28.04.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 167 / Tagesordnungspunkt 5

Katja KeulDIE GRÜNEN - Änderung des Sexualstrafrechts

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Maas, wenn ich diese Reden höre, dann haben Sie, glaube ich, ein Problem.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Eva Högl [SPD]: Nein! – Zuruf von der SPD: Überhaupt nicht!)

Nicht alles, was lange währt, wird gut. Nachdem Sie sich in der Koalition nun ein knappes Jahr um diesen Entwurf gestritten haben, ist er um keinen Deut besser geworden als zu Beginn. Das hehre Ziel, endlich die Istanbul-Konvention umzusetzen und nicht einverständliche sexuelle Handlungen unter Strafe zu stellen, ist komplett verfehlt. Dazu wäre es erforderlich gewesen, den Tatbestand des § 177 StGB von Grund auf neu zu fassen und so zu formulieren, dass es weder auf eine Nötigungshandlung des Täters noch auf den Widerstand des Opfers ankommt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])

Was machen Sie stattdessen? An § 177 StGB trauen Sie sich gar nicht heran und verschlimmbessern stattdessen § 179 StGB, der schon durch seinen bisherigen Titel deutlich macht, wo das Problem liegt: „Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen“. Alle Ihre drei neuen Tatbestandsvarianten stellen darauf ab, warum und wieso ein Opfer keinen Widerstand leistet. Selbst wenn dem Täter nachgewiesen werden kann, dass er den entgegenstehenden Willen des Opfers erkannt hatte, ist diese Tat bei fehlendem Widerstand nicht strafbar, es sei denn, das Opfer kann beweisen, dass es – erstens – aufgrund eines körperlichen oder psychischen Zustands widerstandsunfähig war oder – zweitens – für Widerstand zu überrascht war oder – drittens – im Fall des Widerstandes mit einem empfindlichen Übel gerechnet hat. In allen drei Varianten hängt die Strafbarkeit vom Verhalten des Opfers und den Gründen für den fehlenden Widerstand ab. Das ist genau das Gegenteil von dem, was in der Istanbul-Konvention vereinbart wurde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])

Sie bereinigen bei dieser Gelegenheit nicht einmal die in der geringeren Strafandrohung liegende Diskriminierung widerstandsunfähiger Personen. Das ist offensichtlich kein Versehen, da Sie in der Begründung ausdrücklich betonen, dass Sie die Überwindung von Widerstand schlimmer finden als die Ausnutzung von Widerstandsunfähigkeit. Zum Ausgleich konstruieren Sie dann in Absatz 3 wiederum einen besonders schweren Fall, der vorliegt, wenn die Widerstandsunfähigkeit auf einer Behinderung beruht. Logisch ist das nicht. Es ist die Fehlerkorrektur der Fehlerkorrektur einer fehlerhaften Grundannahme. Sie schaffen es einfach nicht, sich davon zu lösen, dass das Opfer Widerstand leisten muss.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Mechthild Rawert [SPD])

Streichen Sie den § 179 StGB komplett, vergessen Sie den Widerstand, und konzentrieren Sie sich endlich auf die eigentliche Tathandlung!

Wir haben Ihnen mit unserem Gesetzesentwurf eine rechtliche Lösung vorgeschlagen, mit der wir auf den erkennbar entgegenstehenden Willen des Opfers abstellen. Ob das Opfer diesen Willen verbal äußert oder durch Gesten, Mimik, Körperhaltung, Tränen oder von mir aus schriftlich, ist dabei nicht entscheidend. Wie immer sind die Gesamtumstände der Tat vom Gericht zu bewerten. Fälle, in denen das Opfer aus Überraschung oder wegen körperlicher Gebrechen gar keinen entgegenstehenden Willen bilden konnte, sind in unserem Entwurf unter dem Aspekt des Ausnutzens der Arg- und Wehrlosigkeit erfasst. Damit würden wir alle nicht einverständlichen sexuellen Handlungen unter Strafe stellen, so wie es die Istanbul-Konvention erfordert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Mechthild Rawert [SPD])

Kommen Sie mir jetzt nicht wieder mit der Beweislage! Die Beweiserhebung wird dadurch nicht schwieriger oder weniger schwierig. Diese ureigene Aufgabe des Gerichts können wir ihm nicht abnehmen. Unsere Aufgabe als Gesetzgeber ist es, festzulegen, was bewiesen werden muss, und das darf eben gerade nicht der Widerstand sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)

Der von den Linken eingebrachte Vorschlag sieht auf den ersten Blick ganz anders aus als unser grüner Vorschlag, weil er einer anderen Systematik folgt. Inhaltlich entspricht der Grundtatbestand des vorgeschlagenen § 174 StGB dort aber dem von uns gewählten Anknüpfungspunkt des erkennbaren Willens. Diejenigen, die aus bestimmten Gründen nicht zur Willensbildung in der Lage sind, werden durch einen neuen § 177 StGB erfasst. Leider wird damit, wie auch im Regierungsentwurf, eine Sonderregelung für Behinderte gewählt. Außerdem führt die Systematik zu sehr langen Tatbeständen, in denen sich einiges zwangsläufig wiederholt. Beim Umfang von Gesetzestexten favorisiere ich das Motto: so viel wie nötig und so wenig wie möglich. Grundsätzlich ist jedenfalls auch der Vorschlag der Linken gut geeignet, die Istanbul-Konvention umzusetzen und die Strafbarkeit von der leidigen Frage des Widerstandes zu lösen. Der Regierungsentwurf hingegen hat sein Ziel verfehlt und ist absolut ungeeignet, um die Istanbul-Konvention umzusetzen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten Alexander Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6791836
Wahlperiode 18
Sitzung 167
Tagesordnungspunkt Änderung des Sexualstrafrechts
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