28.04.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 167 / Tagesordnungspunkt 3+ZP2+ZP3

Michael FuchsCDU/CSU - Stahlindustrie in Deutschland und Europa

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Stahlindustrie gehört seit dem industriellen Beginn in Deutschland zu Deutschland wie kaum eine andere Industrie. Jeder kann sich das vorstellen, und der eine oder andere von Ihnen wird auch schon in Stahlwerken gewesen sein. Ich besuche sie regelmäßig und bin immer wieder davon fasziniert.

Deutschland ist der größte Stahlhersteller in Europa. Wir stellen rund 43 Millionen Tonnen Stahl in Deutschland her; in ganz Europa werden 112 Millionen Tonnen hergestellt. Das zeigt, dass wir nach wie vor sehr wettbewerbsfähig sind. Wir haben bei unserem Stahl einen Exportanteil von immerhin 39 Prozent; auch das zeigt, dass wir wettbewerbsfähig sind.

Wir sind wettbewerbsfähig, weil die Stahlindustrie eben nicht eine uralte Industrie ist, wie uns der eine oder andere, der sie lieber los wäre, glauben machen möchte – nein –, sondern weil die Stahlindustrie Spezialstähle und Legierungen herstellt, die andere Länder nicht herstellen können, und weil wir im Bereich des Stahls intensive Forschung betrieben und Wettbewerbsvorsprünge erreicht haben. Gott sei Dank ist das so.

Wir importieren in die EU rund 7,2 Millionen Tonnen Stahl aus China, in aller Regel Billigstähle, Flachstähle bzw. Baustähle, die in Deutschland nur noch schwer herstellbar sind. Die Stahlproduktion hat einen elementaren Anteil an den Wertschöpfungsketten in Deutschland. Wenn wir nicht von vornherein alle Stähle produzieren, dann kommt es in manchen Bereichen zu Verlagerungen.

Es gibt in Sachsen Stahlwerke, die Kurbelwellen für Schiffe herstellen. Eine Kurbelwelle ist 28 Meter lang und 45 Tonnen schwer. Diese Produktion kann man nicht ganz einfach aus Deutschland „wegtun“. Wenn wir das täten, dann würde unter Umständen auch die Schiffsproduktion woanders stattfinden.

Es gibt noch sehr viele andere Beispiele dieser Art dafür, dass gerade mit den Spezialstählen, die wir für die Industrie herstellen, die Wertschöpfungsketten beginnen. Wenn diese Stähle also nicht mehr in Deutschland hergestellt werden, dann verlagert sich auch alles andere.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Stahlindustrie beschäftigt 90 000 Menschen in Deutschland und 330 000 Menschen in Europa; Hubertus Heil hat das schon gesagt. Es hängen aber noch viel mehr Arbeitsplätze daran, weil aufgrund der Wertschöpfungsketten gleichzeitig auch die Arbeitsplätze in den anderen Industrien zu berücksichtigen sind.

Rund 3,5 Millionen Beschäftigte sind in den stahlintensiven Branchen tätig. Dazu gehört nicht nur die Automobilindustrie, sondern auch der Fahrzeugbau, der komplette Maschinenbau etc. hängen daran. Sie bestellen den Stahl, den sie für ihre spezifischen Anlagen brauchen, in Deutschland.

Meine Damen und Herren, dass wir für eine einzelne Industriebranche einen Antrag einbringen, geschieht eigentlich nur selten. Soweit ich mich erinnern kann, haben wir das in dieser Legislaturperiode bisher noch nicht gemacht, aber es ist berechtigt; denn wir haben in dieser Branche durchaus Probleme.

Damit komme ich zum Thema China. China produziert rund 800 Millionen Tonnen Stahl im Jahr und exportiert davon rund 112 Millionen Tonnen. Die EU braucht im Jahr rund 152 Millionen Tonnen Stahl. Das zeigt, dass in China gewaltige Kapazitäten vorhanden sind und Überkapazitäten auf den Markt kommen.

Ich wäre der Erste, der sagen würde, dass das die Konsequenzen von Markt und Globalisierung sind. Die chinesische Stahlpolitik hat in meinen Augen aber nicht allzu viel mit dem Markt zu tun. Dort gibt es keinen Markt in dem Sinne, wie wir ihn uns vorstellen. Deswegen ist es durchaus berechtigt, dass die EU Antidumpingverfahren gegen China eingeleitet hat.

Ich finde es auch richtig, dass es in Deutschland zum ersten Mal einen gemeinsam Stahlaktionstag gab, an dem sich die Betriebsräte und die Mitarbeiter in den Betrieben zusammen mit ihren Gesellschaftern auf die Straße begeben haben, um zu zeigen, dass es notwendig ist, dass wir dort Veränderungen herbeiführen, und das tun wir auch.

Die Entscheidung, China den Marktwirtschaftsstatus einzuräumen, wird wohl getroffen werden müssen; denn wir werden weiter intensiv mit China zusammenarbeiten. Ich darf daran erinnern, dass China auch für Deutschland ein gewaltiger Exportmarkt ist. Das Ganze muss aber zu fairen Bedingungen geschehen.

