Sigrid HupachDIE LINKE - Kultur und Geschichte der Deutschen in Osteuropa
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gegenstand dieser umfangreichen und zu prominenter Zeit angesetzten Debatte ist ein dünnes Papier der Bundesregierung. Unter der Überschrift: „Erinnerung bewahren – Brücken bauen – Zukunft gestalten“ wollen Sie die im Jahr 2000 verfasste Konzeption zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa weiterentwickeln. Ich bin gespannt, womit Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, diese Debatte füllen wollen. Mit dem unkonkreten Inhalt des vorliegenden Papiers kann Ihnen das eigentlich nicht gelingen.
Worin besteht der Fortschritt und worin die Weiterentwicklung? Zunächst einmal fallen einige Unterschiede auf. Im Titel ist nicht mehr nur von der „Erforschung“ und „Präsentation“ deutscher Kultur und Geschichte die Rede, sondern außerdem von „Bewahrung“ und „Vermittlung“. Im Unterschied zur Konzeption aus dem Jahr 2000 tauchen Begriffe wie „transnational“, „multikulturell“, „multireligiös“ und „multiethnisch“ auf. Auch die kulturelle Vielfalt hat Eingang in die Konzeption gefunden. 2000 war das Stichwort „Vielfalt“ noch negativ belegt. Damals galt es nämlich – ich zitiere –, die „Vielfalt und Vielzahl vom Bund geförderter Einrichtungen“ zu reduzieren und regional neu zu strukturieren.
Auch findet sich in der Einleitung schon ein Verweis auf den historischen Kontext, in den Flucht und Vertreibung einzuordnen sind, nämlich das verbrecherische NS-Regime mit seiner Expansions- und Vernichtungspolitik. Und etwas nebensächlich, aber immerhin, wird bei der Projektförderung auch die Erforschung und Vermittlung des jüdisch-deutschen Erbes im östlichen Europa genannt. Diese Änderungen waren längst überfällig.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Christoph Bergner [CDU/CSU]: Das ist aber nicht inhaltsleer!)
Allerdings muss sich nun noch erweisen, dass das nicht nur Worthülsen und leere Versprechungen bleiben. Angesichts der unkonkreten Ausführungen sind hier Zweifel mehr als angebracht. Ich glaube nicht, dass das alles ausreicht, um die Kulturförderung nach § 96 Bundesvertriebenengesetz wirklich weiterzuentwickeln und sie an die aktuellen Herausforderungen anzupassen.
Sie wollen die Landsmannschaften und Organisationen der Heimatvertriebenen wieder verstärkt einbinden
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist auch richtig so!)
und erhoffen sich davon „zukunftsweisende Maßnahmen und Kooperationsoptionen“. Im Jahr 2000 wollten Sie eine Professionalisierung gerade durch eine Zurücknahme der Landsmannschaften erreichen. Nun sollen diese wieder gestärkt werden. Wenn man sich die letzten Tweets von Erika Steinbach in Erinnerung ruft, so fragt man sich wirklich, was mit dem – ich zitiere aus der Konzeption – „fortdauernden Beitrag zu einer gelingenden Integration, den der Bund der Vertriebenen … und seine Landesverbände leisten“, gemeint sein soll. Ich finde, das ist bloß noch zynisch.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zweitens sind Zweifel angebracht, weil Sie in Ihrem Papier ein rosarotes Bild von Europa zeichnen, das so gar nicht mit der aktuellen Situation übereinstimmt. Man darf doch nicht die Augen davor verschließen, dass wir es in Europa angesichts der aktuellen Flucht- und Migrationsbewegungen mit einer verheerenden Abschottungspolitik und mit einer erschreckenden, rückwärtsgewandten Renationalisierung zu tun haben. Der von Ihnen beschriebene Dialog seit 1953 hat ja offenbar gerade nicht dazu geführt, dass es gegenwärtig in Europa ein übergreifendes Verständnis für das Schicksal und das Leid von Geflüchteten gibt – abgesehen natürlich vom solidarischen Handeln vieler Einzelner.
(Dr. Christoph Bergner [CDU/CSU]: Wem machen Sie da jetzt den Vorwurf?)
– Hören Sie doch weiter zu. – Das hat auch damit zu tun, dass Flucht und Vertreibung durch das Bundesvertriebenengesetz immer noch national thematisiert werden.
Damit bin ich beim dritten Punkt: Das Bundesvertriebenengesetz ist über 60 Jahre alt, atmet den Geist seiner Entstehungszeit und geht eben vom Nationalen aus, von der deutschen Kultur und Geschichte. So zieht es sich eben auch durch die Kulturförderung nach § 96. Bis auf den bereits erwähnten Spiegelstrich zum jüdisch-deutschen Erbe unter dem Punkt „Projektförderung“ ist in der gesamten Konzeption an keiner Stelle von anderen Opfergruppen die Rede, insbesondere nicht von Sinti und Roma. Angesichts der europäischen Dimension von Flucht und Vertreibung im Zuge des Zweiten Weltkrieges ist das aber ein völlig überholter Ansatz.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Fraktion hat sich bereits vor zehn Jahren in der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ für ein Ende dieser speziellen Kulturförderung ausgesprochen. Gemeint ist damit nicht eine Einkassierung der bereitgestellten Mittel, sondern eine Eingliederung in die allgemeine Kulturförderung, sodass dieser Teil der deutschen, der europäischen Geschichte und Kultur als selbstverständlicher Teil der allgemeinen Arbeit der Institutionen definiert werden kann.
