28.04.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 167 / Tagesordnungspunkt 6

Ursula von der Leyen - Jahresbericht 2015 des Wehrbeauftragten

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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Wehrbeauftragter Herr Bartels, wir diskutieren heute Ihren ersten eigenen Bericht als Wehrbeauftragter. Sie haben im Vorwort dieses Berichts mit dem Satz geschlossen – ich zitiere –: „Veränderung zum Besseren beginnt damit, auszusprechen, was ist.“ Ich kann nur feststellen, dass diese Haltung sich nicht nur durch Ihr erstes Jahr als Wehrbeauftragter zieht, sondern nahtlos auch durch die Tätigkeiten, in denen ich Sie vorher schon erlebt habe. Sie bleiben sich da treu. Es ist ein gutes Motto, mit dem wir gemeinsam vorangehen können.

Sie sind jetzt seit einem Jahr der zwölfte Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, der Anwalt unserer Soldatinnen und Soldaten oder, wie Sie selber einmal gesagt haben, – ich zitiere – „eine Art wandelnder Untersuchungsausschuss“.

Gewandelt sind Sie im letzten Jahr fürwahr häufig. Sie haben aus 35 Truppenbesuchen im In- und Ausland Ihre Eindrücke mit nach Hause gebracht, von Augustdorf bis Wilhelmshaven, von Ämari bis Bamako. Als ich zuletzt vor zwei Tagen, am Dienstag, mit Ihnen telefoniert habe, da waren Sie in Thessaloniki, kamen aus der Ägäis und wollten nach Incirlik. Ich kann nur sagen: Chapeau!

Die Bundeswehr ist an einem Wendepunkt, so haben Sie es eben noch einmal beschrieben und schon im Januar in Ihrem Jahresbericht festgestellt. Sie meinen damit den Wendepunkt nach 25 Jahren des kontinuierlichen Schrumpfens im Hinblick auf Personal, auf Material und vor allem auch im Hinblick auf Finanzen. Für diesen Schrumpfungsprozess gibt es viele Gründe. Einige haben Sie eben genannt; das auszuführen, würde den Rahmen sprengen. Es ist aber in den letzten zwei Jahren deutlich geworden, dass diese Schrumpfung auf eine neue Realität mit einer wachsenden Zahl von Aufgaben und Einsätzen geprallt ist. Schrumpfen auf der einen Seite und mehr Aufgaben auf der anderen Seite, das passt einfach nicht zusammen. Wir haben eine neue sicherheitspolitische Lage. Wir haben im letzten Jahr viel darüber in unseren Workshops im Rahmen des Weißbuch-Prozesses diskutiert. Deswegen haben auch wir angefangen, kritisch zu hinterfragen. Viele der Ergebnisse kennen Sie, meine Damen und Herren; denn Sie als Parlament haben uns dabei den Rücken gestärkt.

Da ist zunächst der Wendepunkt, den wir mit dem Haushalt 2016 eingeleitet haben. Das muss sich jetzt verstetigen; der Wehrbeauftragte hat es eben auch angemahnt. Wenn die Vorgaben des Eckwertebeschlusses des Kabinetts für 2017 im Großen und Ganzen so vom Bundestag mitgetragen werden, dann wäre das ein substanzieller Zuwachs, wie wir ihn im letzten Vierteljahrhundert nie gehabt haben. Das ist notwendig, sachgerecht und eine wichtige Trendwende für die Bundeswehr.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das gilt auch für Material und Ausrüstung. Auch hier haben wir in den letzten Monaten eine Wende eingeleitet – hier darf ich den Wehrbeauftragten zitieren, der zu Recht von einer „Mangelverwaltung“ gesprochen hat – hin zu einer substanziellen, das heißt am tatsächlichen Bedarf orientierten Ausstattung für die Aufgaben, die wir tatsächlich haben. Wir stehen da am Anfang eines schmerzhaften Prozesses. Denn es wird die Lücke offenbar, die zwischen den Mitteln auf der einen Seite – damit meine ich nicht nur Finanzmittel, sondern auch die Ausstattung – und den Aufgaben auf der anderen Seite klafft, die die Bundeswehr zu bewältigen hat. Aber ich glaube, wir haben Einigkeit darüber hier im Hohen Hause, dass diese selbstkritische Schau unverzichtbar ist; denn im Kern wollen wir dahin, dass wir zu jeder Zeit für jeden neuen Auftrag möglichst gut aufgestellt sind. „ In der Lage leben“ heißt das in der Truppe.

