29.04.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 168 / Tagesordnungspunkt 24+ZP6+7

Sylvia Kotting-UhlDIE GRÜNEN - Tschernobyl und Fukushima - Risiken der Atomkraft

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Frau Ministerin, auch die Fraktion der Grünen gratuliert Ihnen natürlich. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben heute als Koalition einen Antrag vorgelegt, der viele richtige Forderungen enthält, die wir weitgehend teilen, die allerdings bei weitem nicht ausreichend sind, um dem Gedenken an Tschernobyl und Fukushima auch nur im Ansatz gerecht zu werden. Deswegen werden wir uns heute enthalten.

Sie fordern in diesem Antrag unter anderem eine europäische Erinnerungskultur an die Katastrophe von Tschernobyl. Ich muss sagen: Diese Erinnerungskultur würde ich mir manchmal auch hier im Hohen Haus wünschen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn ich Ihre Reden höre, Herr Kanitz, muss ich bei aller sonstigen Wertschätzung, die wir uns durchaus gegenseitig manchmal ausdrücken, sagen: Sie werfen uns beständig vor, wir würden Ängste schüren und Panik machen, aber Sie reden Risiken herunter. Das machen Sie, und das ist deutlich unangemessener.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

In dem Antrag wird auch ein Lob für Japan ausgesprochen in der Hinsicht, Japan habe alles richtig gemacht und umgehend reagiert. Ich muss sagen: Nein, das stimmt nicht. Ich habe mit Menschen der früheren Stadtverwaltungen der toten Städte in der 9-Kilometer-Zone geredet. Sie haben mir erzählt, wie es danach war. Sie haben mir gesagt, dass Informationen nicht gegeben wurden, dass die Menschen nicht wussten, was zu tun war, dass Katastrophenpläne nicht funktionierten und es bis zu einem Jahr dauerte, bis Orte, die 4 oder 5 Kilometer neben den havarierten Reaktoren lagen, evakuiert waren. Ich will aber auf Japan gar nicht schimpfen. Ich will ehrlich sagen – deswegen ärgert mich auch dieses Herunterreden des Risikos so –: Jedes Land auf dieser Welt wäre bei der Bewältigung eines GAUs überfordert, jedes Land.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das Lob für unser eigenes Land kann ich auch nicht uneingeschränkt teilen. Ja, wir haben im europäischen und vor allem im weltweiten Vergleich hohe und gute Sicherheitsstandards. Aber was ist zum Beispiel in Gundremmingen mit der mangelhaften Nachkühlversorgung? Was ist in Gundremmingen mit der mangelhaften Auslegung der Erdbebensicherheit gerade dieser Nachkühlsysteme? Was ist mit der Häufigkeit der Precursor-Zwischenfälle? Was ist mit der bayerischen Atomaufsicht, die all das herunterspielt, die das genauso herunterredet, Herr Kanitz, wie Sie in Ihren Reden die Risiken herunterreden? Was ist damit?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Was ist bezüglich der Vortäuschung von Untersuchungen im Hinblick auf die Instrumente, die man braucht, um die Sicherheit zu überprüfen? Ja, das wird jetzt aufgeklärt. Und: Ja, es ist nichts passiert. Aber zu Betrügereien und Schlampereien wie in Fessenheim, die zum Ausfall von Sicherheitseinrichtungen führen, darf es nicht kommen. Sie, Herr Kanitz, sagen: Es ist doch nichts passiert. – Auch die französische Atomaufsicht sagt: Es ist doch nichts passiert. – Das ist aber kein Anlass, zu sagen: Es ist alles gut. – Es geht doch nicht darum, wie es ausgeht, sondern um die Frage: Was hätte passieren können?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Quintessenz ist: Weder die Technik noch der Mensch können bei Atomkraftwerken für hundertprozentige Sicherheit garantieren. Die Folgeauswirkungen der Technologie Atomkraft sind, wenn etwas passiert, zu massiv und zu gravierend, als dass man die damit einhergehenden Sicherheitsdefizite, die Mensch und Technik notwendigerweise mit sich bringen, akzeptieren kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Ich komme noch auf zwei Punkte zu sprechen; viel mehr Zeit bleibt mir leider nicht. Zunächst zur Forschung. Wie ich gesehen habe, wird Herr Lengsfeld neun Minuten darüber reden.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Uns bleibt auch nichts erspart! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh nein! – Muss das sein?)

Er wird vermutlich wieder loben, wie toll das alles ist und wie notwendig internationale Forschung ist.

(Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Es tut mir ja leid, Frau Kollegin, aber so ist es nun einmal!)

Ich möchte Ihnen nur eines sagen: Wir steigen hierzulande aus der Atomkraft aus, und das mit der Begründung, dass das Risiko der Bevölkerung nicht mehr zumutbar ist; das waren die Worte von Frau Merkel, und sie waren völlig richtig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Aber wir erforschen mit unserem öffentlichen Geld, mit Steuergeld, Technologien, deren Anwendung den Wiedereinstieg in atomare Technologie, ja sogar in atomare Großtechnologie bedeuten würde. Bei der Transmutation geht es um Stichworte wie Brüdertechnologie, Wiederaufarbeitungsanlagen und, und, und. Solche Technologien erforschen wir, wie gesagt, mit unserem Geld, um sie in anderen Ländern anwenden zu lassen.

Gerade wird darüber entschieden, ob einer Empfehlung des Rates zugestimmt wird, in der steht: Wir wollen die Ausweitung der europäischen und der deutschen Nuklearindustrie in noch unerschlossene Märkte unterstützen. – Das heißt, wir unterstützen mit unserem öffentlichen Geld die Anwendung und Einführung einer solchen Technologie in Ländern, die heute vielleicht noch gar nichts damit zu tun haben, also die Anwendung einer Technologie, von der wir aus gutem Grund alle miteinander gesagt haben: Das damit verbundene Risiko ist unserer Bevölkerung nicht mehr zumutbar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, ist nicht glaubwürdig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das Wort erhält nun der Kollege Oliver Kaczmarek für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6794491
Wahlperiode 18
Sitzung 168
Tagesordnungspunkt Tschernobyl und Fukushima - Risiken der Atomkraft
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