(Beifall bei der LINKEN)
Gerade auch in Osteuropa haben wir gut funktionierende Strukturen und Förderprogramme: vom Deutschen Akademischen Austauschdienst über die östlichen Partnerschaften, das Institut für Auslandsbeziehungen und die Goethe-Institute. Es gibt seitens des Bundes viele verschiedene, aber leider parallel verlaufende Ansätze. Wäre es nicht klug gewesen, dies alles in einer wirklichen Weiterentwicklung zusammenzubringen?
Warum haben Sie nach den Querelen um die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung und nach der Kritik an der Einführung des Vertriebenengedenktages nicht eine wirklich zukunftsweisende Idee entwickelt? Erst recht angesichts der globalen Herausforderungen durch aktuelle Migrationsbewegungen wäre das mehr als angebracht gewesen.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich bin überzeugt, dass in den aktuellen Bezügen das eigentliche Potenzial steckt, um auch bei denen, die nicht mehr zur Erlebnisgeneration gehören, Interesse an der Vergangenheit zu wecken und um Flucht und Vertreibung in einem viel größeren, allgemeineren Kontext zu thematisieren, als das in der nationalen Nabelschau je gelingen kann.
Die von Ihnen in der Konzeption genannten Herausforderungen für die Erinnerungskultur ohne Zeitzeugen und in einer vielfältiger werdenden Gesellschaft sind keineswegs ein Spezifikum der Vertriebenen. Wenn Sie dafür wirklich zeitgemäße Ansätze suchen, dann empfehle ich Ihnen, sich Rat bei den NS-Gedenkstätten zu holen. Diese haben sich von Orten des Gedenkens immer stärker hin zu zeitgeschichtlichen Museen entwickelt. Neben Forschung und Bildung erfüllen sie auch weiterhin humanitäre Aufgaben und bemühen sich um den baulichen Erhalt der authentischen Orte. Ich habe meine Zweifel, ob die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung mit dem zukünftigen Deutschlandhaus eine vergleichbare zukunftsweisende Funktion zu erfüllen vermag.
In der vorliegenden Konzeption wird der Stiftung eine Rolle für den grenzüberschreitenden Austausch und Dialog zugeschrieben. Vor acht Jahren ist die Stiftung gegründet worden, und im Ergebnis sind die Gräben bisher eher vertieft worden. Es hat gerade keine Versöhnung stattgefunden.
Vor vier Wochen hat Frau Dr. Bavendamm ihr Amt als Direktorin angetreten. Jetzt sollte man ihr erst einmal Zeit lassen, ihre Ideen zu entwickeln und vorzustellen.
(Dr. Bernd Fabritius [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Einige hoffnungsvolle Signale gab es bereits. Im Interview mit Deutschlandradio Kultur hat sie einen grundlegenden Richtungswechsel in der Stiftung angekündigt. Sie hat in diesem Gespräch erneut klargestellt, dass sie sich nicht als Dienstleisterin des Bundes der Vertriebenen versteht.
Dennoch: Die bisherigen Querelen um die Stiftung haben nicht nur etwas mit Personen zu tun, sondern sie hatten vor allem auch strukturelle Ursachen – bedingt durch den Stiftungsrat, der unserer Ansicht nach völlig falsch zusammengesetzt ist. In diesem hat der Bund der Vertriebenen fast ein Drittel aller Sitze inne,
(Dr. Bernd Fabritius [CDU/CSU]: Lernen Sie einmal rechnen!)
und aus dem parlamentarischen Raum ist die Opposition gar nicht vertreten. Wir halten das nach wie vor für ein falsches Signal.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir hoffen sehr, dass es Frau Dr. Bavendamm gelingt, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler insbesondere aus Osteuropa zu finden, die die Stiftungsarbeit im Beraterkreis begleiten. Aus diesem Grunde möchte ich zum Schluss an einen weiteren Vorschlag der Linken erinnern, den wir damals in die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ eingebracht hatten: die Gründung von multinationalen Stiftungen nämlich, in denen neben Bund und Ländern auch die osteuropäischen Staaten und auch die Opfergruppen als gleichberechtigte Partner vertreten wären.
(Beifall bei der LINKEN)
Diese Stiftungen könnten in multi- und bilateralen Projekten das soziokulturelle Zusammenleben der deutschsprachigen Bewohner Osteuropas mit denen anderer Kultur und Sprache erforschen und im Kontext heutiger Probleme in Erinnerung halten. Ich finde, das ist auch heute, fast zehn Jahre später, noch ein bestechender und überzeugender Vorschlag. Schade, dass Sie es nicht gewagt haben, eine wirkliche Neukonzipierung anzugehen, und sich leider vor den aktuellen Herausforderungen wegducken.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Jantz-Herrmann für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6794604 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 168 |
Tagesordnungspunkt | Kultur und Geschichte der Deutschen in Osteuropa |