Dagmar WöhrlCDU/CSU - Bekämpfung von Fluchtursachen
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Auch wenn die Zahl der ankommenden Flüchtlinge bei uns sinkt, heißt das noch lange nicht, dass die Fluchtursachen verschwunden sind, heißt das noch lange nicht, dass wir aufhören können, die Fluchtursachen vor Ort zu bekämpfen. Im Gegenteil – ich glaube, dies ist auch durch meine Vorredner und Vorrednerinnen deutlich geworden –: Wir müssen noch intensiver an deren Bekämpfung arbeiten.
Fakt ist: Der Konflikt in Syrien ist nicht beseitigt, im Gegenteil. Wir haben gestern neue Zahlen bekommen, nach denen allein im letzten Jahr 1,3 Millionen neue Binnenflüchtlinge dazugekommen sind – zusätzlich zu den bereits vorhandenen 6,6 Millionen. Wir wissen, dass die Situation in den Nachbarländern weiterhin sehr angespannt ist. Wir wissen auch, dass immer mehr Menschen aus der Subsahara in Libyen ankommen, um sich auf den Weg nach Europa zu machen.
Das heißt: Der Schlüssel für die Lösung ist, die Fluchtursachen sowohl in den Herkunftsländern als auch in den Nachbarländern so zu bekämpfen, dass die Menschen in diesen Ländern eine Zukunftsperspektive haben. Wir müssen helfen, die Probleme vor Ort zu lösen; denn, wie der Minister gesagt hat, wenn wir es nicht schaffen, die Probleme dort zu lösen, werden die Probleme zu uns kommen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt konkret!)
Die wichtigste Ursache für Flucht und Vertreibung ist nach wie vor der Syrien-Konflikt. Ich habe es erwähnt: Inzwischen gibt es fast 8 Millionen Binnenvertriebene. Über 13,5 Millionen Menschen in Syrien, davon über die Hälfte Kinder, sind hilfsbedürftig. Trotz aller politischen Bemühungen gibt es leider noch keinen Erfolg in diesem Bereich. Es ist noch nicht zu einem Frieden gekommen – zu vielfältig, zu gegenläufig sind die Interessen. Die Terrorgruppen gehen weiterhin brutal vor. Assad versucht mit allen Mitteln, auch mithilfe brutalster Gewalt, an seiner Macht festzuhalten.
Trotz brüchiger Feuerpause sieht man aber doch manchmal einen kleinen Hoffnungsschimmer. Wir haben es jetzt das erste Mal geschafft, mit Hilfskonvois mit Lebensmitteln und Gesundheitsversorgungsinstrumenten in besetzte Gebiete zu kommen, in Gebiete, die von Terrororganisationen oder von Assads Soldaten besetzt sind. Den Menschen dort konnten wir nach monatelangem Hunger und vielen Entbehrungen endlich wieder Nahrungsmittel geben. Wir erreichen leider nicht alle Gebiete, weil wir nicht überall hindürfen und jedes Mal eine Erlaubnis brauchen. Aber für einige Hunderttausend Menschen gibt es in diesem Bereich zumindest diesen Hoffnungsschimmer.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir sehen ebenfalls, dass Menschen wieder in ihre Gebiete zurückkehren können – zwar nicht in alle, aber wenigstens in einige – und versuchen, ihre zerstörten Häuser wieder aufzubauen. Wir versuchen hier, unterstützend tätig zu sein. Wir versuchen auch, vorbereitet zu sein, um mit weiteren Maßnahmen beginnen zu können, wenn nach erfolgreichen Friedensverhandlungen – darauf hoffen wir alle – der Frieden eintritt. Wir wollen mit Infrastrukturmaßnahmen und vielem anderen helfen, damit die Menschen dort wieder ein lebenswertes Leben haben.
4,8 Millionen syrische Flüchtlinge sind in Nachbarländer geflüchtet und haben dort großzügig Aufnahme gefunden. Aber diese Länder sind am Ende ihrer Kapazität. Sie stehen vor immens großen Herausforderungen.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Europa ist nicht am Ende seiner Kapazität!)
Es sind Länder wie Jordanien, der Libanon und der Irak, die auch vorher schon Probleme hatten, die auch vorher schon eine hohe Arbeitslosigkeit hatten, die auch vorher schon – wie Jordanien – Wasserprobleme hatten. Diese Probleme werden jetzt durch die syrischen Flüchtlinge verstärkt. Im Libanon sind die Wohnungskosten um über 200 Prozent gestiegen. Viele syrische Flüchtlinge gehen in die Schwarzarbeit, weil sie keine Arbeitsgenehmigung haben. Ihre finanziellen Möglichkeiten sind erschöpft. Das bisschen Geld, das sie am Anfang hatten, ist aufgebraucht. Sie nehmen der einheimischen Bevölkerung so aber die Arbeitsplätze weg. In manchen Ländern, in Jordanien etwa, kommen die Lastwägen mit Wasser nur noch alle zwei Monate in die Dörfer, weil wegen der syrischen Flüchtlinge sehr viel mehr Wasser gebraucht wird. Man sieht, dass die Aufnahmewilligkeit dort an ihre Grenzen gekommen ist.
