Elisabeth Winkelmeier-BeckerCDU/CSU - Änderung des Sexualstrafrechts
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir machen uns neuerdings viele Sorgen um Einbruchsdiebstähle und die Opfer solcher Taten. Wenn man diese Opfer fragt: „Was hat Sie am meisten belastet?“, dann kommt in der Regel heraus: Es ist gar nicht das fehlende Bargeld oder der fehlende Schmuck, sondern es sind die psychischen Folgen der Vorstellung, hier hat jemand in meinen Sachen gewühlt, hier hat sich jemand in meine Intimsphäre hineingewagt und ist übergriffig geworden.
Dabei geht es nur um Räume. Wie viel muss es im Vergleich dazu erst ausmachen, wenn tatsächlich in die körperliche Intimsphäre eingegriffen wird, wenn man einem fremden Täter ausgeliefert ist, der sich dort zu schaffen macht, wo man es nicht will?! Das ist traumatisierend. Das führt bei den Opfern zu Depressionen, zu Ängsten und sogar zu Selbstmordabsichten. Das ist das, was uns auf den Plan ruft. Davor müssen wir alle Opfer schützen.
(Beifall im ganzen Hause)
Der Schutz vor solchen Übergriffen muss umfassend sein. Die Freiheit in jeder Situation – egal was vorher passiert ist –, Ja oder Nein zu sagen, muss ganz klar gegeben sein, unabhängig davon, wie verheißungsvoll der Abend war, wie teuer das Abendessen war, ob man schon lange verheiratet ist, wie die Beziehung ist, ob es eine Gewaltbeziehung gibt, unabhängig von Religion und kulturellem Hintergrund und auch unabhängig davon, ob ein Täter dafür bezahlt hat. Wenn wir demnächst über Prostitution reden, ist das sicherlich ein wichtiger Aspekt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Cornelia Möhring [DIE LINKE])
In all diesen Fällen hat niemand das Recht, sich über den entgegenstehenden Willen eines anderen Menschen hinwegzusetzen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Unser geltendes Strafrecht stellt solche Übergriffe in § 177 StGB unter Strafe, wenn der Übergriff mit Gewalt oder Androhung von Gewalt einhergeht oder sich das Opfer in einer schutzlosen Lage befindet. § 179 StGB ergänzt diese Regelung für den Fall, dass das Opfer widerstandsunfähig ist. Also alles gut?
Deutschland hat die sogenannte Istanbul-Konvention des Europarats aus dem Jahr 2011 gezeichnet. Diese verlangt, dass alle nicht einverständlichen sexuellen Handlungen unter Strafe gestellt werden. Das ist der eine Grund, weshalb wir schauen müssen, ob unser Strafrecht noch up to date ist.
Der andere Grund ist noch wichtiger – es wurde bereits gesagt –: Wenn man sich genau anschaut, was unter §§ 177 und 179 StGB fällt, stellt man fest: Es gibt überraschende Schutzlücken in der Strafbarkeit. Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe hat dazu etliche Fälle aus der Praxis zusammengestellt, die absolut strafwürdiges Verhalten beschreiben, das von §§ 177 und 179 StGB heute aber nicht erfasst wird. Das hat in der Tat damit zu tun, dass wir es hier mit einem Nötigungstatbestand zu tun haben, bei dem man letztendlich von der Erwartung ausgeht, dass sich jedes erwachsene Opfer wehrt, wenn es eine sexuelle Handlung nicht mag, dies zum Ausdruck bringt und dadurch Gewalt oder Androhung von Gewalt provoziert.
Das ist aber nicht richtig. Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass jedes Opfer so handelt. Es gibt dabei verschiedene typische Konstellationen. Ein besonderer Fall wurde bereits genannt: die Gewaltbeziehung, in der zwar nicht die situative Gewalt gegeben ist, aber das Opfer schon weiß, was passiert, wenn es sich wehrt. Vor allem die Konstellation einer Gewaltbeziehung, in der ein Opfer etwa darauf Rücksicht nimmt, dass die Kinder im Nebenzimmer nicht geweckt werden sollen, ist ein Fall, der gerade die Reform aus dem Jahre 1997 sozusagen ins Leere laufen lässt. Häufig spielt eine Gewaltkonstellation gerade in der Ehe eine Rolle. Der Fortschritt, der 1997 gemacht wurde, kann hier nicht zum Erfolg führen, weil Voraussetzungen des § 177 StGB nicht erfüllt sind.
Eine weitere typische Konstellation wäre: Das Opfer wehrt sich nicht aus Angst, aus Ekel, weil es irgendwie das nicht erwartet hat, was passiert, und nicht die Kraft aufbringt, zu gehen, vielleicht weil etwas Alkohol im Spiel ist, zum Beispiel nach einer gemeinsamen Feier.
