28.04.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 167 / Tagesordnungspunkt 13

Norbert MüllerDIE LINKE - Engagement für Geflüchtete

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir leben in Zeiten gesellschaftlicher Polarisierung. Die eine Seite dieser gesellschaftlichen Polarisierung diskutieren wir häufig mit Sorge. Sie verbinden wir mit starken Wahlergebnissen der AfD. Sie verbinden wir aber auch damit, dass Rassismus Hochkonjunktur hat, dass sich jeder noch so kleine Nazi und Rassist wieder in die Öffentlichkeit wagt und dass sich die Grenzen dessen, was gesagt und getan werden kann, anscheinend Woche für Woche verschieben. Wenn Alexander Gauland sagt, man werde die Politik hier bis aufs Messer bekämpfen, dann meint er übrigens uns alle. Vor allen Dingen meint er jene Menschen, die millionenfach Flüchtlingen helfen.

Aber es gibt eine zweite Seite der gesellschaftlichen Polarisierung. Diese zweite Seite ist die größte soziale Bewegung seit Jahrzehnten, möglicherweise die größte soziale Bewegung in der Geschichte der Bundesrepublik. Millionen Menschen leisten in der Geflüchtetenhilfe Wunderbares im Kleinen wie im Großen, völlig unkoordiniert, völlig ungesteuert und für viele völlig überraschend.

Warum für viele völlig überraschend? Weil in einer Gesellschaft, in der der Ellenbogen das beliebteste Mittel der Durchsetzung ist, die auf Vereinzelung ausgerichtet ist, in der der Geist des Neoliberalismus in die Köpfe eingezogen ist, es eben nicht erwartbar war, dass Menschen aus einem inneren Impuls heraus – nennen wir es christliche Nächstenliebe, nennen wir es Humanismus, nennen wir es Solidarität; das ist völlig egal – massenhaft Menschen sagen: Wir helfen Menschen, denen es schlechter geht als uns, mit Zeit, mit Geld, mit Spenden, mit Unterstützungsleistungen. Sie helfen diesen Menschen mit viel mehr als nur mit Wasserflaschen und Ersthilfen.

Es ist anders, als es zunächst erzählt wurde. Wir haben heute an nahezu allen Orten, wo Geflüchtete untergebracht werden, Willkommensinitiativen, aber wir haben inzwischen auch ganz viele ganz normale Vereine, Initiativen der Zivilgesellschaft, die mit Geflüchteten arbeiten, die sie bei sich integrieren.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD])

Ich will ein Beispiel aus meinem Wahlkreis nennen, mit dem ich eng verbunden bin. In Potsdam gibt es den Fußballverein SV Babelsberg 03. Er hat vor anderthalb Jahren die erste Geflüchtetenmannschaft initiiert, die inzwischen im Regelbetrieb der Kreisklasse Havelland spielt. Der Flüchtlingstrainer der Mannschaft, der aus Mazedonien kommt, sollte mit seiner Familie vor wenigen Monaten abgeschoben werden. Das heißt, wir haben hier einen Verein, der in einer schwierigen Situation sagt: Wir ermöglichen Geflüchteten, in einer eigenen Mannschaft zu spielen. Wir ermöglichen ihnen, im Regelbetrieb zu spielen. Wir helfen ihnen auch, für ihre Kinder Schulplätze oder Kitaplätze zu finden. Wir überlassen das ein Stück weit – das fordert ja auch der Antrag der Grünen – der Selbstorganisation der Flüchtlinge. Das heißt, wir helfen ihnen nicht nur unmittelbar, sondern wir geben ihnen die Möglichkeit, selber etwas auf die Beine zu stellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dem Kopf der ganzen Truppe sagt man dann: Du kommst blöderweise aus Mazedonien. Das ist jetzt ein sicherer Herkunftsstaat. Deswegen schieben wir dich ab. – Mit politischem Druck konnte das verhindert werden.

Das ist eine Erfahrung, die Menschen in der Flüchtlingshilfe gerade täglich machen, weil täglich Menschen dieses Land wieder verlassen müssen, die bereits gut integriert waren, die seit vielen Jahren hier leben, deren Kinder hier geboren wurden – so wie auch die Kinder von Zahirat Juseinov, dessen Abschiebung wir verhindern konnten.

(Beifall bei der LINKEN)

Das sind Menschen, die überhaupt nicht verstehen, wie wir im Deutschen Bundestag darüber reden können, Geflüchtete stärker zu unterstützen, wenn gleichzeitig Menschen, die sich erfolgreich integriert haben, aus diesem Land abgeschoben werden mit den Worten: Ihr habt jetzt eben Pech gehabt. Ihr kommt aus einem sicheren Herkunftsstaat – warum auch immer –; ihr dürft hier nicht sein. – Ich finde, das ist eine Sabotage der hervorragenden Arbeit von Menschen in Initiativen für Geflüchtete, die nicht hinnehmbar ist. Ich finde, es hätte dem Antrag gutgetan, wenn dieser Aspekt angesprochen worden wäre, wenn deutlich gemacht worden wäre: Wir sind dafür, dass Menschen, die sich hier integriert haben, ein Bleiberecht haben,

(Beifall bei der LINKEN)

und wir sind dafür, dass für Menschen in Not die Grenzen hier offen sind.

Ein letztes Wort zu den Grünen. Ihr Antrag enthält viel Richtiges

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Prima!)

und viel Wichtiges, aber ich hätte auch ein Wort der Selbstkritik erwartet – das wäre eine gute Gelegenheit gewesen –; denn für eine Politik der Abschreckung und Abschottung haben auch Ihre Landesminister im Bundesrat die Hand gehoben

(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach herrje!)

und sind damit mitverantwortlich dafür, dass die Liste der sicheren Herkunftsstaaten länger wurde und dass Menschen, die sich in diesem Land erfolgreich integrieren konnten, heute abgeschoben werden.

(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Setzen, Thema verfehlt!)

Ich finde, an dieser Stelle sollten wir gemeinsam dafür sorgen, dass das nicht mehr passiert, dass die Liste der sicheren Herkunftsstaaten nicht verlängert wird, damit Menschen, die auch durch zivilgesellschaftliche Initiative und zivilgesellschaftliches Engagement hier gut integriert sind, bleiben dürfen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von Ihrer Rede können sich die Engagierten überhaupt nichts kaufen!)

Für die SPD-Fraktion hat jetzt die Kollegin Svenja Stadler das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6792822
Wahlperiode 18
Sitzung 167
Tagesordnungspunkt Engagement für Geflüchtete
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