Wir müssen China gegenüber Anforderungen stellen können, die zeigen, dass wir gemeinsam eine Marktwirtschaft haben wollen, in der wir vernünftig zusammenarbeiten. Das chinesische Politbüro wird lernen müssen, dass zur Marktwirtschaft auch gehört, dass unwirtschaftliche Einheiten aus dem Markt verschwinden. Daran wird man sich in China gewöhnen müssen. Bis jetzt fällt den Herrschaften das schwer.

Hubertus Heil hat die Klimapolitik schon angesprochen, aber ich will es noch ein bisschen deutlicher machen: Wir helfen dem Klima in der Welt überhaupt nicht, wenn wir Carbon Leakage organisieren, sodass es zu Produktionsverlagerungen von Deutschland in andere Länder kommt.

Ich will hier als Beispiel wieder nur China erwähnen. In Deutschland wird eine Tonne Stahl mit einem CO 2 -Ausstoß von rund 1 500 Kilogramm produziert. Das ist ein Durchschnittswert. Es gibt Stahlwerke, die ein Stück weit besser sind, aber nicht viel. Viel mehr geht auch physikalisch nicht. In China wird die gleiche Tonne Stahl mit einem CO 2 -Ausstoß von rund 2 200 Kilogramm produziert, also mit rund einem Drittel CO 2 mehr. Dem CO 2 ist es dabei völlig egal, ob es in China oder in Deutschland in die Luft geschickt wird. Es befindet sich in der gleichen Klimawelt. Mit anderen Worten: Je weniger bei uns produziert wird, desto mehr CO 2 wird ausgestoßen. Das ist eine simple Tatsache, und die sollten wir berücksichtigen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Man darf es aber nicht übertreiben. Wenn wir unsere Stahlindustrie immer weiter vor uns hertreiben und den besten Stahlproduzenten auch noch die 10-Prozent-Regel wegnehmen wollen, wie es der eine oder andere hier im Hohen Hause immer wieder von sich gibt, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Stahlproduktion ins Ausland verlagert wird. Wenn die Stahlproduktion von Deutschland ins Ausland verlagert wird – von mir aus von Sachsen nach Polen oder von Nordrhein-Westfalen nach Belgien –, dann ist dem Klima überhaupt nicht geholfen. Aber wir verlieren Arbeitsplätze in der Stahl­industrie. Das muss verhindert werden; das wollen wir nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das Ganze gilt natürlich genauso, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, für den Bereich der Stromkosten. Wir müssen die Stromkosten in den Griff bekommen. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Kuppelgase weiter ohne Belastungen verstromen können; denn es ist sinnvoll, dass Gase, die im Produktionsprozess entstehen, direkt für die Stromproduktion verwendet werden. Es ist Unsinn, diese Art der Stromerzeugung mit der EEG-Umlage belasten zu wollen. Das sollten wir schön bleiben lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

So wie es ist, muss es bleiben. Das müssen wir aber im Rahmen des Beihilfeverfahrens bei der EU durchsetzen. Es ist nämlich keine Selbstverständlichkeit, dass das so bleibt.

Ein anderer Punkt ist: Wir müssen die Gesamtstromkosten im Blick behalten. Die Stromkosten in Deutschland sind mit weitem Abstand die höchsten. Die Stromkosten in der Stahlindustrie sind um 30 Prozent höher – ich beziehe mich jetzt nicht auf China – als in Frankreich. Alleine Frankreichs Stromkosten in der Strahlproduktion liegen 30 Prozent unter unseren. Wir sollten uns Gedanken darüber machen, wie wir das ändern können.

Blicken wir in die USA, wird es besonders kritisch. Die Kosten für den Strom zur Produktion von Stahl und ähnlichen Produkten betragen ein Fünftel von unseren. Das wird am Ende des Tages bedeuten, dass es in Amerika in diesen Wirtschaftsbereichen zu einer Reindustrialisierung kommt. Das macht mir schon Sorge. Wenn in Amerika dadurch mehr Stahlwerke entstehen, wird das dazu führen, dass wir hier Arbeitsplätze und damit die Wertschöpfungskette verlieren.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: In den USA kommt es doch zu Verlusten!)

– Frau Höhn, davon verstehen Sie nichts; das wissen wir ja.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hallo? Ich verstehe davon mehr als Sie!)

Wenn das passiert, wenn also Wertschöpfungsketten weg sind, ziehen ganze Branchen aus Deutschland weg. Das will ich verhindern, und das müssen wir gemeinsam verhindern.

Ich finde es gut, dass wir diesen gemeinsamen Stahlantrag heute diskutieren, um der Industrie und der Wirtschaft zu zeigen: Wir stehen zu ihr. Wir wollen den Standort sichern. Aber dazu gehört auch, sicherzustellen, dass die Stromkosten in Deutschland in Schach und Proportion bleiben und dass die Kosten für den Klimawandel nicht allein von der Stahlindustrie getragen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Kollegin Kerstin Andreae erhält nun das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6791275
Wahlperiode 18
Sitzung 167
Tagesordnungspunkt Stahlindustrie in Deutschland und Europa
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