Christoph BergnerCDU/CSU - Flüchtlingsschutz in der Europäischen Union
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Göring-Eckardt, fast hätte ich mich bei Ihnen bedankt, dass Sie mit Ihrer Antragsinitiative die Mitteilung der Europäischen Kommission zur Reform des Asylsystems hier im Bundestag thematisieren und dass Sie Beziehungen zu einer Debatte auf europäischer Ebene herstellen, die stattgefunden hat; denn Ihre Fraktion hat im Europäischen Parlament einen Antrag eingebracht, der Ihrem Antrag, den Sie heute hier vorlegen, im Übrigen sehr ähnlich ist.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Logisch!)
Aber im Grunde genommen haben wir die üblichen Pauschalreden erlebt, die sich in dem Lob der Willkommenskultur und dem Geißeln von Abgrenzung und Abschottung erschöpft haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte dringlich appellieren, dass wir uns der vor uns liegenden Aufgabe etwas ernsthafter stellen.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!)
Es besteht die dringende Notwendigkeit, das Gemeinsame Europäische Asylsystem zu reformieren, und dies ist weiß Gott keine einfache Aufgabe.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich möchte daher beispielhaft Bezug nehmen auf ein Problem, das mich in den letzten Monaten besonders umgetrieben hat.
Der Vizepräsident der EU-Kommission Timmermans hat bei der Vorstellung des Kommissionsberichts gesagt: Die Flüchtlingskrise hat die Schwächen des bestehenden europäischen Asylsystems offengelegt. Ich würde ergänzen: Die Flüchtlingskrise hat im vergangenen Jahr eine tiefe Kluft innerhalb der Mitgliedstaaten gerissen, insbesondere was die östlichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union angeht. Während der luxemburgischen Ratspräsidentschaft hat Außenminister Asselborn den Ministerpräsidenten Ungarns, Orban, mit Kim Il-sung verglichen, weil er die EU-Außengrenze schützte. Orban hat sich revanchiert mit dem Vorwurf, die deutsche Flüchtlingspolitik sei ein Zeichen eines moralischen Imperialismus. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir sind die Beitrittsstaaten der Jahre 2004, 2007 und 2013 viel zu wichtig, als dass mich diese Kluft, die hier aufgegangen ist, nicht umtreibt.
Ich habe zahllose Gespräche in unterschiedlichen Gremien und auf unterschiedlichen Podien geführt und muss sagen: Wir haben mindestens zwei Problemkreise, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben. Zum einen ist da der Umstand – das ist der erste Komplex –, den ein slowakischer Kollege in einem Gespräch mit mir so charakterisiert hat – das war im November vergangenen Jahres –: Stell dir vor, der Lebensstandard und das Wirtschaftsniveau wären in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union so wie in der Slowakei oder in Rumänien. Glaubst du, dass es eine Migrationskrise gäbe? Glaubst du, dass die Zahl der Migranten so hoch wäre wie die, mit der wir uns im Moment auseinanderzusetzen haben? – Ich konnte ihm eigentlich nicht mit großer Überzeugung widersprechen.
Das ist das eine Problem, mit dem wir uns auseinanderzusetzen haben. Europa ist für viele bedrückte Menschen dieser Erde verständlicherweise ein Sehnsuchtsort. Doch das ist eine diffuse Umschreibung. Dahinter stehen konkrete Sehnsuchtsorte, häufig Deutschland. Deshalb ist jede Möglichkeit einer Umverteilung, einer Relocation, die die Kommission mit Variante zwei richtigerweise vorschlägt – Herr Spinrath, da gebe ich Ihnen recht –, mit ausgesprochen großen Schwierigkeiten verbunden. Wie wollen wir Sekundärmigration verhindern, wenn Leute einem Land wie Rumänien zugeteilt werden, in dem die Hilfen für Asylbewerber etwa 10 Prozent der Hilfen für Asylbewerber in der Bundesrepublik Deutschland ausmachen?
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Aufnahmebedingungen! Gleiche Standards! Dafür müssen Sie doch kämpfen wollen!)
Glauben wir wirklich, dass wir die von der Kommission vorgeschlagenen einheitlichen Hilfsmaßstäbe erreichen können? Im Ergebnis würde doch der Hilfssatz für Flüchtlinge in Rumänien weit über dem Mindestlohn im Land liegen.
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht der Punkt! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Standards!)
Das sind Fragen, mit denen wir uns beschäftigen müssen, mit denen wir umgehen müssen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie falsch verstanden!)
Die Kommission schlägt vor, dass wir gewissermaßen verbindliche Residenzpflichten einführen. Wie wollen wir das mit unserem Verständnis von Freiheit vereinbaren? Diese Punkte würde ich gerne thematisieren. Damit müssen wir uns beschäftigen.
