12.05.2016 | Deutscher Bundestag / 18. EP / Session 170 / Zusatzpunkt 2

Christian FlisekSPD - Streichung des § 103 StGB

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Seif, ich schließe mich den Vorbemerkungen von Frau Künast vollends an. Ich sage auch: Sie hätten sich das Zitat schlichtweg sparen können,

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

insbesondere deswegen, weil Sie den Anspruch hatten, eine rechtspolitische Rede zu halten. Für eine rechtliche Beurteilung ist der Gesamtkontext entscheidend. Sie haben das Zitat aber aus dem Kontext herausgerissen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Entrümpelung des materiellen Strafrechts bedarf manchmal äußerer Anlässe, Anlässe, die man sich vielleicht nicht wünscht, die aber wiederum zeigen, wie sehr aus der Zeit gefallen mancher Straftatbestand unseres geltenden Rechts ist. Die Strafvorschriften der §§ 103 und 104 a StGB, über deren Abschaffung wir heute beraten, sind solche Vorschriften, die aus der Zeit gefallen sind. Aus Anlass der sogenannten Affäre Böhmermann, die eigentlich eine Affäre Erdogan ist, wurde uns dies drastisch vor Augen geführt.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE] und Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Regelungen des § 103 StGB, so wie wir sie heute kennen, gibt es schon seit den 1950er-Jahren. Aber erst in den 1960er-Jahren wurden sie massenhaft angewendet. Sie erlangten ihren heute noch gebräuchlichen Spitznamen, als der damalige Schah von Persien in jeder Kritik an seiner Person eine Beleidigung seiner selbst sah und eine Strafverfolgung dieser Majestätsbeleidigung durch den deutschen Staat verlangte. Den Schah von Persien gibt es heute nicht mehr; geblieben aber ist der Schah-Paragraf. Geblieben sind auch ausländische Staatsoberhäupter, die sich ziemlich schnell beleidigt fühlen.

So konnte sich die Geschichte in der Vergangenheit auch wiederholen. Was 1964 die Redakteure des Kölner Stadt-Anzeigers waren, die sich mit einer Fotomontage über den Schah lustig machten, das war 1987 Rudi Carrell, der das iranische Staatsoberhaupt Ayatollah Chomeini verspottete, das war 2001 Jan Weiler, der das japanische Kaiserpaar auf die Schippe nahm, das sind heute die Redakteure von extra 3, das sind Jan Böhmermann und Mathias Döpfner. Wer diese Liste betrachtet, muss feststellen: Manchmal sagt die Einleitung eines Strafverfahrens mehr über den Anzeigenerstatter als über den Beschuldigten aus.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zur Analyse gehört auch, dass das Skandalisierungspotenzial im materiellen Recht dieser Vorschriften bereits angelegt ist; denn zur Staatsaffäre konnten sich einige dieser Fälle nur deswegen entwickeln, weil das Strafgesetzbuch die Bundesregierung derart einbezieht, dass sie zur Strafverfolgung wegen Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten ermächtigen muss. Was eine Privataffäre ist und eigentlich auch eine Privataffäre bleiben sollte, wird damit qua Gesetz zur Staatsaffäre gemacht. Diese Rechtslage ist unnötig und anachronistisch.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie ist unnötig, weil auch bei Abschaffung der Sondervorschrift des § 103 StGB das ausländische Staatsoberhaupt – darauf ist hingewiesen worden – nicht schutzlos gestellt wird. Jede Person kann – wie jeder Bürger dieses Landes auch – nach den allgemeinen Beleidigungsparagrafen vorgehen. Die Bundesregierung ist dann außen vor.

Anachronistisch ist diese Rechtslage, weil es im 21. Jahrhundert völlig unangemessen ist, ein Sonderstrafrecht für bestimmte Personengruppen festzuschreiben, die in besonderer Weise Gegenstand einer kritischen Berichterstattung oder auch einer künstlerisch-satirischen Auseinandersetzung sind. Die präventive Funktion des Strafrechts soll zur Rechtstreue anhalten; sie darf nicht zur Selbstzensur führen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Anachronismus tritt dann besonders deutlich zutage, wenn das ausländische Staatsoberhaupt selbst nicht gerade durch Liebe zum Rechtsstaat, zur Freiheitlichkeit, zur Demokratie auf sich aufmerksam gemacht hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

§ 103 macht hier leider keinen Unterschied. Er schützt jedes ausländische Staatsoberhaupt, den demokratisch gewählten Präsidenten genauso wie den pseudodemokratisch gewählten Präsidenten und auch den gewaltsamen Despoten. Das kann nicht richtig sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man eine so unnötige und aus der Zeit gefallene Vorschrift des materiellen Strafrechts entdeckt, dann muss man sofort die notwendigen Konsequenzen ziehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zu fordern, diese Vorschrift abzuschaffen, gleichzeitig aber Herrn Erdogan im konkreten Fall den roten Teppich für ein Strafverfahren gegen Herrn Böhmermann auszurollen, ist nicht nur widersprüchlich, sondern auch in höchstem Maße politisch unklug.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen wäre die Bundeskanzlerin auch gut beraten, hier auf die SPD zu hören und eine unverzügliche Streichung dieses Paragrafen zu unterstützen.

Gerichte werden in Deutschland klären, inwieweit das, was Sie, Herr Kollege Seif, aus dem Kontext herausgerissen zitiert haben, strafrechtliche Relevanz hat oder nicht. Meine Fraktion wird sich aber für die sofortige Streichung der beiden genannten Paragrafen einsetzen. Wir werden hierfür in Kürze einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen. Weil die Gesetzentwürfe der Opposition nun einmal einige handwerkliche Mängel haben, können wir ihnen nicht zustimmen. Aber wir laden Sie alle, meine Damen und Herren, herzlich ein, dann den Entwurf meiner Fraktion zu unterstützen. Das wäre ein wesentlicher Schritt hin zu einer sofortigen Streichung dieser Paragrafen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht für die CDU/CSU-Fraktion Thorsten Frei.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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