28.04.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 167 / Zusatzpunkt 5

Thorsten FreiCDU/CSU - Flüchtlingsschutz in der Europäischen Union

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Göring-Eckardt, ich frage mich wirklich, warum Sie diese Rede hier im Deutschen Bundestag gehalten haben. Wenn ich mir die Situation in Europa anschaue, dann fällt mir vor allen Dingen eines auf, nämlich dass sich eine Regierung, und zwar die deutsche Bundesregierung und ganz namentlich die Bundeskanzlerin, mehr als alle anderen dafür eingesetzt hat, dass das europäische Problem der Migration von Flüchtlingen auch europäisch gelöst wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das, was Sie als „kleine Schritte“ bezeichnet haben – etwa das Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei –, ist ja auf das Engagement von niemand anderem als der Bundeskanzlerin zurückzuführen.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Schlimm genug!)

Deshalb frage ich mich, warum Sie dieses Engagement bzw. diesen Einsatz nicht dort bringen, wo er tatsächlich notwendig wäre.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie meinen, ich soll in das ungarische Parlament gehen und dort reden?)

– Lassen Sie mich zunächst ein paar Sätze sagen. Dann können Sie sie ja gerne kommentieren. – Denn es ist ja beispielsweise so, dass es darum geht, für diese Aufgabe eine gemeinsame Lösung zu finden. Ich glaube, wir sind da auf einem ganz guten Weg.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Nein, sind wir nicht! Überhaupt nicht!)

Man muss nur eben auch die Rahmenbedingungen berücksichtigen. Deutschland ist schließlich nicht als ein isoliert zu betrachtender Akteur auf internationaler Bühne tätig, sondern wir hatten gerade in den letzten Wochen und Monaten die Situation, dass 28 Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission jeweils Partikularinte­ressen vertreten haben, dass nicht der einigende, inte­grationsorientierte Geist prägend war, der eigentlich die Europäische Union zusammenhalten sollte, sondern Einzelinteressen. In einer solchen Situation ist es, glaube ich, notwendig, diese zu überwinden, wieder zur Solidarität zurückzukehren und dafür zu sorgen, dass auch diejenigen, die nicht unmittelbar selbst betroffen sind, tatsächlich mit in die Überlegungen einbezogen werden. Genau das war der Weg der Bundesregierung: eine Lösung nicht nur für das eigene Land, für sich selbst zu finden, sondern für alle europäischen Länder, die davon betroffen sind.

Wenn ich genau in Ihren Antrag, der wenig Erhellendes und eigentlich nichts Neues beinhaltet, schaue, dann fällt mir natürlich auf, dass darin durchaus sinnvolle Akzente gesetzt werden.

(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Frei, Sie widersprechen sich!)

Ja, es ist richtig, dass wir diejenigen, die schutzsuchend nach Europa kommen, aufnehmen. Dabei geht es um Flüchtlinge, aber nicht um Arbeits- und Wirtschaftsmigranten. Da müssen wir, glaube ich, sehr genau unterscheiden. Hinsichtlich derer, die hierbleiben können, brauchen wir auch eine angemessene Lastenverteilung in Europa.

Herr Kollege Frei, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Baerbock?

Ja, bitte schön.

Vielen Dank. – Herr Kollege Frei, wir haben jetzt ja mehrfach betont, warum wir diesen Antrag stellen und warum wir ihn hier eingebracht haben. Wir waren gestern zusammen im Europaausschuss und hatten dort Vertreter des UNHCR zu Gast. Diese haben sehr deutlich gemacht, dass es ein großes Problem gibt – das ist auch der erste Punkt in unserem Antrag –, nämlich dass von den 160 000 Menschen, für die die Umverteilung zugesagt wurde, erst eine Handvoll verteilt wurde und dass Deutschland nicht unter den vier Ländern ist, die eine ihrer Quote entsprechende Zahl an Menschen aufgenommen haben.

