12.05.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 170 / Tagesordnungspunkt 6

Uwe SchummerCDU/CSU - Behindertengleichstellungsrecht

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Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren! Es ist deshalb so wichtig, auf die positiven Wirkungen der jetzigen Novellierung zu verweisen, weil eben viele Menschen auch sagen: Nein, das wollen wir nicht. – Das könnte dazu führen, dass das, was zum Besseren verändert werden könnte, nicht gemacht wird.

Wir sind dafür da, Bewegung zu erzeugen. Dass wir aber die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention nicht alleine mit Rampen lösen werden, ist offenkundig. Dass man eine Gesinnungs- und Zuständereform miteinander verbinden muss, dass man dafür die Voraussetzungen und Kompetenzen zu schaffen hat, ist klar und findet sich in dem Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts wieder.

Allein schon die neue Definition auf der Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention, nämlich Behinderung als langfristige Beeinträchtigung zu sehen, die in Wechselwirkung mit Barrieren in den Köpfen und in der Umwelt Menschen an der gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe hindert, hat eine Strahlkraft, die über das jetzige Gesetz hinausgeht.

Gestern waren Vertreter des Gehörlosenbundes bei mir. Sie haben mit mir über viele Themen gesprochen, auch über Gebärdensprache. Sie waren sich bewusst – das wissen sie und haben mir das auch gesagt –, dass das, was wir miteinander auf der Bundesebene vereinbaren, auf die Länderebene, beispielsweise in Berlin, Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz, übertragen werden muss. An dieser Stelle müssen Sie sich von der Linkspartei mit dem Föderalismus arrangieren. Wir haben eben keine zentralistische Republik mit einer Steuerung aus Berlin, sondern wir sind föderal aufgebaut: über die kommunale, die Landes- und Bundesebene sowie auch die private Ebene.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn wir diese miteinander verzahnen, dann haben wir die Wechselwirkung, die Gesinnungs- und Zuständereform, die wir miteinander wollen und erreichen werden.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann macht doch mal!)

Das ist eben nicht allein ein Thema des Bundes, sondern auch ein Thema der Bundesländer, der Kommunen und der Privaten. Wichtig ist aber, dass wir eines nicht tun, Kollegin Werner, nämlich die Bundesbehörden abzuwerten und so zu tun, als seien sie nicht wichtig.

(Katrin Werner [DIE LINKE]: Ich habe sie doch gar nicht abgewertet! Zuhören!)

Ist die Agentur für Arbeit für Arbeitsuchende nicht wichtig? Ist die Krankenkasse für jemanden, der Gesundheitsversorgung sucht, nicht wichtig?

(Katrin Werner [DIE LINKE]: Aber wie oft ist er denn da?)

Ist die Bundespolizei mit ihren Einrichtungen nicht wichtig? Ist die Rentenversicherung mit der Alterssicherung für die Menschen nicht wichtig?

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die Rentenversicherung ist sehr wichtig! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Etwas anderes hat doch niemand behauptet!)

Es sind also wichtige Schritte, die jetzt in den Bundesbehörden gegangen werden, damit Barrierefreiheit in der Kommunikation und auch baulich erreicht werden kann.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Kollege.

Damit macht der Bund genau das, was in der modernen Pädagogik richtig ist. Uns geht es nicht um die Kraft des Zwangs oder der Peitsche bzw. um Gebote und Verbote, sondern wir wollen überzeugen. Aber wir können auch von den Privaten erst dann etwas verlangen, wenn der Bund mit seinen Einrichtungen vorangeht.

Jetzt müssten Sie eine kleine Pause machen, Herr Kollege Schummer. Ich muss Sie nämlich fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Birkwald zulassen, bevor es um eine ganz andere Thematik geht.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Genau! Danke!)

