Alexander HoffmannCDU/CSU - Änderung des Sexualstrafrechts
Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden heute über ein sehr wichtiges Thema. Ich bin zunächst einmal sehr froh, dass es gelingt, dass wir über die Fraktionen hinweg heute doch eine sehr klare Botschaft formulieren können: Wir wollen Frauen besser vor sexuellen Übergriffen schützen. Ich glaube, in der Diskussion ist heute kein Raum dafür, dass die einen mit dem Finger auf die anderen zeigen. Denn ich behaupte, bei selbstkritischer Betrachtung stellt man fest, dass momentan keiner der Entwürfe, die hier auf dem Tisch liegen, zu 100 Prozent der Zielsetzung entspricht, Frauen besser vor sexuellen Übergriffen zu schützen.
Ich habe in den letzten Wochen und Monaten als Berichterstatter meiner Fraktion viele Gespräche in der Sache geführt, habe an vielen Veranstaltungen teilnehmen dürfen und viele Zuschriften bekommen. Ich möchte mich ausdrücklich für die gestrige Veranstaltung bei der Gruppe der Frauen bedanken, weil dort sehr tiefgreifend das eigentliche Problem beleuchtet wurde.
Nach den Gesprächen und Veranstaltungen wurde klar: Wenn ich eine Agenda oder eine To-do-Liste für diesen Problemkreis aufstellen will, dann müssen meiner Meinung nach vier Punkte vorhanden sein: Wir müssen die Botschaft „Nein heißt nein“ in eine gesetzliche Form gießen,
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE] und Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
wir brauchen einen gesetzlichen Tatbestand, der sexuelle Übergriffe in Form von Grapschen eigenständig bestraft, wir brauchen einen besseren Schutz vor Übergriffen sexueller Art aus einer Gruppe heraus, und wir müssen beim Schutz vor sexuellen Übergriffen aufpassen, dass wir Menschen mit Behinderungen nicht diskriminieren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Lassen Sie mich diese Punkte im Einzelnen ausführen.
Wir sollten uns im Rahmen dieser Reform die Frage stellen, ob sexuelle Übergriffe in Form von Grapschen bei uns in der aktuellen Rechtsprechung so abgebildet werden, wie wir uns das in einem Rechtsstaat wünschen. Sie alle kennen die Fälle, die die Schwachpunkte aufzeigen. Der Griff an den Po oder an den Busen oberhalb der Bekleidung stellt laut derzeitiger Rechtsprechung maximal eine sexuelle Beleidigung dar. In Köln gab es hierzu jüngst eine gerichtliche Entscheidung. Die Richterin hat entschieden, dass die Berührung alleine nicht ausreicht, um die Ehre des Opfers zu verletzen. Das Problem kennen wir alle: Es ist § 184 h StGB, in dem für die Strafbarkeit einer sexuellen Handlung eine gewisse Erheblichkeit gefordert wird.
Ich warne, sehr geehrter Herr Minister, davor, dass wir uns dem Glauben hingeben, dass wir dieses Problem dadurch beseitigen, dass wir die Überraschungsfälle regeln. Wir beseitigen damit das Problem nur oberhalb der Erheblichkeitsschwelle und nicht unterhalb. Deswegen sehe ich es anders als Sie, Herr Minister, als sie vorhin auf die Überraschungsfälle Bezug genommen haben. Wir brauchen einen eigenen Tatbestand. Der bayerische Justizminister Winfried Bausback hat Recht, wenn er sagt: Für eine Frau ist der Griff an den Busen mehr als eine Beleidigung. – Das muss auch im Gesetz abgebildet werden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dies führt mich zu dem Punkt: sexuelle Übergriffe aus einer Gruppe. Wir alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, kennen – und zwar schon vor Köln – folgendes Tatbild: Eine Gruppe Männer geht auf eine Frau zu, zunächst lachend, die Frau wird angetanzt, die Frau wird umzingelt, und dann wird sie aus der Gruppe heraus angefasst, ohne dass die Frau zuordnen kann, von wem die Hand kam. Nach Köln wissen wir, dass wir trotz Augenzeugenberichten, trotz Videomaterial keinerlei Zuordnung vornehmen können, wer Täter und wer Teilnehmer gewesen ist. Wir können aber aufgrund des Videomaterials sagen, dass es eine Gruppe gab, dass aus dieser Gruppe heraus Übergriffe erfolgt sind, und wir können zumindest teilweise zuordnen, wer Beteiligter dieser Gruppe war. Ich sage Ihnen: Wenn der Nachweis der Beteiligung an einer Schlägerei zur Strafbarkeit genügt, dann muss auch der Nachweis der Beteiligung an einer Gruppe, aus der heraus sexuelle Übergriffe in Form von Grapschen bei einer Frau stattfinden, zur Strafbarkeit genügen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Wenn es unser Ziel ist, die Istanbul-Konvention lückenlos umzusetzen, dann müssen wir selbstverständlich Artikel 36 im Blick haben: Jedwede sexuelle Handlung gegen den Willen des Opfers ist unter Strafe zu stellen, Nein heißt nein. Dabei sollten wir Artikel 46 der Istanbul-Konvention nicht aus den Augen verlieren. Er gibt nämlich den Mitgliedstaaten auf, zu prüfen, ob es sich nicht strafschärfend auswirkt, wenn die Tat an einem Opfer mit Behinderung begangen wird und der Täter diese Behinderung ausnutzt. Das ist, wie ich finde, im Referentenentwurf sehr gut gelöst. Es gibt dort eine Ergänzung des § 179 Absatz 3 StGB, der einen besonders schweren Fall für diese Konstellation formuliert. Die Lebenshilfe hat das bereits ausdrücklich gelobt. Zur Strafschärfung, Kollegin Keul, gibt es im Antrag der Grünen keinerlei Vorschläge.