Deswegen gebe ich die Frage, die wir auch im Ausschuss immer wieder thematisiert haben, an Sie als Vertreter einer der Regierungsfraktionen zurück. Wenn Sie sagen, Sie wissen nicht, was Deutschland tun kann und soll, frage ich Sie: Wie und wann werden Sie sich dafür einsetzen, dass Deutschland die Menschen, für die die Umverteilung aus Griechenland, zum Beispiel aus Idomeni, zugesagt wurde, aufnimmt, und warum bringen Sie dazu keine eigenen Vorschläge auf den Weg?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Zunächst einmal, Frau Kollegin Baerbock, ist es so, dass Deutschland seine Zusagen auch bei diesem Thema einhalten wird.

(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann? – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wie denn? Und wann vor allen Dingen?)

Aber ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass im vergangenen Jahr, also 2015, 1,5 Millionen Flüchtlinge nach Europa gekommen sind, und davon 1,1 Millionen nach Deutschland. Sie, Frau Göring-Eckardt, haben vorhin in Ihrer Rede gesagt, dass Griechenland und Italien überfordert seien. Sie sollten sich einmal die Vergleichszahlen ansehen. Im vergangenen Jahr gab es in Italien 60 000 Asylbewerber. Dieses Jahr sind bereits 28 000 Menschen in Italien angekommen. Diese Zahlen zeigen jedenfalls, wo der Schwerpunkt der Aufnahme von Flüchtlingen in Europa liegt. Deswegen ist Ihre Fragestellung aus meiner Sicht falsch.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Abg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Jetzt möchte ich mit meiner Rede fortfahren und darauf hinweisen, dass es natürlich am Ende des Tages einerseits darum geht – das sind zwei Seiten einer Medaille –, diejenigen zu schützen, die schutzbedürftig nach Europa kommen, und andererseits darum, sie in Europa gleichmäßig und nach objektiven Kriterien zu verteilen. Das wird aber nur dann gelingen, wenn wir eine Begrenzung, Reduzierung, Steuerung und Ordnung der Migration nach Europa hinbekommen. Anders wird dieses Ziel nicht erreichbar sein. Deswegen war es richtig, internationale Abkommen zu schließen und mehr für Grenzschutz aufzuwenden, ganz im Gegensatz zu dem, was Sie in Ihrer Rede, Frau Göring-Eckardt, gewünscht haben. Unter diesen Voraussetzungen wird es gelingen, die Aufgabe zu bewältigen.

Es geht doch – das ist ja vollkommen richtig – nicht nur um die Balkanroute, es geht nicht nur um die Türkei und um den Nahen und Mittleren Osten. Wenn man sich vor Augen führt, dass allein in Libyen 1 bis 1,2 Millionen Flüchtlinge auf gepackten Koffern sitzen, dass von den 60 Millionen weltweit Flüchtenden, von denen die UN spricht, sich etwa ein Drittel auf dem afrikanischen Kontinent befindet, dass die Bevölkerung in Afrika sich bis 2050 auf mehr als 2,5 Milliarden Menschen verdoppeln wird und damit fünfmal größer sein wird als die Bevölkerung der Europäischen Union, dann wird doch klar, dass man die Probleme nicht allein durch Aufnahme bewältigen wird. Vielmehr muss es auch darum gehen, Fluchtursachen zu bekämpfen.

Man muss also nicht nur sichere Wege nach Europa schaffen, sondern vor allen Dingen auch in den Herkunftsländern helfen.

(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Aber das machen Sie doch nicht! Sie schaffen doch neue Fluchtursachen!)

Und das tun wir, liebe Frau Vogler. Schauen Sie sich die Geberkonferenz in London Anfang Februar an, bei der 9,7 Milliarden Euro gesammelt wurden und Deutschland mit 2,3 Milliarden Euro der bilateral größte Geber war. Schauen Sie sich an, dass wir nicht nur dafür sorgen, dass die Ernährung in den Lagern rund um Syrien sichergestellt ist, sondern auch dafür, dass Perspektiven für Bildung, für Arbeit – Stichwort: Cash for Work – und für Gesundheitsversorgung gegeben sind. Ich glaube, dass unsere Politik exakt richtig ist. Und darüber hinaus müssen Sie sehen, dass wir uns nicht nur in den Anrainerstaaten Syriens engagieren, sondern beispielsweise mit der Flüchtlingsfazilität an die Türkei auch einen eigenen Anteil in Höhe von 430 Millionen Euro aufwenden. ­Exakt das ist die Politik, die richtig ist, um die Herausforderungen zu bewältigen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Kollege Frei, gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage, dieses Mal von der Kollegin Hänsel?