Und nichts ist überzeugender als das gute Vorbild des Bundes. – Aber ich höre gerne Ihre Zwischenfrage.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Herr Kollege Schummer, Sie waren gestern Abend, wie ich sehen konnte – Sie saßen zwei Reihen vor mir –, beim Jahresempfang der Bundesbeauftragten für die Belange behinderter Menschen, Frau Bentele. Dort haben Sie auch die Rede von Ulrike Mascher gehört. Ulrike Mascher ist Sprecherratsvorsitzende des Deutschen Behindertenrates und Präsidentin des Sozialverbandes VdK Deutschland. Sie hat sieben Punkte genannt, in denen der VdK und der Behindertenrat mit dem Behindertengleichstellungsgesetz überhaupt nicht einverstanden sind.

(Kerstin Griese [SPD]: Es ging um ein anderes Gesetz! – Andrea Nahles, Bundesministerin: Es ging um ein anderes Gesetz!)

– Nein, es ging um die Inhalte.

Ich zitiere jetzt wörtlich, Frau Kollegin Griese, damit Sie nicht fälschlicherweise behaupten, es gehe um etwas anderes:

Es ist zwar richtig, dass der Bund seine eigenen Institutionen und die Sozialleistungsträger zur Barrierefreiheit verpflichtet, aber die Menschen nutzen nun einmal im Alltag private Geschäfte, Gaststätten, Kinos und Arztpraxen viel häufiger als Bundesministerien und -behörden.

Ich glaube, Frau Mascher hat recht. Die meisten Menschen gehen im Alltag viel häufiger in Restaurants oder zur Arbeitsstätte statt zur Rentenversicherung, zur Agentur für Arbeit etc. etc. Verbesserungen auf Behördenebene können ein Anfang sein. Sie tun aber so, als ob das die Lösung wäre. Das ist es aber nicht. Deswegen fordern wir Sie auf: Tun Sie etwas für alle 7,5 Millionen Menschen mit schweren Behinderungen mit Blick auf ihren Alltag und nicht nur mit Blick auf die Bundesbehörden!

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte zum Kern Ihrer Frage zurückkehren. Ich habe natürlich die Rede und die sieben Punkte sehr aufmerksam verfolgt. Diese sieben Punkte betrafen erstens die Inklusion und zweitens das Bundesteilhabegesetz. Das Bundesteilhabegesetz werden wir im zweiten Halbjahr im Plenum beraten. Dazu hat sich die Behindertenbeauftragte geäußert. Das können Sie gerne nachlesen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das war inhaltlich dasselbe!)

Wichtig ist, dass die Kompetenzen für Barrierefreiheit gestärkt werden und dass das Behindertengleichstellungsgesetz kein Inselgesetz ist. Wie Frau Bundesministerin eben dargestellt hat, haben wir bereits Vorleistungen erbracht, beispielsweise die Sonderförderung für Integrationsunternehmen. Wir haben beispielsweise für altersgerechtes und behindertengerechtes Bauen auch KfW-Programme mit einem Volumen von weit über 1 Milliarde Euro aufgelegt, um Barrierefreiheit finanziell zu unterstützen.

Wir haben barrierefreie Innenstädte. Für die Städtebauförderung werden jedes Jahr 700 Millionen Euro mobilisiert. Wir haben das Konjunkturprogramm für Kommunen mit 3,5 Milliarden Euro aufgelegt, mit denen Barrierefreiheit finanziert werden kann.

Wichtig ist aber, dass wir auch die Kompetenzen in Bezug auf die Barrierefreiheit stärken. Wir haben – auch das ist wichtig – eine Berichterstattung über die Bundeseinrichtungen zur Barrierefreiheit auch in der Kommunikation miteinander vereinbart und entsprechende Zielvereinbarungen getroffen. Dies werden wir auch von den Privaten erwarten und fordern, wenn der Bund seine Hausaufgaben erledigt hat.

