Florian OßnerCDU/CSU - Tschernobyl und Fukushima - Risiken der Atomkraft
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Bulling-Schröter, ich bedanke mich zu Beginn meiner Rede ganz herzlich: Derartige Lobeshymnen auf CSU-Politiker seitens der Linken und auch von Ihnen ist man tatsächlich gar nicht gewohnt. Noch einmal besten Dank dafür.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das Datum 26. April 1986, welches sich in dieser Woche zum 30. Mal gejährt hat, wird für immer unauslöschlich mit dem Wort „Tschernobyl“ verbunden sein. Die Reaktorkatastrophe dort hat uns genauso wie das Unglück am 11. März 2011 in Fukushima drastisch vor Augen geführt, welche Risiken mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie verbunden sind. Mein tiefes Mitgefühl – das haben auch schon meine Vorredner zum Ausdruck gebracht – gilt natürlich zuallererst den Hinterbliebenen der Opfer und all jenen, die bis heute unter den Folgen leiden.
Berücksichtigen sollte man hierbei aber auch die rund 600 000 Menschen, die von der damaligen Sowjetunion als sogenannte Liquidatoren eingesetzt waren und ihre Arbeit ohne einen besonderen Schutz bzw. ohne Kenntnis über die enorme Strahlenbelastung, der sie ausgesetzt waren, verrichtet haben. Der Umstand, dass die Katastrophe ihren Ursprung in einer staatlich angewiesenen Übung hatte, zeigt doch sehr deutlich, wie teilweise menschenverachtend das System in der damaligen Sowjetunion war.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Auch müssen wir uns immer wieder bewusst sein, dass über 300 000 Menschen in Tschernobyl und 185 000 Menschen in Fukushima aufgrund dieser beiden schweren Unglücke ihre Heimat verloren haben. Große Anerkennung gilt bei dieser Debatte all den vielen Initiativen, Organisationen und Einzelpersonen, die sich in der Folge der beiden Unglücke für die Opfer von Tschernobyl und Fukushima eingesetzt und engagiert haben und die es heute noch mit viel Hingabe tun. Herzlichen Dank für diese großartige Leistung.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Heimat Niederbayern war noch Mitte des letzten Jahrhunderts eine der ärmsten Regionen Deutschlands. Heute gilt sie als einer der attraktivsten Lebensräume Europas mit innovativen Arbeitsplätzen, Vollbeschäftigung und sehr hoher Lebensqualität.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)
In meinem Wahlkreis in der Region Landshut und Kelheim bin ich vom Atomausstieg und möglichen Risiken durch die grenznahen Kernkraftwerke direkt betroffen. 2022 – das hat die Frau Bundesministerin schon gesagt – geht in Essenbach/Niederaichbach mit Isar 2 das letzte KKW in Deutschland vom Netz. Die Kraftwerke Isar 1 und Isar 2 haben in den letzten Jahrzehnten einen maßgeblichen Beitrag zur Versorgungssicherheit in ganz Süddeutschland geleistet und damit auch für die starke Entwicklung unserer Heimat.
Deswegen ist es mir wichtig und ein persönliches Anliegen, im Rahmen dieser Debatte die Gelegenheit zu nutzen, den vielen Beschäftigten in den deutschen Kernkraftwerken für ihre gute und zuverlässige Arbeit für unsere Sicherheit ein großes Lob auszusprechen. Ohne dieses Engagement hätten wir das große Vertrauen in diese Technologie nicht erreicht.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, wie wir heute wissen, kam es aufgrund eines unzulässigen Experiments mit dem Turbinen-Generator-Satz der Kraftwerksanlage zu dem Unfall in Tschernobyl. Durch eine ganze Reihe von Bedienungsfehlern der unzureichend ausgebildeten Betriebsmannschaft – das ging bis hin zur vorsätzlichen Überbrückung von Abschaltsignalen – kam es zu einem sehr starken Leistungsanstieg bis zum Hundertfachen der Nennleistung. Erschwerend kamen natürlich noch die ungünstigen reaktorphysikalischen und sicherheitstechnischen Eigenschaften des RBMK-Reaktors, des sogenannten Tschernobyl-Typs, hinzu. Ein solcher Reaktor wäre hierzulande nie genehmigt worden; denn die Sicherheitsphilosophie und ‑standards der ehemaligen Sowjetunion entsprachen bei weitem nicht den schon damals sehr strengen deutschen Anforderungen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ähnliches gilt auch für den Reaktorunfall in Fukushima. Die unzureichende Auslegung der Anlagen gegen Tsunamis war hier die wesentliche Ursache für die Ereignisabläufe. Auch in Bezug auf den Fall Fukushima muss klargestellt werden, dass ein derartiger Unfall in Deutschland kaum vorstellbar und faktisch unmöglich ist; denn der Restrisikobereich ist hierzulande bereits bei der Bemessung der Auslegungswerte für Kernkraftwerke gegen Einwirkungen von außen und auch bei der Genehmigung von Anfang an klar vorgegeben: Alle Anlagen sind so ausgelegt, dass sie mindestens dem 100 000sten jährlichen Erdbeben und dem 10 000sten jährlichen Hochwasser – bemessen am statistischen Mittel für die jeweilige geografische Lage – standhalten.