Bitte schön.

Danke schön, Herr Kollege Frei. – Ich will da noch einmal nachhaken, weil Sie gerade auf das wichtigste Thema zu sprechen gekommen sind, nämlich die Bekämpfung der Fluchtursachen. Sie haben in diesem Zusammenhang ja auch den afrikanischen Kontinent erwähnt. Aber Sie heben jetzt nur auf die Entwicklungspolitik ab und darauf, dass wir einige Projekte finanzieren. Sie müssen aber doch endlich die strukturellen Ursachen angehen, derentwegen viele Menschen aus Afrika nach Europa kommen. Sie kommen zum Beispiel wegen der Perspektivlosigkeit, für die die Europäische Union mit ihrer Handelspolitik verantwortlich ist. Dazu hört man von Ihnen gar nichts, im Gegenteil. Jetzt, wo es um neue Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, eine Art TTIP für Afrika geht, stimmt das Kabinett zu. Da machen Sie mit. Sie betreiben den Handel wie bisher weiter. Es gibt keine Initiative der Bundesregierung auf europäischer Ebene, die zum Ziel hat, endlich eine gerechte Handelsstruktur zu befördern, die Menschen eine Perspektive in ihren Ländern bietet. Im Gegenteil: Durch europäischen Handel wird so viel zerstört. Warum ist das bei Ihnen kein Thema?

(Beifall bei der LINKEN)

Weil ich wahrscheinlich im Gegensatz zu Ihnen davon überzeugt bin, dass Freihandel dazu führt, dass für alle Beteiligten mehr Wertschöpfung, mehr Arbeitsplätze und mehr Wohlstand entstehen.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Frei!)

Das bringt mich zu einem weiteren Punkt im Antrag der Grünen. So wird darauf eingegangen, dass es in den kommenden zehn Jahren in Deutschland Wohlstandsverluste mit einem Volumen von 77 Milliarden Euro durch Grenzkontrollen geben könnte. Es ist natürlich total unglaubwürdig, sich einerseits mit allen Möglichkeiten gegen ein Freihandelsabkommen mit Nordamerika zu engagieren und einzusetzen, wenn andererseits klar ist, dass mit jeder Milliarde zusätzlichen Exports 5 000 bis 7 000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Das gilt grundsätzlich und ist immer richtig. Deswegen ist Freihandel, der in einem ordentlichen Rahmen stattfindet, etwas Positives und Gutes, und zwar für alle Seiten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich zum Schluss noch auf einen Punkt eingehen, der mir im Antrag der Grünen ebenfalls unangenehm aufgefallen ist, nämlich die Forderung, dass die Europäische Union die Mitgliedstaaten in den Bereichen Kita, Ausbildung, Schule, Universitäten, Gesundheitsversorgung, psychosoziale Versorgung etc. unterstützen sollte.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Nein, es geht um folgenden Punkt: Jede Ebene hat ihre Zuständigkeiten, und das, was Sie in Ihrem Antrag letztlich fordern, ist ein bürokratisches Monstrum Europa. Das wollen wir aber nicht. Wir wollen, dass sich Europa um die wichtigen und entscheidenden Fragen kümmert.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gesundheit gehört nicht dazu?)

Das geht nur, wenn man letztlich das Subsidiaritätsprinzip berücksichtigt, also dafür sorgt, dass Aufgaben, die auf unterer Ebene anzusiedeln sind, dort auch erledigt werden, egal ob auf kommunaler, regionaler oder nationaler Ebene. Es ist richtig: Europa muss die großen Fragen klären. Wenn es sich aber an den kleinen Fragen verhebt und verschluckt, dann ist dem Ganzen ein Bärendienst erwiesen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6792428
Wahlperiode 18
Sitzung 167
Tagesordnungspunkt Flüchtlingsschutz in der Europäischen Union
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta