Klaus BarthelSPD - Aktuelle Stunde zur Haltung der Bundesregierung zu TTIP
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist nicht ganz leicht, hier wieder zu einer sachlichen Debatte zurückzukommen.
(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nach Herrn Holmeier, das stimmt!)
Man kann die Freihandelspolitik, wie sie momentan läuft, in der Tat so oder so sehen. Man kann und muss sie auch kritisieren. Aber man muss doch schauen, dass man irgendwo eine Linie hat.
(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein interessanter Ratschlag vonseiten der SPD!)
Jetzt hören wir hier einerseits von der Opposition: Gott sei Dank, dass Greenpeace alles geleakt hat. Jetzt haben wir die Erleuchtung, sagt Toni Hofreiter. Kurz danach sagen die anderen Kolleginnen und Kollegen: Das haben wir eh schon alles gewusst, das bestätigt alle Vorurteile, all das, was wir hier schon seit zwei Jahren predigen. – Erster Punkt.
Zweiter Punkt. Wir diskutieren heute über TTIP. Gerade sprach die Kollegin Dröge die ganze Zeit über CETA.
(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, weil Herr Gabriel damit angefangen hat!)
Darüber sprechen wir aber am Freitag. Ich fürchte, wenn wir dann über CETA reden und unsere Argumente zu CETA vortragen, dann werden Sie über TTIP reden.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Es wird immer alles mit allem vermischt, und dann verlangen Sie von uns, dass wir hier nicht nur unsere roten Linien darstellen, sondern auch Gestaltungsvorschläge machen.
(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist natürlich ein ganz hartes Argument!)
Lesen Sie doch einmal den Koalitionsvertrag! Lesen Sie doch einmal, was der Parteitag der SPD beschlossen hat! Lesen Sie doch einmal unseren Antrag zu SDGs, den der Bundestag beschlossen hat! Da finden Sie die ganzen Gestaltungsaufträge.
(Beifall bei der SPD)
Aber die interessieren Sie gar nicht, weil Sie nicht gestalten wollen, sondern Sie wollen immer aussteigen, abbrechen, beenden. Das ist das Problem. Deswegen hören Sie bei der Gestaltung gar nicht mehr zu.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Trotzdem: Für eine differenzierte Debatte ist es notwendig, festzustellen, dass Globalisierung, Freihandel, TTIP und CETA in der Tat in der Öffentlichkeit keinen guten Klang haben. Nur 17 Prozent der deutschen Bevölkerung sind für TTIP; doppelt so viele sind dagegen.
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles Verschwörungstheoretiker!)
Es gibt Umfragen im Mittelstand, die ein Verband in Auftrag gegeben hat. Laut dieser Umfrage sagen 62 Prozent der Mittelständler – hier ist die Zahl noch viel höher als in der allgemeinen Bevölkerung –, dass sie im Wesentlichen negative Auswirkungen erwarten. Nur 22 Prozent erwarten positive Auswirkungen.
Darüber wird auch wissenschaftlich und politisch diskutiert. So sagt der frühere US‑Finanzminister Summers – Zitat –: Es gibt einen Aufstand gegen den Freihandel. – Das Handelsblatt schreibt, dass der Freihandel als Sündenbock gesehen wird. Sie schreiben weiter:
Die Totengräber
– des Freihandels –
marschieren aber nicht auf den Straßen von Hannover, sondern sitzen in den Zentralen der Politik.
Das ist das Problem, das wir hier diskutieren und lösen müssen. Leider müssen wir feststellen, dass eine Chance dieser Zentralen der Politik jetzt von der Bundeskanzlerin und vom US-Präsidenten in Hannover leider nicht genutzt wurde.
Wir müssen uns fragen: Warum ist das eigentlich so? Warum findet diese Kritik in weiten Teilen der Bevölkerung solchen Anklang?
(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht weil sie berechtigt ist? Ist das eine Möglichkeit?)
Dazu hat Nobelpreisträger Stiglitz eine Untersuchung gemacht. In dieser schreibt er: Ja, Handel bedeutet Wachstumseffekte. Aber er weist auch nach, dass die Wachstumseffekte unter den jetzigen Bedingungen relativ klein sind im Verhältnis zu den Verteilungswirkungen, die seiner Ansicht nach und seiner Untersuchung nach sehr groß sind. Zitat:
In den Industrieländern schadet das den Ärmsten. Leider war die Politik der Regierungen hier bisher nicht hilfreich.
Aber auch Stiglitz macht klar – deswegen dürfen weder die Linken noch die Grünen ihn für sich in Anspruch nehmen –, dass Globalisierung und Freihandel so nicht aussehen müssen, sondern dass man sie gestalten muss. Deswegen sagen wir, dass wir die Handelspolitik gestalten müssen, während Grüne und Linke hier immer den Gestaltungsverzicht predigen.
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun wir doch gar nicht!)
Aber genau dadurch würde das Gerechtigkeitsproblem, das bei der Globalisierung – auch ohne TTIP und CETA – schon jetzt besteht, verschärft. Dieses Problem wird hier beschrieben. Es besteht zum Beispiel beim NAFTA, es besteht weltweit seit vielen Jahren aufgrund einer Umverteilung. Diesen Kurs müssen wir unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten ändern und aktiv gestalten.
(Beifall bei der SPD)
Deswegen sind unsere Leitlinien keine reinen Abwehrleitlinien, sondern Vorwärtsleitlinien.
(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Vorwärtsleitlinien“? Was ist denn das für ein komisches Wort?)
Ich unterstreiche, was Sigmar Gabriel hier gesagt hat: Hierbei müssen wir endlich vorankommen. Da helfen die maßlosen Rundumschläge, die wir hier gehört haben, keinen Zentimeter weiter.
(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja!)
Das gilt auch für diesen komischen Eurochauvinismus, den zum Beispiel die Kollegin Wagenknecht gerade wieder an den Tag gelegt hat: Als sei in Europa alles Gold und in den USA alles Mist!
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Was? – Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Haben Sie mir zugehört?)
Hier müssen wir uns doch auch einmal selber ehrlich machen. Das giftige Plastikspielzeug und was Sie da alles aufgezählt haben, das haben wir doch alles selbst erlebt. Wir haben doch Gentechnik im Tierfutter. Ich nenne nur Stichworte wie BSE, Pferdefleisch- und Gammelfleischskandal, Bayern-Ei und Glyphosat.
Wir haben Probleme mit unseren technischen Standards. In Europa gibt es auch nach 20 Jahren der Liberalisierung 20 Zugleitsysteme, sodass man mit der Bahn nicht von A nach B fahren kann. Wir haben nicht nur ein Problem mit roten und gelben Blinkern, sondern auf verschiedenen Inseln in der Europäischen Union wird auch links gefahren. Das alles scheint kein Problem zu sein.
Nein, wir müssen erst einmal unsere Hausaufgaben machen und dürfen nicht schwarz-weiß malen, nach dem Motto: In Europa ist alles gut, und in den USA ist alles ganz schwierig.
Kollege Barthel?
Wir müssen die Fehlentwicklungen auf den globalen Märkten insgesamt betrachten, sie differenziert beurteilen und den Hebel an der richtigen Stelle ansetzen. Ohne die Gestaltung durch Handelsverträge, die aufgrund unterschiedlicher Positionen und unterschiedlicher Interessen auf der Welt geschlossen werden müssen, wird das nicht gehen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr gut! Ein schöner Schlusssatz!)
Auch Ihnen danke ich für den letzten Satz. – Nächster Redner: Jürgen Hardt für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6828422 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 169 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Haltung der Bundesregierung zu TTIP |