Zum Unfallablauf hat aber auch die zum Beispiel gegenüber deutschen Kernkraftwerken geringere sicherheitstechnische Ausstattung der japanischen Anlagen beigetragen. So hätte zum Beispiel eine für deutsche Kernkraftwerke typische Sicherheitsauslegung – dabei geht es um Wasserstoffrekombinatoren und Systeme zur gefilterten Druckentlastung – einen Unfallablauf wie in Fukushima verhindern können.
Herr Kollege Oßner, es gibt zahlreiche Wünsche, Ihre Rede mit zusätzlichen Fragen anzureichern.
Diesen Wünschen werden wir natürlich gerecht.
Gut, aber natürlich nicht unlimitiert. Zwei würde ich einmal zulassen, und die rufe ich vielleicht einmal der Reihe nach auf. – Frau Kotting-Uhl, fangen Sie bitte an.
Herr Oßner, danke, dass Sie die Frage zulassen. – Sie bezieht sich auf die von Ihnen gerade konstatierte Auslegung gegen Erdbeben, die bei uns in Deutschland genüge. Bei uns könne ein Erdbeben also nicht zu einem Schadensfall führen. Ich frage Sie, ob Sie wissen, dass die japanischen Atomkraftwerke sehr viel besser als die deutschen gegen Erdbeben ausgelegt sind. Das ist aus einem ganz einfachen Grund so: In Japan hat man schon immer – anders als bei uns – mit Erdbeben gerechnet, die höher auf der Erdbebenskala angesiedelt sind. Die Atomkraftwerke sind dort zum Teil gegen Erdbeben der Stärke 8 auf der Richterskala ausgelegt – weit weg von dem, mit dem man bei uns rechnet und wogegen die Kraftwerke bei uns ausgelegt werden.
Haben Sie – das ist meine Frage – versäumt, zu realisieren, dass die Lehre aus Fukushima nicht die ist: „Hütet euch weltweit vor hohen Tsunamis und vor Erdbeben der Stärke 9 auf der Richterskala“, sondern dass sie lautet: „Erkennt, dass ihr Naturgewalten nicht richtig einschätzen könnt und dass die sich auch verändern“?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Sehr geehrte Frau Kollegin Kotting-Uhl, erst einmal vielen Dank für die Frage. – Ich muss noch einmal eines klarstellen: Auch japanische Ingenieure sind im Nachgang zu Fukushima gerade auch bei uns im Wahlkreis – im Atomkraftwerk Isar 2 – zu Besuch gewesen, um sich zu informieren, welche Sicherheitsvorkehrungen wir im Rahmen unserer Sicherheitsabläufe – dabei ging es um sieben bis neun Stufen – getroffen haben. Ich wäre in meiner Rede ohnehin in Kürze darauf eingegangen. Das heißt, diese Frage passte gut.
Ich denke, selbstverständlich kann man sich nicht gegen alle Risiken weltweit schützen.
(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das muss bei Atomkraft gesichert sein!)
Der größtmögliche Schutz ist aber, wie ich vorhin schon gesagt habe, gegeben – wir sprechen hier über das 100 000ste jährliche Erdbeben; das überlasse ich aber den Experten und Statistikern –, wenn man, wie im geschilderten Fall geschehen, die Risiken minimiert bzw. verschiedene hintereinander geschaltete Sicherheitsstufen implementiert. Wenn das der Fall ist, dann, denke ich, kann man von einem bestmöglichen Schutz in Bezug auf die Kraftwerke sprechen.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Der bestmögliche Schutz führt zum GAU!)
Wie gesagt, auch die Japaner haben sich sehr eng mit uns über die Sicherheitsvorkehrungen ausgetauscht.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Darf jetzt die Kollegin Scheer die zweite Frage stellen? – Bitte.
Meine Frage geht in eine ähnliche Richtung. Ich bin, ehrlich gesagt, etwas irritiert, wenn in einer Gedenkdebatte – als solche kann man, denke ich, die heutige Debatte ansehen – mit Blick darauf, was dieses Gedenken an den schrecklichen Unfall vor 30 Jahren zwingenderweise auch für unsere zukünftige energiewirtschaftliche Positionierung bedeuten muss, ein entscheidender Redeanteil eines Koalitionspartners darauf gerichtet ist, die Beherrschbarkeit von Atomtechnologie und den Einzelfallcharakter vergangener Unfälle zu suggerieren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Daher frage ich mich, ob unser Koalitionspartner an sich Restrisiken negiert.
(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das hat er nie gesagt!)
Meinen Sie tatsächlich, dass die Atomtechnologie keine Restrisiken beinhaltet?
