12.05.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 170 / Tagesordnungspunkt 4

Katja KeulDIE GRÜNEN - Bekämpfung von Fluchtursachen

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Minister Müller, gegen mehr Geld für Flüchtlingslager hat sicher niemand etwas. Aber Fluchtursachen werden Sie mit Geld alleine nicht bekämpfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die allermeisten Menschen sind bereit, viel Armut zu ertragen, um in ihrer Heimat zu bleiben. Die häufigste Ursache für Fluchtbewegungen sind und bleiben aber bewaffnete Auseinandersetzungen. Deswegen ist es so wichtig, rechtzeitig Krisenprävention zu betreiben und nicht tatenlos zuzusehen, wenn die Eskalation absehbar ist. In Ihrem Antrag nennen Sie als Beispiel Libyen. Nach dem Sturz Gaddafis in 2011 waren zwei Dinge absehbar: erstens, dass Libyen ohne Hilfe nicht in der Lage sein würde, die Kriegsverbrechen aufzuarbeiten und das Volk zu versöhnen, und zweitens, dass das Nachbarland Mali eine Destabilisierung durch die Rückkehr hochbewaffneter Tuareg-Kämpfer nicht überstehen würde. Beides haben wir ignoriert. Konsequenz: Heute verlängern wir zum dritten Mal den Bundeswehreinsatz in Mali, und Libyen ist zu einem Failed State geworden, in dem uns auch für Flüchtlingsfragen keine Ansprechpartner mehr zur Verfügung stehen.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Die Grünen waren doch auch dafür!)

Mit unserem Antrag wollen wir Grünen Ihr Augenmerk auf die nächste drohende Eskalation vor unserer Haustür richten. Vor 40 Jahren marschierte Marokko völkerrechtswidrig in die Westsahara ein und besiedelte das Land mit eigenen Staatsangehörigen, nachdem die Kolonialmacht Spanien sich zurückgezogen hatte. Die Saharauis nahmen daraufhin den Kampf auf und riefen ihren eigenen Staat aus, die Demokratische Arabische Republik Sahara. 1991, also vor 25 Jahren, konnte die UNO einen Waffenstillstand vermitteln. Grundlage dieses Waffenstillstandes war ein Referendum, das bis heute nicht durchgeführt wurde. Entgegen der Vereinbarung weigert sich Marokko bis heute, die Option einer Unabhängigkeit mit in das Referendum aufzunehmen. Dabei sind die technischen Voraussetzungen zur Bestimmung der Wahlberechtigten laut UNO längst geklärt. Der UN-Sonderbeauftragte Christopher Ross durfte in den letzten Jahren nicht einmal mehr in die besetzten Gebiete einreisen. Wer sich in der Westsahara zum Selbstbestimmungsrecht der Saharauis äußert oder womöglich das Wort „Besatzung“ benutzt, wird strafrechtlich verfolgt.

Als im März der Generalsekretär Ban Ki-moon die Flüchtlingslager der Polisario auf algerischem Territorium besuchte und ebenfalls von Besatzung sprach, verwies Marokko aus Protest die Mitarbeiter der UN-Mission MINURSO des Landes. Wissen Sie, was das für ein Eklat für die UNO ist? Die Europäer und der Sicherheitsrat jedoch haben das einfach so hingenommen und den Generalsekretär im Regen stehen lassen. Dieser ungeheuerliche Vorgang ist eine Bedrohung für sämtliche Peacekeeping-Missionen der Vereinten Nationen. Wo kommen wir da hin?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD])

Was macht die Bundesregierung? Statt die Vereinten Nationen zu stärken, fährt de Maizière nach Marokko, um dem König anzukündigen, dass man sein Land jetzt als sicheren Herkunftsstaat anerkennen will, wenn er dafür die abgelehnten Asylbewerber zurücknimmt. Und nicht nur das: Erst im Dezember hat der EuGH in erster Instanz das Handelsabkommen der EU mit Marokko für rechtswidrig erklärt, weil es die Westsahara behandelt, als sei sie marokkanisches Staatsgebiet. Was macht der deutsche Innenminister? Er verspricht dem marokkanischen König, dass sich Deutschland für einen Erfolg der Berufung einsetzen wird. Ja was ist denn das für ein Rechtsstaatsbewusstsein? Seit wann nimmt die Exekutive Einfluss auf den Ausgang eines gerichtlichen Verfahrens?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das alles ist an Kurzsichtigkeit nicht mehr zu überbieten. Die junge Generation der Saharauis hat längst genug von 25 Jahren Waffenstillstand. Sie sehen, dass die Europäer sie nicht beachten, wenn sie nicht zu den Waffen greifen und selbst die UNO keine Unterstützung mehr bekommt. Wenn sie die Hoffnung verlieren, werden sie sich nicht einfach zum Sterben in die Wüste legen; da können wir sicher sein. Wenn sich die Europäer gegenseitig zuflüstern, dass eine Unabhängigkeit der Westsahara unrealistisch sei, dann sage ich Ihnen, was unrealistisch ist: Unrealistisch ist es, zu glauben, man könne einen Konflikt einfach aussitzen und ignorieren, bis er sich in Luft auflöst.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])

Der Konflikt wird sich nicht auflösen, und die Menschen, die davon betroffen sind, auch nicht. Übrigens haben Oxfam und das Welternährungsprogramm ihre Unterstützung für die Flüchtlingslager der Polisario reduzieren müssen.

Wer eine weitere Fluchtursache verhindern will, muss sich endlich ernsthaft um eine Lösung dieses Konfliktes bemühen, zum Wohle der Menschen in der Westsahara, des gesamten Maghreb und letztlich auch der EU.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Gabriela Heinrich das Wort.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6830317
Wahlperiode 18
Sitzung 170
Tagesordnungspunkt Bekämpfung von Fluchtursachen
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