Wir sollten, wenn wir Strafbarkeitslücken schließen, natürlich vermeiden, dass neue Strafbarkeitslücken entstehen. Ich möchte an dieser Stelle hinterfragen, ob wir den § 240 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 StGB tatsächlich ersatzlos streichen können – das schlagen die Grünen vor; das wird auch im Ministerialentwurf vorgeschlagen, Herr Minister Maas –; denn dieser Tatbestand erfasste bisher auch die Nötigung zur Vornahme sexueller Handlungen durch das Opfer an sich selbst. In allen Gesetzentwürfen wird diese Konstellation nicht durch eine anderweitige Formulierung erfasst. Deswegen bitte ich ausdrücklich darum, dass wir das noch einmal tiefer untersuchen.
Ich will diese Gelegenheit nutzen, ein paar Sätze zum Gesetzentwurf der Linken zu sagen. Kollegin Wawzyniak, Sie haben heute wieder das Wort „beschämend“ benutzt und gesagt, dass es wichtig ist, Frauenrechte umfassend zu schützen. Ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Ich habe es als starkes Stück empfunden – bei uns würde man sagen: mir hätt es fast den Vogel rausgehauen –, als ich festgestellt habe, dass Sie den § 183 StGB – Exhibitionistische Handlungen – streichen wollen. Die exhibitionistische Handlung ist bislang laut StGB mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Genau!)
Sie wollen nun keine Strafbarkeit mehr, sondern eine Ordnungswidrigkeit, die möglicherweise mit einer Geldbuße geahndet werden kann. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, wir haben im Jahr 8 000 angezeigte Fälle von exhibitionistischen Handlungen. Es gibt keinen Grund, das zu bagatellisieren,
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ultima-Ratio-Prinzip!)
und es gibt auch keinen Grund, exhibitionistische Handlungen genauso zu bestrafen wie zu schnelles Fahren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich möchte noch ein paar Gedanken zu der Zielsetzung „Nein heißt nein“ formulieren. Es muss klar sein: Wenn der Täter weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass das, was da geschieht, gegen oder ohne den Willen des Opfers geschieht, dann muss das strafbar sein. Wir müssen dieses Gesetzgebungsverfahren nutzen, um eine Formulierung zu finden, mit der wir in der Praxis gut arbeiten können. Ich sage Ihnen: Ich bin da zuversichtlich. Es gibt mittlerweile die unterschiedlichsten Vorschläge, die für mich durchaus gute Ansätze darstellen, unter anderem zum Beispiel der Vorschlag aus Mecklenburg-Vorpommern.
Ich möchte mich in diesem Zusammenhang aber auch mit der Argumentation des Ministeriums auseinandersetzen, die durchgedrungen ist, die in die Richtung geht: Na ja, die „Nein heißt nein“-Lösung können wir im Moment nicht umsetzen, weil das eine Neuordnung des gesamten Abschnitts erfordern würde, und das schaffen wir in dieser Legislaturperiode nicht mehr. – Ich möchte an dieser Stelle schon sagen, dass ich an dieser Argumentation Zweifel habe. Sehr viele Straftatbestände in diesem Abschnitt stellen für mich abgeschlossene Tatbestände dar. Da lässt sich ohne Weiteres eine neue Norm einsetzen, bzw. Tatbestände lassen sich verschieben.
Ich will an die Chronologie erinnern: Wir hatten im Frühjahr 2014 ein erstes großes Novellierungsverfahren im Sexualstrafrecht. Am 7. April 2014 wurde ein Referentenentwurf Ihres Hauses, Herr Minister Maas, vorgelegt, in dem zu § 177 StGB folgende Einschätzung formuliert war: Es gibt dort keinen Handlungsbedarf. – Das ist bei vielen Frauengruppen, auch der Grünen und der Union, auf große Kritik gestoßen. Herr Minister, Ihr erstes Argument war: Wir versuchen jetzt erst einmal, diese Novellierung durchlaufen zu lassen; mit der anderen Frage beschäftigen wir uns später. – Ich finde, dass diese Verzögerung, die aufgrund einer Fehleinschätzung Ihres Hauses entstanden ist, nicht dazu führen darf, dass wir in dieser Legislaturperiode zu keinem Ergebnis kommen.
Ich freue mich auf die weiteren Beratungen. Ich glaube, wir haben fraktionsübergreifend einen großen Konsens.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Alexander Hoffmann. – Einen schönen guten Tag von mir. – Die nächste Rednerin ist Dr. Carola Reimann für die SPD.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6791838 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 167 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Sexualstrafrechts |