(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das hat er nie behauptet!)
Das frage ich mich, ehrlich gesagt, bei Ihren Ausführungen, und es würde mich interessieren, ob Sie etwas dazu zu sagen haben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sehr geehrte Frau Kollegin, ich tue mich tatsächlich ein Stück weit schwer, in Ihrem Redebeitrag eine Frage zu erkennen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das ist auch gar nicht erforderlich, verehrter Herr Kollege, weil die Möglichkeit der Wortmeldung diese Restriktion schon lange nicht mehr vorsieht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Aber ich gehe natürlich sehr gerne darauf ein.
Ich denke, der gesamte erste Teil hat sich einzig und allein darauf beschränkt, der Opfer – ich habe die Zahlen genannt; womöglich ist es Ihnen entgangen – und auch aller Helfer und all derer zu gedenken, die heute noch unter den Folgen leiden. Ich denke, das ist ein ganz entscheidender Punkt. Aus diesem Grund habe ich das auch angesprochen. In dieser Hinsicht sind wir absolut einer Meinung. Es ist sehr, sehr wichtig, dass man auch die Risiken im Blick behält und diese, so gut es geht, beherrschbar macht.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Bla, bla!)
Die Einrichtungen zur Auslegung der Wasserstoffrekombinatoren, von denen ich vorhin gesprochen habe, wurden bereits ab dem Jahr 1979 nach dem Three-Mile-Island-Störfall in Harrisburg, Pennsylvania, in unsere Kernkraftwerke eingebaut. Das war natürlich ein wichtiger Schritt für die Risikominimierung. Wären diese auch in Fukushima implementiert gewesen, hätte man das eine oder andere sicherlich besser in den Griff bekommen können.
Nicht umsonst haben sich nach dem Unfall in Fukushima – jetzt komme ich auf Ihre Frage zurück, Frau Kotting-Uhl – die japanischen Kraftwerksbetreiber in den deutschen Kernkraftwerken – auch bei mir im Wahlkreis – diese Systeme zeigen lassen. Anschließend wurden die abgeschalteten Anlagen entsprechend nachgerüstet, was ich sehr beachtenswert finde. Dies sagt meines Erachtens sehr viel über das große Vertrauen weltweit in die hohen Sicherheitsstandards in Deutschland aus.
Deshalb, meine lieben Linken und Grünen: Hören Sie bitte auf, diese vorbildlichen Sicherheitsstandards ständig schlechtzureden und in der Bevölkerung Angst zu schüren! Auch damit macht man keine vernünftige Zukunftspolitik.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Trotz der hier herrschenden sehr hohen Sicherheitsstandards ist der schrittweise und verkraftbare Ausstieg aus der Kernenergie – jetzt kommt etwas, das Ihnen sicherlich sehr gut gefällt – die richtige Konsequenz. Diesen Weg gilt es auch konsequent weiterzugehen. Dafür bedarf es eines weiteren Ausbaus der erneuerbaren Energien.
(Klaus Mindrup [SPD]: Auch Windkraft in Bayern!)
Eine Schlüsselrolle werden aber auch innovative Speichertechnologien, zum Beispiel die Speicherung durch die Wasserstofftechnik, einnehmen.
Meine Damen und Herren, wie wir in unserem Antrag abschließend festgestellt haben, stehen wir auch weiterhin vor großen Herausforderungen, die es anzupacken gilt. So wollen wir unter anderem die Fusions- und Nuklearforschung in Deutschland zukünftig auf Sicherheits- und Entsorgungsforschung – ich betone: auf Sicherheitsforschung – fokussieren und damit zum Kompetenzerhalt in Deutschland beitragen.
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht doch gar nicht!)
Auch um schlussendlich ein Endlager für hochradioaktive, wärmeentwickelnde Abfallstoffe zu finden, bedarf es des aktuellsten und neuesten Standes in Wissenschaft und Forschung. In dieser Frage sind wir uns auch in der Endlagerkommission einig.
Vielen Dank an das Bundesumweltministerium mit der Bundesumweltministerin Barbara Hendricks an der Spitze für die Unterstützung. Auch vonseiten der CSU herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!
Des Weiteren wollen wir den Ausbau der erneuerbaren Energien nicht nur in Deutschland, sondern auch durch Kooperationen mit anderen Staaten weltweit vorantreiben. Dies gilt auch für unsere erworbenen Kenntnisse im Bereich der nuklearen Sicherheit sowie bei der Entsorgungsfrage. Dies ist aus meiner Sicht eine einmalige wirtschaftspolitische Chance, unseren Kompetenzvorsprung in Deutschland zu nutzen. Aus diesem Grund bitte ich um Zustimmung für den Antrag der Koalitionsfraktionen.
Herzliches „Vergelts Gott“ fürs Zuhören.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Oliver Krischer das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6794544 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 168 |
Tagesordnungspunkt | Tschernobyl und Fukushima - Risiken der Atomkraft |