Das heißt, das Opfer wehrt sich nicht immer. Die Anforderung an das Opfer, sich zu wehren, schiebt die Schuld für das, was passiert, in die völlig falsche Richtung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Diese Anforderung vermittelt dem Opfer den Vorwurf, sich falsch verhalten zu haben. Dem Opfer wird gesagt: Du hättest dich wehren müssen. Dabei heißt es in allen Ratschlägen der Kriminalpolizei an die Opfer: Wehre dich bloß nicht; sonst passiert noch Schlimmeres. Das ist ein Widerspruch. Hier muss das Strafrecht besser zum Ausdruck bringen, dass es kein Recht gibt,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
sondern dass es strafwürdiges Unrecht ist, sich über den klaren entgegengesetzten Willen des anderen hinwegzusetzen. Das ist das, was die Menschen bereits jetzt für strafbar halten und was auch klar strafwürdig ist.
Eine weitere Konstellation ist im geltenden Recht nicht überzeugend gelöst: wenn das Opfer wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht zum Widerstand fähig ist. Da darf es doch keinen Rabatt in der Strafbarkeit geben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
So sieht es § 179 StGB aber vor. Hier ist das Strafmaß nur sechs Monate bis zehn Jahre statt Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bis zehn Jahre. Es ist damit bei § 179 StGB nur ein Vergehen.
Die Istanbul-Konvention sieht das gerade andersherum. Da, wo eine besondere Widerstandsunfähigkeit ausgenutzt wird, ist das eigentlich strafverschärfend zu berücksichtigen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Paul Lehrieder [CDU/CSU])
Deshalb ist es gut, dass wir uns hier an die Arbeit machen.
Es liegt nun ein Entwurf vor, der darauf abzielt, diese Lücken zu schließen und den Strafrabatt bei Widerstandsunfähigkeit aufgrund einer Behinderung aufzuheben. Vor allem die beiden Konstellationen der Überraschung und der Befürchtung des Opfers, dass ihm sonst ein besonderes Übel droht, werden ergänzt, und der Strafrahmen für Taten gegenüber Opfern, die aufgrund einer Behinderung zum Widerstand unfähig sind, wird gleichgezogen; der Minister hatte es schon ausgeführt.
Bei Verurteilungsquoten im einstelligen, in Zukunft dann vielleicht knapp zweistelligen Bereich ist es umso bedeutender, dass das Strafrecht an dieser Stelle auch eine andere Funktion erfüllt, nämlich für jedermann klarzumachen, was in dieser Gesellschaft nicht nur lästig, unmoralisch, unerwünscht, unanständig ist, sondern was bei Strafe verboten ist.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Das war auch 1997 der tragende Grund, als es um die Gleichbehandlung der Vergewaltigung in der Ehe ging.
Ich muss sagen: Je mehr Gespräche ich mit Bürgern und Bürgerinnen führe, auch mit meiner Frauen Union zu Hause, je mehr Fälle man betrachtet, die von der geltenden Regelung nicht erfasst sind und die allem Anschein nach auch von der vorgeschlagenen Regelung nicht erfasst werden, desto mehr zeigt sich: Der Grundsatz, dass allein der Wille des Opfers maßgeblich ist, verträgt keine Einschränkung, auch nicht im Strafrecht.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb müssen wir uns noch einmal sehr genau anschauen, welche Herangehensweise diejenige ist, die uns da zum Ziel führen kann.
Aus meiner Sicht sind weitere Ergänzungen notwendig. Sexuelle Übergriffe, die nicht gleich unter „Vergewaltigung“ zu fassen sind, sondern als bloßes Grapschen oberhalb der Kleidung gelten, sind bisher nicht angemessen sanktioniert, allenfalls als Beleidigung, und das geht am Schutzgut völlig vorbei; das ist nicht überzeugend. Grapschen ist kein Kavaliersdelikt, sondern kann für das Opfer auch schon dramatische psychische Folgen haben, und deshalb muss das in den vorliegenden Gesetzentwurf noch eingefügt werden.
Auf der Agenda steht sicherlich auch, dass wir uns noch einmal anschauen, ob Taten aus einer Menge heraus strafbar gemacht werden sollen, ob das schon gelöst ist, wenn wir das Grapschen als Tatbestand einführen und dann andere Regeln über Täterschaft und Teilnahme zur Anwendung kommen.
Wir stehen hier also am Anfang von parlamentarischen Beratungen, die sicherlich ganz interessant werden und auf die ich mich schon freue. Am Ende brauchen wir eine Regelung, die die Istanbul-Konvention erfüllt, die alle Straflücken schließt und die dem Gerechtigkeitsempfinden der Bürger in diesem Land entspricht.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Ulle Schauws, Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6791780 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 167 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Sexualstrafrechts |