Michelle MünteferingSPD - Aktuelle Stunde zum Umgang mit der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal muss ich hier feststellen, dass es hier um mehr geht als um das Abklopfen politischer Nähe zwischen den Fraktionen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn die Pressefreiheit das „Brot der Demokratie“ ist, wie es der Journalist Heribert Prantl einmal formuliert hat, dann sieht die Welt ganz schön mager aus, und das ist kein gutes Zeichen für den Zustand unserer Gesellschaften. Ungefährdet ist Demokratie nie, und das gilt auch für die Türkei.
Ja, wir beobachten mit Sorge die Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit. Diese Beobachtung und die damit verbundene Sorge sind ganz konkret. Wir haben im Laufe dieser Debatte zahlreiche Beispiele und Berichte auch aus persönlichen Begegnungen gehört: über Beschlagnahmungen von Zeitungstiteln oder Verlagen, über Sperrungen von Internetseiten, über Verhaftungen von Wissenschaftlern, über Interventionen und Einreiseverbote. Mittlerweile trifft es auch deutsche Journalisten. Das alles macht die aktuelle und intensive Zusammenarbeit in der Flüchtlingsfrage sicher nicht einfacher. Im Gegenteil: Die Reaktionen des türkischen Staatspräsidenten erschweren sie. Pressefreiheit und Meinungsfreiheit, das sind keine deutschen Werte, keine türkischen Werte; es sind gewachsene internationale, universelle Werte. Wir müssen sie immer wieder neu einfordern, schützen und pflegen. Ich bin der festen Überzeugung, dass das unsere Orientierung in der internationalen Politik sein muss, die wir nicht verlieren dürfen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das Auswärtige Amt hat seine Erwartungen gegenüber der Türkei klar formuliert. Frank-Walter Steinmeier hat sich mit Vertretern der Opposition getroffen. Das hätten wir übrigens auch der Bundeskanzlerin empfohlen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Kollegin Dorothee Schlegel hat vorhin schon unsere politischen Positionen dargestellt. Ich will noch hinzufügen: Die EU könnte ein Monitoring mit dem UNHCR für die Einhaltung von Menschenrechten bei der Zusammenarbeit zur Bewältigung der Flüchtlingskrise einsetzen. Das wäre einmal eine Initiative, die zeigte, dass unsere Werte nicht nur auf dem Papier, sondern eben auch im Alltag, auch dann, wenn es schwierig wird, bestehen. Auch die Öffnung der Kapitel über Menschenrechte und Justiz wäre ein Hebel, mit dem sich die Belastbarkeit unserer Beziehungen prüfen ließe.
Lassen Sie mich erwähnen, was in der Türkei und auch bei vielen Deutschtürken von der Diskussion ankommt – denn auch das ist ein Teil der Wahrheit –: oft nur wenige, zugespitzte Worte. Das sollten wir wissen, wenn wir uns wundern, warum ein Teil der Türkinnen und Türken gekränkt auf Kritik reagiert. Viele sind verletzt ob der teilweise auch ausfälligen Bemerkungen. Vielfach werden sie nicht als Kritik am Staatspräsidenten und seiner Führung verstanden, sondern an allen Türken. Wenn wir genau hinsehen, stellen wir fest: An vielen Stellen im Internet sind diese Bemerkungen eben auch keine Satire, keine Kunst, sondern Hetze, auch von rechts.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Um dagegen vorzugehen, gibt es in der Tat Gerichte – weil Demokratie Verantwortung braucht, weil Freiheit Grenzen hat, weil der Staat seine Bürger schützen muss. Gerichte sind aber nicht dazu da, um sie politischer Einmischung zu unterziehen oder gar zu instrumentalisieren. In der Demokratie gilt der Satz von Voltaire: Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen.
Besonders für die Freunde der Türkei ist die aktuelle Entwicklung niederschmetternd; denn die deutsch-türkischen Beziehungen sind für viele von uns nicht bloß ein Politikfeld, sondern vielmehr eine Herzensangelegenheit. Das zeigt sich, denke ich, heute in dieser intensiven Debatte.
Aber wir fangen nicht bei null an. Augenhöhe, Respekt und eine gemeinsame Geschichte helfen, wenn es darum geht, unter Parlamentariern auch schwierigste Themen anzusprechen. Das ist möglich, und das ist Realität, und das erwarte ich auch von der Bundesregierung, von der Spitze der Bundesregierung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD)
Es war ein weiterer Autor der SZ, Gustav Seibt – den möchte ich jetzt noch erwähnen –, der dieser Tage „die vergessene Liebe zwischen Türken und Deutschen“ beschrieben hat: die außenpolitische Geschichte von Metternich, Bismarck und Moltke, die Geschichte der Gastarbeiter – bis zu den Fehlern der EU in der jüngeren Vergangenheit und dem gewachsenen türkischen Mittelstand in diesem Land –, aber vor allem auch die Geschichte der Türkei, die 1933 zum Exil für Künstler und für Wissenschaftler wurde.
Sie sind es, die uns heute mahnen und warnen, die unsere Gesellschaft zu dem machen, was sie ist. Wir sollten ihre Stimmen hören. Mehr noch: Wir als Politiker müssen ihnen die Räume der Artikulation offen halten – mit einer Außenpolitik der Zivilgesellschaften; denn es gibt keinen Automatismus in der Geschichte. Wir bestimmen sie selbst.
Dazu, zum Schluss, verehrte Kolleginnen und Kollegen, Gustav Seibt im Zitat:
Es gibt also – jenseits von NSU, Sarrazin-Debatte, Böhmermann und Erdoğan – eine deutsch-türkische Geschichte von säkularem Ausmaß und eine zivilgesellschaftlich-kulturelle Realität, deren Vielschichtigkeit und schiere Interessantheit oft nicht gegenwärtig sind. Diese Lieblosigkeit ist kaum zu begreifen, denn sie schwächt die Gesellschaft insgesamt.
Auch Staatspräsident Erdogan wird einmal an dieser Geschichte gemessen werden.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da könnten wir jetzt Schluss machen!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6789330 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 166 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zum Umgang mit der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei |