12.05.2016 | Deutscher Bundestag / 18. EP / Session 170 / Zusatzpunkt 2

Thorsten FreiCDU/CSU - Streichung des § 103 StGB

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren – das hat die bisherige Debatte schon gezeigt – eine spannende rechtspolitische Frage, die jede Menge juristische Problemstellungen aufwirft und darüber hinaus natürlich auch außenpolitische Implikationen hat, die das Ganze umso komplexer machen.

Es ist schon bemerkenswert, dass es einem Komiker und Satiriker mit einer förmlichen Guerillaaktion ein weiteres Mal gelungen ist, eine gesellschafts- und auch staatspolitische Debatte bei uns im Land anzustoßen. Es war letztes Jahr das „Varoufake“-Video, es ist jetzt das Schmähgedicht auf den türkischen Präsidenten Erdogan. Natürlich ist dieses Gedicht – das will ich an dieser Stelle sagen; das hat auch diese Debatte gezeigt – zutiefst verletzend und ehrabschneidend. Es ist im Hinblick auf Form, Inhalt, Art und Weise absolut inakzeptabel, auch in dem Zusammenhang, in dem es vorgetragen worden ist. Trotz allem ist es so – –

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

So früh schon? Ich habe ja noch gar nichts gesagt.

(Heiterkeit bei der SPD – Christian Flisek [SPD]: Das ist die Vorahnung!)

Darüber entscheide ich nicht, wie Sie wissen. – Bitte.

Vielen Dank, Herr Kollege Frei, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – ich bin etwas verwundert darüber, dass Sie gerade „Varoufake“ und das Schmähgedicht in einem Zuge genannt haben. Ist Ihnen bekannt, dass Böhmermann für „Varoufake“ den Grimme-Preis bekommen hat?

(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD] und Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])

Ich habe insbesondere darauf Bezug genommen, Frau Kollegin, dass es natürlich in gewisser Hinsicht problematisch ist, wenn man letztlich die Konfrontation und Auseinandersetzung mit ausländischen Staats- und Regierungsvertretern zum Gegenstand solcher Satirewerke macht. Unabhängig davon, ob es dafür einen Preis gab oder nicht, entzieht es sich nicht einer politischen Bewertung. Deshalb habe ich diesen Zusammenhang hergestellt. Ich halte ihn, auch wenn es unterschiedliche Sachverhalte sind, durchaus für richtig.

Ich hatte es angesprochen: Man kann über Inhalt und Form unterschiedlicher Meinung sein und trotzdem zu einem klaren Ergebnis kommen. Jedenfalls ist klar, dass es Grenzen gibt, auch bei den Grundfreiheiten unserer Verfassung. Es gibt eben nicht nur die Kunstfreiheit, es gibt nicht nur die Meinungsfreiheit. Diese Freiheiten haben letztlich dort ihre Grenzen, wo andere Werte mit Verfassungsrang tangiert werden, und das ist nicht zuletzt das Persönlichkeitsrecht.

Es ist nicht entscheidend, ob die Frage der Strafbarkeit links oder rechts zu verorten ist; denn das hat in Deutschland Gott sei Dank weder die Exekutive noch die Legislative, sondern das zuständige Gericht zu entscheiden. Deshalb halte ich die Entscheidung der Bundesregierung für zutreffend und richtig, erstens nach § 104 Strafgesetzbuch die entsprechende Ermächtigung zu erteilen und zweitens nicht in einem Schnellschuss – meine Kollegen haben das rechtspolitisch ausführlich dargelegt – über die Abschaffung eines alten Straftatbestandes zu entscheiden, sondern dies zum Gegenstand umfassender Überlegungen zu machen. Es ist richtig, was gesagt worden ist: Keine Strafvorschrift steht am Ende des Tages für sich alleine, sondern sie ist in einen Gesamtzusammenhang zu rücken. Insbesondere mein Kollege Ullrich hat ausführlich darauf hingewiesen, dass es durchaus Änderungsmöglichkeiten und Änderungsbedarf gibt. Aber es muss möglich sein, das in einer ausführlichen Debatte zu klären.

Ich will Ihre Fragen mit einer Gegenfrage beantworten: Was ist der Grund dafür, dass man jetzt eine uralte Regelung, über deren Richtigkeit man unterschiedlicher Meinung sein kann – ich bin von der Ihrigen übrigens nicht weit entfernt –, in einem Schnellschuss beseitigen will? Warum greift man einen Sondertatbestand heraus, ohne die Beleidigungstatbestände insgesamt zu prüfen?

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Brauchen Sie zwei Jahre dafür?)

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dehm zu?

Ich würde sagen, dass ich jetzt weiterrede. Wenn der Wunsch nach einer Zwischenfrage später immer noch vorhanden ist, dann besteht die Möglichkeit einer Kurzintervention.

Ich glaube, dass diese Entscheidung der Bundesregierung richtig war. Man muss in der Tat klarstellen, dass Recht Recht ist und Außenpolitik Außenpolitik. Genau diese Unterscheidung hat die Bundesregierung getroffen, und diese Entscheidung war korrekt und richtig. Ich glaube auch, dass dies ein gutes Beispiel ist, um denen, die nicht glauben, dass Gewaltenteilung ein konstitutives Element einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist, deutlich zu machen, was die Gewaltenteilung bedeutet.

