Sylvia PantelCDU/CSU - Änderung des Sexualstrafrechts
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Gesetzentwurf ist auf einem richtigen Weg, aber, wie wir festgestellt haben, noch unzureichend.
„Nein heißt nein“ – wir haben beim vorherigen Beitrag damit begonnen; ich beginne damit meine Rede –, das ist eine ganz klare Aussage. An dieser Aussage gibt es nichts zu rütteln. Das Strafrecht soll jedem Einzelnen in unserem Land klarmachen, was erlaubt und was verboten ist. Das tun die Paragrafen zur sexuellen Selbstbestimmung bisher nicht ausreichend, leider auch nicht im neuen Gesetzentwurf.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die rechtspolitische Debatte dreht sich zu sehr um Begrifflichkeiten und die Frage, was genau „Nein heißt nein“ bedeuten soll. Dabei ist diese Frage eigentlich absurd; denn ein Nein ist ein klares Nein.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es ist auch eindeutig, was wir in der Gesellschaft wollen. Wenn eine Frau oder ein Mann einen sexuellen Kontakt nicht will, ist das ohne Wenn und Aber zu akzeptieren. Es geht uns bei diesem Gesetzgebungsverfahren darum, Schutzlücken zu schließen und ein klares Zeichen für die Opfer zu setzen. Ich war schockiert, als ich mich zum ersten Mal mit den Feinheiten des Sexualstrafrechts auseinandergesetzt hatte. Dinge, von denen ich dachte, dass sie geregelt wären und klar zu einer Verurteilung führen würden, sind im bisherigen Strafrecht nicht ausreichend geregelt. Ich musste unter anderem lernen, dass es weniger hart bestraft wird, wenn eine behinderte Person vergewaltigt wird, die sich nicht wehren kann. Diese Schutzlücke wird nun geschlossen, und solche Taten sollen härter bestraft werden. Daran werden wir alle arbeiten.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Doch dort, wo solche Schutzlücken bestehen, werden wir nachbessern müssen. Ein Täter muss zukünftig auch dann bestraft werden, wenn er das Opfer nicht direkt bedroht hat. Für eine Bestrafung muss ausreichen, wenn das Opfer klare Signale ausgibt, keine sexuelle Berührung oder sexuelle Handlung zu wollen. Auch müssen wir zukünftig Täter besonders hart bestrafen, wenn sie die Behinderung oder Hilflosigkeit eines Opfers ausnutzen oder aus einer Gruppe heraus handeln.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Wie so häufig in der Politik geht es bei der öffentlichen Debatte weniger um das Ziel selbst, sondern um die Frage, wie wir dieses Ziel erreichen wollen. Jeder hier im Saal wird verhindern wollen, dass ein Opfer – meistens sind es Frauen – gegen seinen Willen zum Geschlechtsverkehr gezwungen wird oder sexuelle Handlungen erdulden muss.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein erster Schritt, aber noch nicht das Ergebnis, so wie ich es mir vorstelle. Meiner Meinung nach muss jeder Mann und jede Frau zu jedem Zeitpunkt Nein sagen können – und das ist zu respektieren –, ohne sich körperlich wehren zu müssen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es kann nicht sein, dass in der vorliegenden Fassung der §§ 177 und 179 weiterhin auf die Drohung mit Gewalt oder die Schutzlosigkeit und den Widerstand des Opfers abgestellt wird. Ein „Nein, ich will das nicht“ muss zu jedem Zeitpunkt für den Täter klarmachen, dass er sich strafbar macht.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Übrigens muss genauso jedem klar sein, dass der Partner überhaupt noch fähig sein muss, die Situation zu erfassen.
Leider sind die wenigstens Situationen im Leben eindeutig, zumindest nicht so eindeutig, wie wir es im Streitfall gerne hätten. Ziel dieses Gesetzgebungsprozesses muss daher sein, Rechtssicherheit und Schutz zu schaffen, ohne dabei eine Beweislastumkehr herbeizuführen. Die Sorge, dass nun zu Hunderten falsche Anklagen wegen sexueller Übergriffe oder Vergewaltigungen entstehen, teile ich überdies nicht. In unserem Rechtsstaat gilt der Grundsatz: im Zweifel für den Angeklagten. Davon werden wir nicht abweichen.