Deswegen müssen wir schauen, dass wir unterstützen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Grundbedürfnisse. Unsere Aussage muss immer sein: Bleibt da, wo ihr seid! Wir versuchen, zu helfen, wo wir helfen können, ob das beim Aufbau der Dörfer, der Schulen oder in vielen anderen Bereichen ist. – Wir müssen schauen, dass die Spannungen, die es zwischen der Bevölkerung und den Flüchtlingen teilweise gibt, nicht immer mehr anwachsen, damit es nicht zum Eklat kommt.
Wir fördern Bildung und Beschäftigung im Libanon. Wir bauen die Infrastruktur und das Gesundheitswesen im Irak auf. Wir helfen bei der Wasserversorgung in Jordanien. Wir versuchen, junge syrische Flüchtlinge oder überhaupt syrische Flüchtlinge mit einem Programm zu erreichen, das der Minister aufgelegt hat, nämlich „Cash for Work“. Sie sollen sich handwerkliche Fähigkeiten, etwa als Klempner oder als Schreiner, aneignen, damit sie beim Aufbau helfen können, damit sie die Möglichkeit haben, Geld zu verdienen, sodass sie ihre Familie ernähren können. Wir versuchen auch, die Gemeinden zu unterstützen, die Flüchtlinge aufgenommen haben, und wir werben sehr stark für Städtepartnerschaften – ich finde, das ist ein ganz wichtiger Punkt – zwischen deutschen Städten und Gemeinden in den Herkunftsländern.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Stefan Rebmann [SPD])
Die Londoner Konferenz, an der 70 Staaten teilgenommen haben, hat 9,3 Milliarden Euro eingebracht. Wir hoffen natürlich, dass das nicht nur Zusagen waren wie in der Vergangenheit, sondern dass das Geld diesmal auch wirklich fließt. Deutschland wird sich mit 2,3 Milliarden Euro daran beteiligen. Davon gehen allein 570 Millionen Euro an das World Food Programme; denn es darf nicht mehr vorkommen, dass –wie im letzten Jahr geschehen – die Lebensmittelrationen gekürzt werden müssen und pro Person nur noch 13 Euro im Monat zur Verfügung stehen. Das bietet keine Lebensmöglichkeit. Wenn die Mütter sehen, dass ihre Kinder keine Nahrung mehr haben, wenn die Mütter sehen, dass die Kinder auch keine Ausbildung mehr bekommen, wenn die Mütter bzw. Familien so verzweifelt sind, dass sie ihre jungen Mädchen mit 10, 11 oder 12 Jahren an reiche Araber verkaufen müssen, damit sie zukünftig ihre Familien ernähren können, wenn Väter sehen, dass sie nicht die Möglichkeit haben, ihrer Familie durch Arbeit eine gewisse Existenzbasis zu verschaffen, dann werden diese Menschen nicht in diesen Ländern bleiben, dann werden sie sich auf den Weg machen.
Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in einem Lager liegt heute bei 17 Jahren – mit steigender Tendenz. Wer schon einmal in solch einem Lager gewesen ist, kennt die Hoffnung, die am Anfang noch da war, die Hoffnung auf eine schnelle Rückkehr. Diese Hoffnung ist einer physisch greifbaren Hoffnungslosigkeit gewichen. Unsere größte Sorge gilt den Kindern. Kinder sind die Leidtragenden in diesem Bereich. 11 000 Kinder sind inzwischen durch den syrischen Konflikt gestorben, nicht nur durch Heckenschützen oder Fassbomben, sondern oft auch durch Mangelernährung, durch Krankheiten, die man hätte heilen können, wenn eine entsprechende Gesundheitsversorgung vorhanden gewesen wäre.
Frau Kollegin.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – So hoffen wir natürlich, dass wir mit unserer Hilfe vor Ort etwas ändern können. Wir können natürlich nicht die ganze Welt retten; das ist klar.
(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh Mann!)
Aber wir können im Rahmen unserer Möglichkeiten versuchen, diesen Menschen vor Ort eine Chance zu geben, eine Zukunft zu geben, Perspektiven zu geben. Das wird nicht nur eine Aufgabe für uns und für heute sein, sondern es wird eine Aufgabe für die zukünftigen Generationen sein. Aber wir müssen dafür schon den Weg bereiten.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Katja Keul ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6830316 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 170 |
Tagesordnungspunkt | Bekämpfung von Fluchtursachen |