Der zweite Komplex, um den es bei dem Verhältnis zu den östlichen Mitgliedstaaten geht, ist die unterschiedliche Sichtweise auf das Flüchtlingsproblem.
Herr Kollege Bergner, gestatten Sie zum Ende Ihrer Redezeit noch eine Zwischenfrage der Kollegin Amtsberg?
Sehr gern, wenn ich danach noch wenigstens zwei Sätze sagen darf.
Die zwei Sätze sind zugestanden.
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gefährlich! Das kenne ich!)
Lieber Herr Kollege Bergner, Sie haben viel darüber gesprochen, welche Antworten wir als Grünenfraktion in unserem Antrag nicht liefern und welche unserer Antworten falsch sind. Sie haben auch viel über die fehlenden Antworten der Kommission gesprochen, und Sie haben viel über die fehlende Bereitschaft gesprochen, sich dieser Frage in Europa zuzuwenden.
Ich frage Sie jetzt ganz konkret: Was sind Ihrer Auffassung nach die nächsten dringlichen Schritte, um zu einer europäischen Flüchtlingspolitik zu kommen? Welche konkreten Maßnahmen wünschen sich die regierungstragenden Fraktionen, vornehmlich natürlich Ihre Fraktion, auch von der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung, um wieder zu einem gemeinsam getragenen europäischen Asylsystem zu kommen? Oder bleibt es allein bei der Kritik?
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Frau Kollegin, ich kann an das anknüpfen, was die Kollegin Lindholz gesagt hat: Solange wir keine neue Regelung haben, muss das bestehende Recht gelten. Das ist eine ziemlich klare Sache. Ein rechtloser Zustand ist immer schlechter als ein Zustand mit einem – zugegeben – unzureichenden Recht.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zweitens. Sie können uns von den regierungstragenden Fraktionen doch nicht den Vorwurf machen, und der Bundeskanzlerin am wenigsten, dass wir nicht wirklich alles darangesetzt haben, eine gemeinsame Lösung zu finden.
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht Blick zurück! Nach vorne! Wie geht es weiter?)
Ich kann als Antwort auf Ihre Frage nur an Sie appellieren: Das, was wir als Antwort gefunden haben und was nicht anders als über ein Abkommen mit der Türkei möglich ist, sollten Sie nicht ständig diskreditieren. Sie sollten nicht ständig von einem Türkei-Deal, von einem Kniefall vor Erdogan usw. sprechen.
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war nicht die Frage!)
Das ist die einzige Chance einer wirklich europäischen Lösung gewesen. Dies sollten auch Sie akzeptieren.
(Beifall bei der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine uneuropäische Lösung!)
Die Schwierigkeit, mit der wir es zu tun haben, besteht darin, dass wir es in Europa – das macht sich an der Slowakei und an Ungarn fest – mit zwei ganz unterschiedlichen und hart aufeinandertreffenden gegensätzlichen Narrativen zu tun haben. Orban spricht von Völkerwanderung; wir sprechen von Willkommenskultur. Das sind zwei einander völlig ausschließende Narrative. Ich selbst suche nach Möglichkeiten, wie man hier – denn als Europäer brauchen wir den Konsens – zu einer Verständigung kommen kann.
Die Ackermann-Gemeinde hat in Brünn ein Dialogforum über die Frage veranstaltet, wie viel Vielfalt unsere Gesellschaften vertragen. Ein Student von der Masaryk-Universität sagte am Schluss seines Beitrages zu dieser Frage – Herr Präsident, mit dem Zitat würde ich gern schließen –: Man kann auf diese Frage mit einem billigen Hurra-Optimismus reagieren, der aber nichts löst und dem Ernst der Lage nicht angemessen ist. Man kann sich auch schadenfroh über die Political Correctness und über das Versagen der Multikultigesellschaft lustig machen. Doch muss dem, der diesen Weg gehen will, eines klar sein, und zwar, dass er sich unterwegs schnell in einer Gesellschaft wiederfindet, die ihn mehr und mehr dazu drängen wird, sich die Lustigkeit und die Schadenfreude ganz abzugewöhnen.
Meine Damen und Herren, das ist die Schwierigkeit, wie ich sie fühle, und so möchte ich an Sie appellieren, dass wir den Weg der Verständigung trotz sehr gegensätzlicher Meinungen zu dieser Frage in Europa suchen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das war jetzt noch ein ausführlicher letzter Satz. Damit ist die Aussprache beendet.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/8244 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Über die Federführung herrscht Uneinigkeit.
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schade!)
Deshalb werden wir darüber abstimmen. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim Innenausschuss. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht die Federführung beim Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union.
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört sich irgendwie logisch an!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6792544 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 167 |
Tagesordnungspunkt | Flüchtlingsschutz in der Europäischen Union |