Es ist richtig, an dieser Stelle über Sinn und Unsinn des § 103 des Strafgesetzbuches insgesamt, losgelöst vom Fall Böhmermann, nachzudenken. Ich gebe Ihnen in weiten Teilen recht: Das ist eine Vorschrift, die ein Stück weit aus der Zeit gefallen ist. Was 1871 oder auch schon davor in früheren Landesstrafgesetzbüchern richtig war, muss heute keineswegs mehr richtig sein. Während die Beleidigung eines Staatsoberhauptes früher mit der Beleidigung eines Staates gleichzusetzen war, was dadurch zum Ausbruch eines Krieges mit hohem Blutzoll führen konnte, ist es heute eben nicht mehr so. Auf so etwas würde sich in Deutschland kein Mensch berufen.

Deshalb – auch das ist bereits gesagt worden – spricht es eher gegen denjenigen, der sich auf eine solche Regelung beruft, als gegen denjenigen, der sich mit einer entsprechenden Anklage konfrontiert sieht. Nur als Maßstab: Wenn jemand eine solche Vorschrift für sich in Anspruch nimmt, dann zeugt das davon, dass er nicht über die notwendige Souveränität verfügt und offensichtlich eine relativ schwache Stellung hat. Unsere Bundeskanzlerin hat in der Vergangenheit mehrfach gezeigt, was der Maßstab für einen Staats- oder Regierungschef ist. Im vergangenen Sommer hat sie angesichts der inakzeptablen Schmähungen aus Athen gezeigt, wie souverän man mit solchen absolut deplatzierten Anschuldigungen, Anwürfen und Schmähungen umzugehen hat. Das ist sicherlich die richtige Herangehensweise.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ein Weiteres: Ich glaube, dass das Schutzgut des § 103 Strafgesetzbuch in einer globalen Informationsgesellschaft durch solche Regelungen nur noch eingeschränkt berücksichtigt werden kann. Man muss, glaube ich, auch im Blick haben, dass in einer Zeit, in der Informationen weltweit zeitgleich zur Verfügung stehen, diese Informationen in unterschiedlichen Gesellschaften sehr unterschiedlich gehandhabt und betrachtet werden. Darüber muss man genauso nachdenken wie über die Frage, inwieweit es zu gesellschaftlichen Veränderungen mit Auswirkungen auf die Rechtsprechung in unserem Land selbst gekommen ist. Wenn man sich die wenigen Fälle anschaut, in denen nach § 103 geurteilt wurde, stellt man fest, dass die Dinge ganz unterschiedlich entschieden worden sind: In den 60er-Jahren, als es um den Schah ging, und in den 70er-Jahren, als es um die chilenische Militärdiktatur ging, wurden andere Entscheidungen getroffen als 2006, als es um Papst Benedikt ging. Deshalb, glaube ich, muss man berücksichtigen, dass gesellschaftliche Veränderungen immer auch Auswirkungen auf die Rechtsprechung haben und deshalb gleiche oder vergleichbare Fälle heute anders betrachtet werden als in früheren Jahren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, man muss an dieser Stelle auch die außenpolitischen Wirkungen berücksichtigen. Man muss sehen, dass es in diesem Fall so war, dass die Vorstellungswelten ausländischer Staats- und Regierungschefs in unsere nationale Debatte überschwappen konnten. Das wird sich am Ende sicherlich nicht in der Rechtsprechung niederschlagen – davon bin ich absolut überzeugt –; aber dass wir uns mit Debatten beschäftigen, die in andere Länder gehören, halte ich am Ende auch nicht für angemessen.

Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass sich hier jemand auf § 103 beruft, der andererseits in seinem Land sehr differenziert mit der Frage umgeht, was jetzt eine Beleidigung ist und was nicht,

(Christian Flisek [SPD]: So kann man das formulieren!)

der einerseits seit 2014 etwa 2 000 Strafverfahren aufgrund dieser Beleidigungstatbestände angestrengt hat, aber andererseits den Oppositionsführer im Parlament als politischen Perversling bezeichnet. Das sind Dinge, die letztlich nicht zusammenpassen. Deshalb ist es richtig, zu sagen – ich glaube, das ist insgesamt deutlich geworden –, dass das auf denjenigen zurückfällt, der so etwas tatsächlich anstrengt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wenn man all diese Dinge berücksichtigt, dann wird, glaube ich, eines vollkommen deutlich: Es gibt viele gute Gründe – darauf hat die Bundeskanzlerin hingewiesen –, diesen § 103 zu ändern bzw. abzuschaffen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christian Flisek [SPD]: Ändern oder abschaffen?)

Dabei müssen aber viele Überlegungen berücksichtigt werden. In dieser Debatte ist nicht ein plausibler Grund benannt worden, warum das jetzt sofort geschehen muss

(Hiltrud Lotze [SPD]: Worauf wollen Sie noch warten?)

und nicht nach intensiven Überlegungen und einer ausgiebigen parlamentarischen Debatte. Vielleicht kann mir Herr Dr. Fechner das erklären.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Dehm das Wort zu einer Intervention.

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