29.04.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 168 / Tagesordnungspunkt 25

Monika Grütters - Kultur und Geschichte der Deutschen in Osteuropa

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Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Vielleicht kennen Sie ja das schmale Büchlein Reisende auf einem Bein, das Herta Müller nach ihrer Flucht aus Rumänien vor 28 Jahren veröffentlicht hat. Es ist ein Buch über das Gefühl des Fremdseins fern der Heimat, über das Aufbrechenmüssen und das Nicht-ankommen-Können, über den Verlust des Gleichgewichts, wenn man mit dem Standbein noch im früheren Leben steht. Reisende auf einem Bein waren die Heimatvertriebenen und später auch die deutschstämmigen Aussiedler aus dem östlichen Europa. Die Pflege des Kulturguts ihrer Herkunftsgebiete, im Bundesvertriebenengesetz festgeschrieben als eine gemeinsame staatliche Aufgabe von Bund und Ländern, half ihnen dabei, am Ende dann doch mit beiden Beinen in der neuen Heimat anzukommen.

Bis heute ist es ein wichtiges Anliegen, das reiche kulturelle Erbe der Deutschen im östlichen Europa zu bewahren, zu erforschen und zu vermitteln, so wie es § 96 des Bundesvertriebenengesetzes vorsieht. Die Mittel dafür kommen am Ende dann Archiven, Museen, Forschungsinstituten und mittlerweile vier Juniorprofessuren zugute. In meinem Etat hat die Förderung mit rund 23,7 Millionen Euro im Jahr 2015 eine Höhe erreicht, die auch monetär unsere sehr große Wertschätzung für das gemeinsame kulturelle Erbe im östlichen Europa zum Ausdruck bringt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nicht zuletzt angesichts der EU-Beitritte der östlichen Nachbarstaaten – das ist ja eine Entwicklung, die sich erst im Verlauf der Anwendung dieses Paragrafen ergeben hat – und der neuen Qualität der Zusammenarbeit geht es nun darum, die Förderkonzeption aus dem Jahr 2000 – so alt ist sie nämlich schon – im europäischen Geist weiterzuentwickeln. Darauf haben sich die Regierungsparteien auch im Koalitionsvertrag verständigt. Wir möchten die Grundlage, die im demografischen Wandel Bestand hat und die getragen ist von unseren gewachsenen Bindungen in Europa, neu formulieren.

Dabei geht es erstens darum, den Erinnerungstransfer von einer Generation zur nächsten sicherzustellen. Das, was die Gedenkstättenarbeit und Erinnerungskultur im Allgemeinen betrifft, bezieht sich auf das Thema Umgang mit unseren östlichen Nachbarn und den Vertriebenen der ersten Generation. Je weniger Zeitzeugen es gibt – auch aus diesem Bereich –, desto wichtiger wird eine professionelle und zeitgemäße Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit.

Es geht zweitens darum, neue Partner zu finden und neue Zielgruppen zu erschließen. Neben Vertriebenen und Flüchtlingen sind das mittlerweile ganz besonders die Spätaussiedler, die eine starke gemeinschaftliche und gesellschaftliche Kraft geworden sind. Ihre Bedeutung soll sich unter anderem in der Erforschung und Vermittlung ihrer Kultur und Geschichte auch in regionalen Museen spiegeln.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es geht drittens darum, europäische Kooperationen zu stärken. Sie wissen selbst um die Situation in vielen Ländern des östlichen Europas. Wer mit Partnern vor Ort kooperieren möchte, muss Geld mitbringen. Deswegen werden wir mehr Geld und Mittel in die Hand nehmen für unsere bundesgeförderten Museen, die Vermittlungs- und Forschungseinrichtungen.

Schließlich geht es viertens darum, die Chancen der Digitalisierung auch in diesem Bereich zu nutzen. Sie ist hier wie überall wichtig. Wir wollen eine digitale Infrastruktur für die Wissenschaft und die Museen entwickeln.

Guter Wille allein reicht natürlich nicht aus, um all das umzusetzen, was wir uns im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung von § 96 des Bundesvertriebenengesetzes vorgenommen haben. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben mir bereits für das Jahr 2016 zusätzliche Mittel zur Erfüllung dieser Aufgaben, die zum Teil auch in diesen Politikbereich fallen, zur Verfügung gestellt. Dafür danke ich Ihnen, dem Hohen Haus, sehr. Doch wir brauchen mehr als ein einmaliges Signal: Wir brauchen einen dauerhaften Aufwuchs, um den gesamten Förderbereich zukunftsorientiert aufzustellen. Dafür setze ich mich natürlich auch in den fortlaufenden Haushaltsberatungen ein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Ebenso – auch das ist mir wichtig – setze ich mich für die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung ein. Am 1. April – das war ja erst vor kurzem – hat die promovierte Historikerin Gundula Bavendamm ihr Amt als neue Direktorin angetreten. Ich bin mir sicher, dass sie als durchsetzungsstarke, erfahrene und erfolgreiche Museumsmanagerin das Know-how mitbringt, um den weiteren Ausbau des für uns so wichtigen Ausstellungs-, Informations- und Dokumentationszentrums mit der notwendigen Überzeugungskraft engagiert und zügig voranzutreiben. Die Kollegin Lotze hat bei ihrer Vorstellung gesagt: Die lässt sich die Butter nicht vom Brot nehmen. – Ich glaube, das ist in diesem Bereich und bei dieser Aufgabe eine ganz wichtige Eigenschaft. Sie hat das AlliiertenMuseum hervorragend geleitet. Deshalb freue ich mich, dass wir sie für diese wichtige Aufgabe gewinnen konnten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Meine Hoffnung ist, meine Damen und Herren, dass uns die deutschen Erfahrungen mit Flucht und Vertreibung auch in besonderer Weise fähig machen zur Empathie mit Menschen, die heute hier bei uns in Deutschland Zuflucht suchen. Auch wenn man die Flucht aus Syrien, Irak oder Afghanistan heute aus vielerlei Gründen nicht direkt mit der Vertreibung aus Ostpreußen, Schlesien und Pommern vergleichen kann, so sind die Erfahrungen der „Reisenden auf einem Bein“, wie es Herta Müller ausgedrückt hat, heute wie damals vielfach ähnlich. Gerade die Auseinandersetzung mit dem deutschen Kulturerbe in Mittel- und Osteuropa kann sehr wohl helfen, nicht nur die Geschichte ganz Europas besser zu verstehen, sondern auch die Krisen und Konflikte, in deren Angesicht Europa sich heute in der Welt bewähren muss.

Es geht um Themen, die Deutschland und Europa heute mehr denn je beschäftigen: um Fragen des Zusammenlebens unterschiedlicher Kulturen, um Fragen der wechselseitigen Wahrnehmung und Anerkennung. Die Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 Bundesvertriebenengesetz ist damit aktueller denn je. Mit ihrer Weiterentwicklung sorgen wir dafür, dass sie auch in Zukunft einen maßgeblichen Beitrag zum Zusammenhalt in Deutschland und in Europa leisten kann.

Für Ihre Mitarbeit und Hilfe sind wir Ihnen dankbar.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Die Kollegin Sigrid Hupach hat nun für die Fraktion Die Linke das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6794602
Wahlperiode 18
Sitzung 168
Tagesordnungspunkt Kultur und Geschichte der Deutschen in Osteuropa
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