28.04.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 167 / Tagesordnungspunkt 7

Uwe SchummerCDU/CSU - Arbeit für Menschen mit Behinderungen

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Frau Kollegin Werner, ein Teilhabegesetz zu beerdigen, bevor es parlamentarisch beraten wurde, ist ein bisschen arg flott.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der Referentenentwurf für das Teilhabegesetz liegt jetzt vor, und ich denke, dass wir, wenn der Gesetzentwurf eingebracht wird, im Parlament eine gute Entwicklung auf den Weg bringen werden.

Was Sie vor einem Jahr in Ihrem Antrag zusammengeschrieben haben, ist ein Sammelsurium von mehr oder weniger guten Ideen. Wichtig ist aber, dass man nicht nur Ideen sammelt, sondern dass auch konkrete Gesetzentwürfe und Maßnahmen im Parlament und in der Bundesregierung beschlossen werden. Wir haben derzeit 1,3 Millionen anerkannt schwerbehinderte Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Damit ist der größte Teil der betroffenen Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig. 300 000 Menschen, die wesentlich behindert sind, arbeiten in Werkstätten. In den letzten Jahren war ein Aufwuchs an beschäftigten Menschen, die anerkannt schwerbehindert sind, auf dem ersten Arbeitsmarkt zu verzeichnen. Aufgrund des demografischen Wandels steigt die Zahl derer, die eine solche Behinderung aufweisen. Wenn sie arbeitslos werden, dann ist es umso schwieriger, sie wieder in den Arbeitsprozess zu bringen. Das müssen wir gemeinsam angehen.

Arbeit ist der Schlüssel für eine gelungene Teilhabe. Wir alle wollen den Paradigmenwechsel im Sinne der UN‑Behindertenrechtskonvention. Das heißt, es stehen nicht mehr die Defizite im Vordergrund, sondern die Potenziale, die die Menschen mitbringen. Unternehmen, die das Potenzial der Menschen nicht nutzen, behindern. Sie behindern nicht nur die betroffenen Menschen, sondern auch ihren eigenen wirtschaftlichen Erfolg. Wir müssen nicht mehr darum betteln, dass sie behinderte Menschen einstellen. Wir müssen den Unternehmern sagen: Wenn ihr nicht die Gelegenheit und die Förderinstrumente nutzt, um diese motivierten Menschen einzustellen, dann behindert ihr euer eigenes Unternehmen. – Das betrifft auch die Vorsorge, indem gutes Arbeitnehmerpotenzial frühzeitig in die Unternehmen geholt wird. Das ist das Entscheidende, und das ist auch im Sinne der Behindertenrechtskonvention der UN.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wichtig ist, dass wir entsprechende Informationen stärker an die Unternehmen herantragen. Wichtig ist auch, dass wir gute Geschichten erzählen und Beispiele anführen, damit die Unternehmen, die noch keine Erfahrungen gemacht haben, von denen, die bereits seit Jahren in diesem Bereich aktiv sind und Inklusion leben, positive Eindrücke vermittelt bekommen und merken, dass dies ein Potenzial ist, das in die Unternehmen einzustellen ist.

Wir müssen mit dem Teilhabegesetz ein weiteres zentrales Thema angehen. 60 Prozent der Zugänge in die Werkstätten sind Menschen mit einer psychischen Erkrankung bzw. einer psychischen Behinderung, die vom ersten Arbeitsmarkt kommen; das sind jährlich 13 000 Zugänge in die Werkstätten. Die eigentliche Kostendynamik auch bei der Eingliederungshilfe besteht darin, dass allein diese 13 000 zusätzlichen Werkstattplätze für psychisch behinderte Arbeitnehmer zu einer Kostensteigerung um jährlich etwa 300 Millionen Euro führt. Deshalb ist es so wichtig, dass wir die Schwerbehindertenvertretungen stärken.

Die Schwerbehindertenvertretungen sagen uns immer wieder, dass sie mehr Zeit brauchen. Das bedeutet in der Konsequenz mehr Freistellungen, damit sie in den Unternehmen ein Eingliederungsmanagement nach chronischen Erkrankungen und ein Frühwarnsystem in den Betrieben und Verwaltungen organisieren und betriebliche Gesundheitsprävention anschieben können, damit das Potenzial in den Unternehmen gehalten werden kann. Insofern sind Schwerbehindertenvertretungen keine Belastung, sondern eine Entlastung der Unternehmen und der Gesellschaft,

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

weil sie das wichtigste Kapital im Unternehmen stärken, nämlich die Menschen.

Werkstätten bleiben wichtig; aber sie müssen sich wandeln und verändern. Es gibt interessante Konzepte wie die virtuellen Werkstätten im Saarland. Es gibt auch verstärkt Ausgliederungen aus den Werkstätten durch Integrationsfirmen, die wir mit einem Förderprogramm von 150 Millionen Euro ausbauen wollen.

