12.05.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 170 / Tagesordnungspunkt 4

Tobias ZechCDU/CSU - Bekämpfung von Fluchtursachen

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben viel über die Fragen gehört: Wie können wir Fluchtursachen vor Ort bekämpfen? Wie können wir den Menschen vor Ort helfen? Lassen Sie mich einen Blick auf die Frage werfen: Wie können wir den Ländern, die um die Katastrophengebiete herum liegen, helfen? Wir haben über die Türkei gesprochen, wir haben über Jordanien gesprochen, und wir haben über den Irak gesprochen. Das alles sind Länder, in denen momentan Flüchtlinge aufgenommen werden. Meine Damen und Herren, 90 Prozent der Flüchtlinge aus dem Syrienkrieg fliehen nicht nach Europa, sondern in diese Länder.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Genau! Das stimmt! Deshalb können wir auch welche aufnehmen!)

Europa hat jahrelang dabei zugesehen, wie diese Länder mit dieser Katastrophe umgehen. Jetzt ist es Zeit, zu handeln; wir haben auch das richtige Team. Ich möchte gleich zu Beginn Minister Müller dafür danken, dass er dies sofort nach seiner Amtsübernahme erkannt und diese Länder massiv unterstützt hat, und das unter Ausreizung aller Ermessensspielräume, die der Bundeshaushalt hergibt.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Na ja! Bei 130 Milliarden Euro für die Bundeswehr gibt es schon noch Spielraum!)

Sehr geehrter Herr Minister, vielen Dank! Sie haben Großes geleistet, und wir sind auf dem Weg, noch mehr zu leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte mich, wie es auch der Kollege Wadephul getan hat – Herr Staatsminister Roth, ich bitte, das auszurichten –, aber auch bei den deutschen Diplomaten und den deutschen BMZ-Mitarbeitern vor Ort bedanken. Ich bin oft im Libanon und in der dortigen Botschaft. Die Diplomaten vor Ort, die die Bundesrepublik – uns alle hier – vertreten, leisten Großes. Wir können auf diese Mitarbeiter stolz sein, und wir können stolz auf das sein, was sie tun. Sie verschaffen der Bundesrepublik nicht nur ein hervorragendes Antlitz, sondern sie vertreten auch unsere Interessen, und sie sind ein großer Beitrag zu unserem Erfolg. Ich bitte, diesen Dank weiterzugeben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Kommen wir zur Türkei. Ich weiß, es ist momentan sehr einfach, auf die Türkei zu schimpfen. Ich habe, wie auch viele von Ihnen, Nizip und Kilis besucht. Wenn man dort in einem Lager mit 25 000 Menschen steht und sieht, welche Anstrengungen die Türkei unternommen hat, dann muss man – unabhängig davon, wie die Regierung momentan agiert – auch den dort Verantwortlichen, etwa der Bürgermeisterin von Gaziantep, den NGOs vor Ort und den türkischen Beamten danken, die sich schon seit Jahren um diese Menschen kümmern. Auch das gehört zur Wahrheit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wir haben in der Türkei zumindest eine, ob sie uns gefällt oder nicht, stabile Regierung – noch. Es gibt aber andere Länder um Syrien herum – Sie erlauben mir, dass ich den Blick jetzt etwas stärker auf den Libanon lenke –, die keine stabile Regierung haben. Im Libanon zum Beispiel gibt es seit 2014 keinen Staatspräsidenten mehr. Der Libanon, meine Damen und Herren, ist das einzige Land im Orient, in dem ein früherer Staatspräsident noch lebt. Der Libanon könnte eine Modellregion sein.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der im Irak lebt auch noch!)

– Das ist vielleicht nicht im Orient, Kollegin Roth; aber darüber können wir ja noch streiten. Dann sage ich: Der Libanon ist eines der wenigen Länder, in denen das der Fall ist. Kollegin Roth, können wir uns darauf einigen?

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na gut!)

– Gut. – Aber ich glaube, wir sind uns einig, dass wir den Libanon als eine Modellregion betrachten können, als eine Modellregion, in der verschiedene Religionen und verschiedene soziokulturelle Gruppen in einer Demokratie friedlich miteinander gelebt haben. Ihnen müssen wir helfen.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)

Ich habe Kommunen in der Bekaa-Ebene und in Akkar besucht. In diesen ärmsten Provinzen leben 5 000 Einwohner und 5 000 Flüchtlinge. Hier funktioniert nichts mehr, weder bei der Wasserversorgung noch bei der Wasserentsorgung. Jeder von Ihnen, der auch Kommunalpolitiker ist – ich bin es seit 14 Jahren –, weiß, dass eine Kommune so etwas nicht stemmen kann. Diesen Menschen müssen wir vor Ort helfen. Nicht nur mit Geld, sondern auch politisch müssen wir dem Libanon helfen, diesen „governmental freeze“ zu überwinden und das zu werden, was das Land sein kann: eine Modellregion in diesem eskalierenden Konflikt.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Lassen Sie mich noch erwähnen, warum es wichtig ist, dass wir auch mit Geld helfen. Ich selbst bin gelernter Einzelhandelskaufmann. Ich will damit sagen: Ich kann gut einkaufen. Alle Stereotypen, die man in diesem Zusammenhang äußern könnte, treffen auf mich nicht zu, weil ich während meiner Ausbildung zwei Jahre lang Tomaten nach Größe und Joghurts nach Datum sortiert habe. Ich habe versucht, für 21 Dollar im Libanon einzukaufen, und ich weiß, wie man Lebensmittel einkauft. Ich weiß, wo ich zugreifen muss, damit ich für wenig Geld viele Proteine bekomme. Ich habe es nicht geschafft.

Deutschland hat als größter bilateraler Geber in London einen sehr großen Beitrag geleistet, was richtig ist. Darüber hinaus ist es unsere Verpflichtung, alle anderen Länder in Europa, aber auch in der Welt weiter dazu anzuspornen, sich auch zu beteiligen. Wenn ich nach Frankreich mit 70 Millionen Einwohnern und nach Italien mit 43 Millionen Einwohnern sehe, dann stelle ich fest, dass es in der Frage, wie man vor Ort helfen kann, noch Raum für Verbesserungen gibt.

Ich kann es niemandem verdenken, dass er sich dann, wenn er seine Familie nicht ernähren kann, auf den Weg über das Meer macht. Der Minister hat es ausgeführt, und die Kollegin Wöhrl hat es ebenso sehr klar zum Ausdruck gebracht: Die humanitäre Hilfe, die wir leisten, geschieht nicht hier bei uns, sie geschieht vor Ort. Hier müssen wir mit Geld unterstützen. Wir müssen aber auch politisch unterstützen. Frau Kollegin Hänsel, deswegen sind Sie mit Ihren Ausführungen oft über das Ziel hinausgeschossen. Natürlich gehört die Sicherheitspolitik auch dazu. Ohne Sicherheit können Sie ein Land nicht entwickeln.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb lassen Sie mich zum Schluss noch eines sagen: Ich war acht Jahre lang Soldat, und ich bin dankbar für die Entscheidung der Bundesministerin, dass wir nicht nur die Truppen verstärken, sondern auch deren Equipment verbessern. Wir können stolz sein auf unsere Soldaten. Sie sind teilweise unsere besten Entwicklungshelfer. Lassen Sie uns so weitermachen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6830375
Wahlperiode 18
Sitzung 170
Tagesordnungspunkt Bekämpfung von Fluchtursachen
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