Strafgesetze alleine sind aber kein Allheilmittel. Das Verständnis der sexuellen Selbstbestimmung in Deutschland wird nicht durch eine Reform des Sexualstrafrechts allein verbessert werden. Das ist eine Frage des Bewusstseins und der Wertevorstellung in unserer Gesellschaft und damit eine Aufgabe für uns alle.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir müssen gesellschaftlich klarmachen, dass Frauen keine Objekte sind, nie, zu keinem Zeitpunkt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Stadt Stuttgart lässt gerade in der Innenstadt Plakate aufstellen, die auf die Lage von Prostituierten aufmerksam machen sollen. „ Kondome benutzt man, Frauen nicht“ – das steht dort in großen Buchstaben geschrieben. Auch andere sehr deutlich gewählte Formulierungen weisen auf das Recht der Menschen in unserem Land auf sexuelle Selbstbestimmung hin.
Wir müssen auch klar und deutlich aufzeigen, dass wir keine kulturelle oder religiöse Entschuldigung in unserem Land dulden, wenn Menschen zum Sex genötigt werden oder sexuelle Handlungen über sich ergehen lassen müssen. Dazu gehört auch, dass sich keine Frau begrapschen lassen muss.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
In der öffentlichen Debatte wird gerade aus der Opposition heraus lautstark gefragt, warum Deutschland die Istanbul-Konvention nicht schneller umgesetzt hat. Die Istanbul-Konvention, das sogenannte Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, ist ein 100 Seiten starkes Vertragswerk mit Regelungen zu den unterschiedlichsten Lebensbereichen. Wir wollen Schutz aber nicht nur auf dem Papier schaffen, sondern Regelungen treffen, die wirklich etwas bewirken.
Ein Beispiel. Die Türkei hat die Istanbul-Konvention am 14. März 2012 ratifiziert. Zwei Jahre später berichtete die Zeitung Die Welt, dass nach neuesten Erkenntnissen mehr als jede vierte Braut in der Türkei bei der Eheschließung noch minderjährig war und meist gegen ihren Willen verheiratet wurde. Die türkische Zeitung Hürriyet berichtete im November vergangenen Jahres, dass nicht nur die Zahl der Gewalttaten gegen Frauen in der Türkei zunehme, sondern auch die Brutalität. In den vergangenen fünf Jahren seien 1 134 Frauen ermordet worden, weil sie sich von ihrem Mann scheiden lassen wollten; dies seien nur die Zahlen, die die Frauenrechtsgruppe „We Will Stop Femicide Platform“ bestätigen konnte.
Machen wir uns also nichts vor: Die Ratifizierung der Istanbul-Konvention und ein schönes Gesetz allein schützen noch keine Frauen. Wichtig sind gesellschaftliches Umdenken und solide finanzierte und professionell aufgestellte Fortbildungen und Hilfsangebote.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Denken Sie nur an das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“.
(Dr. Eva Högl [SPD]: Ganz wichtig!)
Dort wird großartige Arbeit geleistet.
Als Familienpolitikerin ist es mir wichtig, dass diese Reform gerade von uns Frauen gemeinsam nach vorne gebracht wird.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es geht um Qualität vor Schnelligkeit. Dabei ist dieser Gesetzentwurf ein guter Anfang. Das Prinzip „Nein heißt nein“ muss jedoch noch etwas deutlicher umgesetzt werden.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Ich rufe den nächsten Redner nicht auf, solange Sie sich nicht hinsetzen und zuhören, und das meine ich ganz ernst.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Dies ist eine extrem wichtige und sehr intensive Debatte. Alle Fraktionen haben an diesem Thema mitgearbeitet und diskutieren intensiv miteinander. Es gebietet der Respekt in diesem Haus, dass Sie sich jetzt hinsetzen und dem letzten Redner die letzten drei Minuten zuhören. Bevor Sie das nicht getan haben, werde ich die Debatte nicht eröffnen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Das gilt für den Herrn Friedrich, für den Herrn Mayer. Das gilt bei der SPD ganz genauso. Ich bitte Sie, sich hinzusetzen. Das gilt auch für ein paar Grüne, die herumstehen.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Bitte nehmen Sie Platz, und geben Sie dem letzten Redner in dieser Debatte – das ist Dr. Johannes Fechner – die ihm gebührende Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6791841 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 167 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Sexualstrafrechts |