Es gibt aber auch Probleme. Beispielsweise hatten viele Werkstätten in Niedersachsen das Problem, dass die Umsatzsteuerermäßigung nur noch für Produkte und nicht mehr für personelle Dienstleistungen von den Finanzämtern berechnet wurde. Das hatte zur Konsequenz, dass die Werkstätten, die besonders kreativ sind und in Betrieben Wahlfreiheit und Möglichkeiten auf dem ersten Arbeitsmarkt entwickeln, steuerlich bestraft wurden. Ich danke unserem Bundesfinanzminister Herrn Schäuble, dass er gemeinsam mit den Finanzministern der Bundesländer diese falsche Steuerpolitik beendet hat und durch eine entsprechende Neuformulierung des Anwendungserlasses dafür gesorgt hat, dass nicht nur Produkte aus den Werkstätten, sondern auch personelle Dienstleistungen – auch auf dem ersten Arbeitsmarkt – steuerlich positiv bewertet und nicht diskriminiert werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die 850 Integrationsunternehmen sind Lotsenboote auf dem ersten Arbeitsmarkt. Diese Unternehmen – das sind Druckereien, Hotels, Gaststätten, Gartenbaubetriebe; sie stellen einen Querschnitt unserer Wirtschaft dar – zeigen, wie man auch mit einer Quote von 25 bis 30 Prozent behinderte Menschen wirtschaftlich arbeiten kann. Diese Unternehmen weisen in der Regel eine geringere Insolvenzrate auf als Betriebe in der übrigen Wirtschaft. Es gibt natürlich einen Minderleistungsausgleich durch einen Lohnkostenzuschuss. Diesen wollen wir mit dem Budget für Arbeit, über das wir im Zusammenhang mit dem Teilhabegesetz debattieren werden, dauerhaft gewähren. Nach unserer Auffassung sollten sich andere Unternehmen diese Integrationsunternehmen zum Vorbild nehmen, wenn sie schwerbehinderte Menschen einstellen oder sie länger beschäftigen wollen.

Wir wollen die Integrationsunternehmen nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ zu Inklusionsunternehmen weiterentwickeln. Dazu gehört beispielsweise eine präventive Öffnung dieser Unternehmen für psychisch erkrankte Arbeitnehmer ohne eine anerkannte Schwerbehinderung. Wir wollen nicht erst dann tätig werden, wenn eine entsprechende Diagnose vorliegt, sondern schon im Vorfeld, damit die betroffenen Arbeitnehmer erst gar nicht in die Werkstätten kommen, sondern in Integrationsunternehmen untergebracht werden, um eine Perspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt zu erhalten.

Wir wollen zudem Arbeitszeitmodelle entwickeln und fördern, die kurzzeitig sind. Wir wollen Hinzuverdienstmöglichkeiten für psychisch erkrankte Arbeitnehmer schon ab zwölf Stunden pro Woche schaffen, damit sich diese langsam auf dem ersten Arbeitsmarkt weiterentwickeln können. Wir wollen des Weiteren den Ausbildungsort „Integrationsunternehmen“ stärken, damit junge Menschen nicht mehr den klassischen Weg von der Förderschule in die Werkstatt einschlagen, sondern durch assistierte, begleitete und vernetzte Ausbildung Ausbildungsmöglichkeiten in den Integrationsunternehmen nutzen können. Dafür wollen wir Arbeitsassistenz und Jobcoaching mitfinanzieren.

Die Beauftragten der einzelnen Fraktionen für Menschen mit Behinderung haben eine Idee aus Österreich aufgegriffen. Ich finde das dortige Mentorenprogramm sehr spannend. Die Assistenz kommt dort nicht erst mit dem behinderten Arbeitnehmer von außen in das Unternehmen hinein. Vielmehr gibt es dort in den Unternehmen Mentoren, die sich um die Arbeitnehmer mit Handicap, die neu im Unternehmen sind, kümmern. Diese Mentoren, die die Belegschaften und die Arbeitsabläufe kennen, stehen den behinderten Arbeitnehmern zur Seite. Wir können, wenn es um konkrete Unterstützung in Unternehmen durch ein solches Mentorenprogramm geht, durchaus von Österreich lernen und sollten ein ähnliches Programm hier bei uns umsetzen. Diesen Aspekt sollten wir in den kommenden Debatten, die wir über die Schwerbehindertenvertretungen und das Bundesteilhabegesetz führen werden, aufgreifen.

(Beifall des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD])

Stärkung der Schwerbehindertenvertretung, Zahl der Integrationsunternehmen verdoppeln und diese qualitativ weiterentwickeln, die Durchlässigkeit der Werkstätten verbessern und ein Budget für Arbeit als dauerhaften Zuschuss auf dem ersten Arbeitsmarkt gewähren, das alles sind gute Dinge. Das, was im Antrag der Linken gut ist, machen wir. Was wir nicht machen, das ist nicht gut.

Ich freue mich auf die weitere Debatte.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Kerstin Tack [SPD])

Vielen Dank. – Als Nächste hat jetzt Corinna Rüffer, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6792290
Wahlperiode 18
Sitzung 167
Tagesordnungspunkt Arbeit für Menschen mit Behinderungen
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