12.05.2016 | Deutscher Bundestag / 18. EP / Session 170 / Zusatzpunkt 2

Eva HöglSPD - Streichung des § 103 StGB

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit, auch die Kunstfreiheit sind höchste Schutzgüter unseres Grundgesetzes. Sie stehen in Artikel 5 an prominenter Stelle und werden dort garantiert, und sie sind nicht verhandelbar – die erste Vorbemerkung.

(Beifall bei der SPD)

Die zweite Vorbemerkung. Alle Menschen genießen gleichermaßen das Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf Achtung ihrer Würde, alle Menschen, egal ob sie arm oder reich, groß oder klein, dick oder dünn sind, ob sie Ausländer oder Inländer, ob sie Politiker oder dies nicht sind. Die Ehre eines jeden Bürgers und einer jeden Bürgerin ist gleich viel wert.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Deshalb soll das Strafrecht alle Menschen ohne Ansehen der Person vor tätlichen Angriffen und auch vor Beleidigungen und Verleumdungen schützen. Das ist ein ganz wichtiges Prinzip.

Der Fall Böhmermann hat uns vor Augen geführt, dass wir im Strafrecht einige Sondertatbestände haben, die einige vielleicht schon gekannt haben, einige vielleicht aber auch nicht – ich schaue jetzt einfach einmal in die Runde –, und die uns zu der Überlegung geführt haben, diese Sondertatbestände zu streichen. Ich finde es absolut in Ordnung, dass wir darüber anlässlich eines Einzelfalls nachdenken; das ist absolut in Ordnung. Das heißt nicht, dass wir immer auf einen Einzelfall reagieren. Aber es heißt, dass wir einen Einzelfall zum Ausgangspunkt nehmen, um zu erkennen, dass bestimmte Dinge vielleicht nicht so sind, wie sie sein sollen. Wir als SPD-Bundestagsfraktion stimmen absolut mit der Bundeskanzlerin überein, dass § 103 StGB gestrichen werden soll.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das hat unser Fraktionsvorsitzender und damit wir als erste Bundestagsfraktion – darauf lege ich hier schon ein bisschen Wert – schon am 12. April dieses Jahres öffentlich gefordert. Dabei bleiben wir auch. Ja, § 103 stammt aus einer vordemokratischen Zeit: Als er entstand, ging es um Majestätsbeleidigung. Ich glaube, wir sind uns alle hier in diesem Haus einig, dass dieser Paragraf nicht mehr in unsere Zeit passt.

Die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter wird schärfer sanktioniert als die normale Beleidigung. Der Fall Böhmermann hat gezeigt, dass genau diese an sich gutgemeinte Regelung, die nämlich die diplomatischen Beziehungen schützen soll, das gerade nicht tut, sondern sogar zum Gegenteil führt, nämlich zu diplomatischen Verwicklungen. Denn neben dem ohnehin überzogenen Ehrenschutz, wie ich es eben schon dargelegt habe, führen auch die Voraussetzungen der Strafverfolgung zu Verwicklungen und zu Schwierigkeiten, nämlich beim § 104 a.

Das vorgesehene Strafverlangen der türkischen Regierung hat zu Recht bei uns Befremden ausgelöst – ich glaube, das gilt für viele hier im Haus –; denn gerade die Türkei hat kein besonders gutes Verhältnis zu Presse- und Meinungsfreiheit. Das konnten wir nicht nur in den letzten Tagen und Wochen beobachten. Präsident Erdogan hat seit seinem Amtsantritt rund 2 000 Strafverfahren wegen angeblicher Präsidentenbeleidigung einleiten lassen. Auch das gehört in unsere Diskussion. Vor diesem Hintergrund und wegen des hohen Stellenwertes der Meinungsfreiheit ist die Ermächtigung der Bundesregierung zur Strafverfolgung in der Öffentlichkeit nicht vermittelbar; auch diese Ermächtigung ist absolut unzeitgemäß.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Denn damit wird das Verhalten von Privatpersonen wie im Fall Böhmermann zu einer Staatsaffäre. Deswegen ist § 104 a zu streichen.

Was ich besonders problematisch finde, ist, dass es sich im Fall Böhmermann gar nicht um eine normale Beleidigung handelt, dass seine Äußerungen vielmehr im Kontext einer Satiresendung geäußert wurden. Auch deswegen ist sehr kritisch zu beleuchten, dass nicht nur § 104 a grundsätzlich falsch ist und zum Gegenteil führt, sondern dass wir es auch gar nicht zulassen dürfen, dass ausländische Regierungen diese Vorschriften des Strafgesetzbuches zu ihren politischen Zwecken missbrauchen. Das ist eine ganz wichtige Frage, die wir hier miteinander erörtern müssen.

Die jetzige Rechtslage führt dazu, dass letztendlich die Bundesregierung durch die Entscheidung darüber, ob sie eine Ermächtigung erteilt, in eine politische Zwangslage kommt, in der man eigentlich nur falsch handeln kann, in der es fast kein Richtig gibt. Das hat sich ja auch dadurch gezeigt, dass die Bundesregierung bei dieser Entscheidung erstens nicht einer Meinung war und dass sie es sich zweitens zu Recht sehr schwer gemacht hat, ob diese Ermächtigung erteilt werden soll. Wenn es zu diplomatischen Störungen kommt, dann führt diese Ermächtigung der Bundesregierung in § 104 a gerade zu dem Gegenteil dessen, was sie eigentlich bewirken soll, nämlich die diplomatischen Beziehungen zu schützen.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen sagen wir ganz deutlich, dass es schwierig war, dass die Bundesregierung die Ermächtigung erteilt hat; ich habe es eben schon gesagt. Der Vorgang ist unterschiedlich bewertet worden. Ich persönlich, viele andere in der Bundestagsfraktion und auch die SPD-Minister haben die Entscheidung der Bundeskanzlerin für einen Fehler gehalten. Wir müssen auch schauen, dass kein politischer Schaden entsteht; denn allein dadurch, dass der Eindruck entsteht, man habe sich von Erdogan in die eine oder andere Richtung lenken lassen, ist schon politischer Schaden entstanden. Es ist absolut richtig, dass die Bundeskanzlerin direkt bei der Erklärung, dass die Ermächtigung erteilt wird, gesagt hat: Es ist Zeit, § 103 aus dem StGB zu streichen, weil er nicht in unsere Zeit passt.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen: § 103 muss weg. Da sind wir uns hoffentlich alle einig. Die SPD-Bundestagsfraktion sagt: Auch § 104 a muss weg. Das sagen die Grünen leider nicht. Da enthält ihr Vorschlag eine Lücke, wie ich finde. Die Linken gehen leider nicht weit genug mit ihrem Vorschlag, weil sie es bei § 104 a belassen und nur die Ermächtigung der Bundesregierung herausstreichen wollen; die Regelung zum Verlangen des Staates auf Strafverfolgung wollen sie leider nicht streichen. Deswegen sind beide vorliegenden Gesetzentwürfe nicht geeignet, hier beschlossen zu werden. Die SPD-Bundestagsfraktion sagt: Beides weg, § 103 und § 104 a! Außerdem, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Unionsfraktion: Sofort streichen und nicht erst 2018! Dann würden wir hier die richtige Entscheidung treffen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Detlef Seif von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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Electoral Period 18
Session 170
Agenda Item Streichung des § 103 StGB
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