Das gilt auch fürs Personal, für die Menschen, die diese steigenden Aufgaben zu bewältigen haben. Auch hier ist eine Trendwende nötig. Wir haben lange mit starren Obergrenzen gelebt. Damit ist niemandem mehr gedient; der Wehrbeauftragte hat es eben auch ausgeführt. Zu lange war die Grundhaltung: Abbau, schrumpfen, weniger. „ kw“ ist, glaube ich, ein Synonym, das dafür steht, nämlich „kann wegfallen“. Wir können uns vorstellen, was das mit einer Organisation macht, die immer nur in der Reduktion denkt. Aber in Zeiten des demografischen Wandels und vor allen Dingen in Zeiten des Fachkräftemangels muss man genau andersherum denken und handeln. Man muss Menschen gezielt ansprechen, man muss sie für uns, für die Bundeswehr, interessieren. Wir müssen Fachkräfte ausbilden, wir müssen Fachkräfte halten. Das ist schwer bei der Konkurrenz, die wir am Markt haben. Ich glaube, wir sind uns nach dem, was ich in den letzten Wochen gehört habe, einig, dass wir gemeinsam auch behutsam darüber sprechen müssen, ob wir Lebenserfahrung und Berufserfahrung in unserer Bundeswehr eigentlich genug würdigen. Das heißt in Summe: Wir müssen zu einem atmenden Personalkörper kommen. Hier wird sich einiges verändern.

Damit komme ich zum nächsten Punkt. Wir wollen die Menschen, die bei uns arbeiten und Dienst tun, nicht überfordern, aber auch nicht unterfordern. Das ist das Thema bei der Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie, die in der Tat einiges Grummeln erzeugt. Das wundert mich auch gar nicht. Ich kenne die Bedenken, ich kenne die kritischen Stimmen. Aber wenn man so etwas Neues einführt, dann ist es selbstverständlich, dass es am Anfang ruckelt. Ich möchte dazu einige Bemerkungen machen.

Ich finde, wenn es in 14 europäischen Armeen gelungen ist, die EU-Arbeitszeitrichtlinie umzusetzen, dann können auch wir Transparenz herstellen bei der Frage, wie wir die Zeit anlegen, die wir für die Aufgaben haben, und der Frage, wie viel Zeit wir verbrauchen. Das wird auch nicht unsere Einsatzbereitschaft lähmen; denn wir reden hier ausschließlich vom Grundbetrieb. Wir reden nicht von den Einsätzen, wir reden auch nicht von wesentlichen Teilen des Übungsbetriebes. Für uns ist die Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie ganz klar eine Frage der Fürsorge für unsere Beschäftigten.

Ich nehme gerne den Punkt des Wehrbeauftragten auf, dass man nicht zu viel Zeit verstreichen lassen sollte, gerade bei den Beispielen, die er genannt hat. Das sind Ausreißer, die so nicht sein sollen. Das steht so auch nicht in der Arbeitszeitrichtlinie und ihren Ausführungsbestimmungen. Diesen Dingen muss man sofort nachgehen. Man muss sie sofort abstellen. Aber – darin sind wir uns einig – wir müssen zusammen ein Bündel an Beurteilungen, Evaluationen sammeln, um dann in Kürze im Sommer den runden Tisch zu haben, um all die Dinge, die aufgetreten sind, auch abstellen zu können, wenn sie stören.

Ein weiterer Punkt. Ich finde, es ist ganz entscheidend, Transparenz über unsere Organisation herzustellen. Wir müssen der Frage nachgehen, wie wir mit Zeit umgehen. Sind es die Soldatinnen und Soldaten, die den Dienst­herrn mit Zeit subventionieren? Stimmt die Personalbemessung, oder verlangen wir von ihnen mehr Zeit, um Aufgaben zu erledigen, für die zu wenig Personal vorhanden ist? Wenn ich dem Finanzminister plausibel darlegen möchte, warum wir gegebenenfalls mehr Personal brauchen, dann muss ich Daten und Fakten haben. Dafür müssen wir messen.

Letzter Punkt. Eine Wende brauchen wir auch bei dem Thema „angemessene Unterkünfte“, Stichwort: Sanierungsstau. Wir haben ein gründliches Screening von fast 2 500 Unterkunftsgebäuden gemacht. Das wird jetzt halbjährlich aktualisiert. Das Sofortprogramm ist auf den Weg gebracht worden. Sie kennen die Zahlen. Wir haben rund 3 600 erste Verbesserungsmaßnahmen umgesetzt, 1 900 sind in Planung. In Gesprächen mit dem Finanzministerium ist es gelungen, 400 große Bauvorhaben im Volumen von rund 2,5 Milliarden Euro vorzuziehen. Bis 2019 werden sie beschleunigt beendigt sein. Der Großteil ist bereits genehmigt. Ob das dann reicht, um auch den nötigen Raum für unsere Pendlerinnen und Pendler zu schaffen, lieber Herr Wehrbeauftragter, werden wir beide in der nächsten Woche in unserem Arbeitsgespräch miteinander diskutieren.

Damit bin ich am Schluss. Wir können uns keine Verschnaufpause gönnen. Es ist gut, dass wir einen umsichtigen Wehrbeauftragten haben. Auch ich möchte an dieser Stelle Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für eine konstruktive, unaufgeregte Zusammenarbeit und ihr Engagement zum Wohle unserer Soldatinnen und Soldaten von Herzen danken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Herzlichen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Buchholz, Fraktion Die Linke. Bitte schön.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6792161
Wahlperiode 18
Sitzung 167
Tagesordnungspunkt Jahresbericht 2015 des Wehrbeauftragten
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