Claudia RothDIE GRÜNEN - Bekämpfung von Fluchtursachen
Sehr verehrter, lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich dürfte ich hier heute gar nicht stehen. Warum? Als wir Grünen veranlassen wollten, dass unser eigener Antrag zur Fluchtursachenbekämpfung mit aufgesetzt wird, hieß es aus den Koalitionsfraktionen, das sei leider nicht möglich, denn der Grünenantrag sei einfach zu breit angelegt.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau!)
Ich glaube, sehr viel deutlicher hätten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, Ihr mangelndes Verständnis dafür, was wirksame Fluchtursachenbekämpfung tatsächlich bedeutet, gar nicht zum Ausdruck bringen können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wer nämlich Fluchtursachen bekämpfen will, der kann seine Politik gar nicht breit genug anlegen.
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau!)
Bei der Bekämpfung von Fluchtursachen geht es doch gerade um eine möglichst allumfassende Politik, die kein Ressort, die kein Ministerium außer Acht lässt und eben nicht nur den Minister für das gute Gewissen hier sprechen lässt,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
die konsequent der Frage nachgeht, inwieweit das politische Handeln und Nichthandeln in unseren Partnerländern, aber eben auch bei uns in Deutschland dazu beitragen, dass über 60 Millionen Menschen ihre bisherige Heimat, ihr bisheriges Leben hinter sich lassen mussten.
Fluchtursachenbekämpfung bedeutet dann zum Beispiel, die diplomatischen, die politischen Anstrengungen zur Beilegung aktueller Krisen und Kriege stärker zu vervielfachen und Deutschland wirklich zu einem Vorreiter in der zivilen Krisenprävention zu machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])
Das muss doch unser Anspruch sein. Das muss doch der Anspruch der deutschen Bundesregierung sein.
Fluchtursachenbekämpfung bedeutet auch, lieber Gerd Müller, Jemen nicht nur in einem Nebensatz zu erwähnen, sondern dann auch die milliardenschweren Rüstungsexporte in die Krisengebiete endlich einzustellen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Fluchtursachenbekämpfung heißt, für eine wirklich faire Handelspolitik einzutreten, die eben nicht eine rücksichtslose maximale Marktöffnung für unsere Unternehmen zum Ziel hat, sondern sie beim Umweltschutz, bei den Arbeitnehmerrechten, beim Menschenrechtsschutz systematisch in die Pflicht nimmt. Und da haben wir erhebliche Zweifel, dass TTIP das leistet.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Fluchtursachenbekämpfung bedeutet schließlich, die wachsende globale Ungerechtigkeit ebenso konsequent anzugehen wie den fortschreitenden Klimawandel; das heißt, die Beschlüsse von Paris und New York nicht nur abzudrucken, sondern sie wirklich umzusetzen und damit jetzt anzufangen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Weiter heißt das, die ärmsten Staaten der Welt umfassend zu unterstützen und – ja, Axel Schäfer – nicht die ODA-Quote nun durch die Anrechnung innerdeutscher Ausgaben für die Flüchtlingsversorgung oder durch die Vermischung mit Geldern für den Klimaschutz künstlich schönzurechnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])
Insofern gebe ich Ihnen recht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und von der Union: Unser grüner Ansatz ist viel breiter angelegt als Ihr heutiger Antrag, der sich letztlich doch kaum mit der im Titel benannten Bekämpfung von Fluchtursachen beschäftigt, sondern viel mehr mit der Unterstützung der Nachbarstaaten Syriens.
(Stefan Rebmann [SPD]: Und wie geht es weiter?)
Verstehen Sie uns bitte nicht falsch: Selbstverständlich sind Länder wie der Libanon, wie Jordanien, der Irak oder die Türkei, die für die Flüchtlinge aus der Hölle von Syrien die ersten Rückzugsorte sind, heillos überfordert. Selbstverständlich liegt das auch daran, dass wir diese Länder viel zu lange alleingelassen haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Selbstverständlich ist es allerhöchste Zeit, sie zu unterstützen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])
Aber damit bekämpfen wir doch keine Fluchtursachen in den Herkunftsländern!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])
Wenn wir tatsächlich dafür sorgen wollen, dass weniger Menschen fliehen, und nicht nur erreichen wollen, dass weniger Menschen bei uns ankommen, dann müssen wir unsere Politik in vielen Feldern ganz grundlegend umgestalten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])
Und dann kann der Ansatz eben nicht breit genug sein, sondern dann muss er überall, in allen Bereichen, anfangen – und das besser heute als morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Michaela Engelmeier [SPD])
Das Wort erhält nun die Kollegin Dagmar Wöhrl für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6830266 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 170 |
Tagesordnungspunkt | Bekämpfung von Fluchtursachen |