbanden in Syrien liefert, mit denen dann schlimmste Kriegsverbrechen begangen werden? Was diese Bundesregierung in puncto Türkei abliefert, ist wirklich zum Fremdschämen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie machen sich an den Verbrechen Erdogans mitschuldig, und Sie ermutigen ihn tagtäglich, noch dreister vorzugehen. Wenn Sie noch einen Funken Anstand hätten, dann würden Sie dieses unwürdige Schauspiel beenden. Ich meine damit: tatsächlich beenden. Es geht nicht nur darum, öffentlich Haltung zu zeigen – und noch nicht einmal dazu ist die Bundesregierung imstande –, sondern auch darum, Konsequenzen zu ziehen. Wo sind denn die Konsequenzen angesichts der Verbrechen gegen die Zivilgesellschaft in der Türkei durch das AKP-Regime? Die polizeiliche, militärische und geheimdienstliche Kooperation wird überhaupt nicht angetastet, nicht einmal vor dem Hintergrund, den ich gerade erwähnt habe, nämlich dass islamistische Mörderbanden durch die türkische Regierung weiter bewaffnet werden. Sie ziehen noch nicht einmal einen Waffenexportstopp in Erwägung, wie er 1992 unter Bundeskanzler Kohl und Außenminister Genscher angesichts eines Massakers in Cizre durch die türkische Regierung und das Militär an den Kurden möglich war. Nicht einmal dazu sind Sie fähig.

(Beifall bei der LINKEN)

Weil die SPD offensichtlich sehr enge Verbindungen zu der Rüstungsindustrie hat, darf es keinen Waffenexportstopp geben. Ich finde, das ist eine moralische Bankrotterklärung in der Außenpolitik dieser Bundesregierung.

(Beifall bei der LINKEN)

Man sieht das auch im Vergleich mit anderen Staaten. Während die Stadt Genf sich dem widerlichen Ansinnen des Despoten Erdogan verweigert, die Meinungsfreiheit zu schleifen, kriecht die Bundesregierung zu Kreuze. Während die Genfer sie mit einem Löwenherz verteidigen, gibt es bei der Bundesregierung nur Duckmäusertum und eine Vorverurteilung eines Satirikers durch die Bundeskanzlerin höchstpersönlich. Ich wünschte mir mehr Genf in Berlin als die Bundeskanzlerin und das Außenministerium.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen hier Position beziehen und eine klare Haltung nicht nur gegenüber der Zivilgesellschaft, den verfolgten Kurden, den verfolgten Aleviten, den verfolgten Armeniern oder den verfolgten Journalisten und Gewerkschaftern in der Türkei einnehmen. Vielmehr müssen wir sogar – dazu hat uns diese Bundesregierung gebracht – unsere verfassungsmäßigen Grundwerte und Grundrechte verteidigen, weil Sie in den letzten Jahren Dialog mit Unterwerfung verwechselt haben. Wir brauchen einen Dialog mit der Türkei. Aber wir brauchen keine Unterwürfigkeit, kein Duckmäusertum, keine ständigen Bücklinge in Ankara, die der Zivilgesellschaft in der Türkei mehr schaden als helfen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Kollege Martin Dörmann hat für die SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6789270
Wahlperiode 18
Sitzung 166
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zum Umgang mit der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei
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