Heiko Maas - Änderung des Sexualstrafrechts
Sehr geehrter Herr Präsident, vielen Dank für die positive Einführung in dieses Thema. – Meine Damen und Herren! Wir legen Ihnen heute einen Gesetzentwurf vor, mit dem wir Frauen besser vor sexueller Gewalt schützen wollen. Das ist auch bitter nötig.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
In Deutschland haben wir bei den Straftaten Vergewaltigung und sexuelle Nötigung eine Verurteilungsquote von 8 Prozent. Dabei wissen wir, dass nur etwa 10 Prozent der Vergewaltigungen überhaupt angezeigt werden. Dies führt dazu, dass Frauen, die Opfer sexueller Gewalt werden, sich nicht ermuntert fühlen, die Taten, die gegen sie begangen worden sind, auch strafrechtlich ahnden zu lassen. Der Grund besteht nicht nur darin, dass es Beweisschwierigkeiten gibt, sondern vor allen Dingen darin, dass unser Strafrecht eklatante Schutzlücken aufweist. Diese Schutzlücken wollen wir mit diesem Gesetz schließen. Es ist auch an der Zeit, dass wir das tun.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir haben uns in den letzten Monaten – auch zusammen mit den Landesjustizverwaltungen, in der Gerichtspraxis – sehr intensiv mit den Fällen befasst, bei denen Schutzlücken bestehen und auf die in der Vergangenheit auch immer wieder von Frauen und Opferverbänden aufmerksam gemacht worden ist. Es gibt insbesondere drei Konstellationen mit Schutzlücken, die wir mit diesem Gesetz jetzt ein für alle Mal schließen wollen.
Erstens. Der Täter bricht den Willen des Opfers nicht direkt vor einer Tat, sondern hat ihn schon lange zuvor gebrochen. Bedauerlicherweise ist das in vielen, vielen Fällen so. Es geht dabei um Beziehungen, in denen ein Klima der Gewalt herrscht. Die betroffenen Frauen wehren sich schon lange nicht mehr gegen den sogenannten Haustyrannen, wie er auch in der Rechtsprechung beschrieben wird. Selbst wenn der Mann diesen Umstand bewusst für Sex ausnutzt, ist das in der Vergangenheit für eine Verurteilung nicht ausreichend gewesen. Die Tatsache, dass die Gewalt zwar für das Opfer dauerhaft präsent war, sie aber nicht gezielt für die Tat eingesetzt worden ist, kam dem Täter in der Rechtsprechung und vor Gericht auch noch zugute. Ich finde, das ist eine zynische Logik, und die wollen wir nicht länger zulassen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Deshalb soll in Zukunft der Übergriff auch dann strafbar sein, wenn der Täter es ausnutzt, dass das Opfer aus Angst vor weiterer Gewalt auf Gegenwehr gänzlich verzichtet.
Die zweite Konstellation, um die es geht, sieht wie folgt aus: Der Täter nutzt die Furcht seines Opfers bewusst aus, um sich an ihm zu vergehen. Aber dabei fürchtet das Opfer nicht um Leib und Leben. Es geht um die Angst, dass man zum Beispiel seinen Arbeitsplatz verliert, wenn man sich den sexuellen Handlungen verweigert, oder dass man als Ausländerin abgeschoben wird, wenn man sich dem Täter verweigert. Solche und noch viele andere Fallkonstellationen hat unser Strafrecht bisher überhaupt nicht erfasst. Mit diesem Gesetzentwurf wird das anders. Auch diese Änderung ist längst überfällig.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Es geht drittens um Fälle, in denen die Attacke für das Opfer vollkommend überraschend ist, sodass es schon deshalb überhaupt keinen Widerstand leisten kann. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn eine Frau den Täter und die Handlung, die vom Täter ausgeht, nicht bemerkt, zum Beispiel, weil sie sie nicht sieht und sich schon deshalb gar nicht dazu verhalten kann. Bislang konnte so etwas, zum Beispiel, wenn einer Frau unter den Rock in den Schritt gegriffen wurde, allenfalls als Beleidigung bestraft werden.
(Zuruf von der LINKEN: Unglaublich!)
Aber ich finde, so etwas ist nicht als Beleidigung zu bestrafen. So etwas verletzt die sexuelle Selbstbestimmung einer Frau und muss auch als solche bestraft werden.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, es ist gut, dass darüber breit diskutiert wird und ganz unterschiedliche Vorschläge gemacht werden, wie man Frauen besser vor sexueller Gewalt schützen kann. Diese Diskussion hat insbesondere nach den Ereignissen der Silvesternacht in Köln eingesetzt. Ich will nur der Form halber darauf hinweisen, dass unser Gesetzentwurf schon viel länger vorliegt. Das Thema und ebenso der Gesetzentwurf beschäftigen uns nicht in erster Linie seit den Ereignissen in der Silvesternacht in Köln. Es ist allerdings traurig, dass erst so etwas geschehen muss, bis es in Deutschland eine breite Debatte darüber gibt, wie man Frauen besser vor sexueller Gewalt schützen kann, egal wo sie stattfindet und egal welchen Pass der Täter hat.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Wir wollen die Schutzlücken schließen und damit auch den Vorgaben der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt gerecht werden. Dies tun wir mit diesem Gesetzentwurf. Aber wir haben, wie Sie wissen, eine Expertenkommission eingesetzt, die das ganze Sexualstrafrecht überarbeitet. Es gibt an vielen anderen Stellen Reformbedarf. Deshalb haben wir diesen Gesetzentwurf im Vorgriff auf die Ergebnisse der Expertenkommission eingebracht. Das Sexualstrafrecht wird uns weiterhin beschäftigen müssen. Allerdings sind die Schutzlücken, die es hier gibt, so eklatant, dass man sie nicht länger offenlassen kann. Sie müssen jetzt und sofort geschlossen werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir sind gerne bereit, all die Ergebnisse, die im Herbst von der Expertenkommission vorgelegt werden, im politischen Raum zu besprechen. Wir werden auch die Diskussion über die sogenannten Grapscherfälle – das spielt hier im Parlament eine wesentliche Rolle – positiv begleiten. Wir wollen dieses Gesetz so schnell wie möglich beschließen. Es ist längst überfällig, Frauen in Deutschland besser vor sexueller Gewalt zu schützen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Halina Wawzyniak, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6791776 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 167 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Sexualstrafrechts |