Es hat sich gezeigt, dass Zielvereinbarungen wirken. Ich habe Medienanstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks angeschrieben, mit denen 2011eine Zielvereinbarung mit den Behindertenverbänden zur kommunikativen Barrierefreiheit getroffen worden ist. Mir wurde mitgeteilt, dass aufgrund dieser Zielvereinbarung mittlerweile bei der ARD 95 Prozent und beim ZDF 71 Prozent der Sendungen entsprechend untertitelt sind und dass es auch eine akustische Bildbeschreibung gibt, und zwar jeweils bei 42 bzw. 44 Prozent der Sendungen.

Aber es ist ein Fehler – deshalb habe ich heute das Bundestagspräsidium angeschrieben –, dass das Bundestagsfernsehen nicht barrierefrei sendet. Wir brauchen eine generelle Regelung, die vorsieht, dass auch Debatten nach der Kernzeit um 13 Uhr barrierefrei zu übertragen sind. Das erwarte ich vom Deutschen Bundestag. Nichts ist überzeugender als das gute Beispiel.

(Beifall im ganzen Hause)

Wir müssen eine Bundesfachstelle für Barrierefreiheit einrichten, damit sich Kommunen und Private informieren können, wenn sie ihre Zuwege barrierefrei ausbauen wollen. Diese Kompetenzstelle, die wir nun schaffen, wird es ermöglichen, europäische Konzepte und Modelle zu transportieren, aufgrund derer wir unsere Kommunen und Privatunternehmen beraten können. Wir wollen mit einem weiteren Gesetz die Schwerbehindertenvertretungen im innerbetrieblichen und privaten Raum stärken. Sie sollen mehr Zeit und Freistellungen bekommen, damit sie die Barrierefreiheit in Unternehmen organisieren können. Die arbeitsteilige Organisation der Unternehmen ist ein weiterer Aspekt, den wir vorantreiben werden.

Angesichts der Tatsache, dass 80 000 Menschen auf Gebärdensprache angewiesen sind und dass es nur rund 700 Gebärdendolmetscher gibt, brauchen wir die Zusammenarbeit mit den Ländern. Beispielsweise muss Gebärdensprache als freiwilliges Wahlfach an Schulen, Hochschulen und Volkshochschulen angeboten werden, damit das Interesse an dieser Grundsprache zunimmt.

Aber nicht nur an den Schulen, sondern auch in den Betrieben müssen wir Kompetenzstellen schaffen. Wir wollen zudem komplizierte Bescheide der Bundesbehörden in leichter Sprache erläutern. Das ist ein wichtiger Ansatz, und zwar nicht nur für lernbehinderte Menschen und Menschen mit seelischer und psychischer Beeinträchtigung. Vielmehr geht es in der Perspektive darum, die Behörden so kompetent zu machen, dass sie für alle Bürger, die eine Anfrage haben, da sein können. Wir dürfen nicht vergessen, dass es in Deutschland auch 7,5 Millionen strukturelle Analphabeten gibt, die jahrzehntelange nicht gelesen haben und für die Bescheide in leichter Sprache hilfreich sind. Aber die entsprechende Kompetenz muss erst aufgebaut werden.

Ich selber bin Landesvorsitzender der Lebenshilfe in Nordrhein-Westfalen. Wir erhalten regelmäßig Anfragen, ob wir mit unserem Potenzial die leichte Sprache auf Kreisebene und kommunaler Ebene stärker unterstützen können. Wir haben aber die entsprechenden Kompetenzzentren nicht. Wir müssen sie erst schaffen. Wenn wir sie aufgebaut haben, dann muss der nächste Schritt sein, die entsprechenden Kompetenzen verstärkt in den privaten und den wirtschaftlichen Raum zu transportieren. Aber wir müssen die Kompetenzen mit der heutigen Verabschiedung des Gesetzentwurfs erst aufbauen, um den nächsten Schritt gehen zu können.

Das Merkzeichen für Taubblinde, das endlich zwischen Bund und Ländern vereinbart wurde, ist ebenfalls ein wichtiger Punkt, den wir nun umsetzen werden.

Wir setzen Anreize durch Gelder und eine verbesserte Kompetenz in der Barrierefreiheit. Wer das alles ablehnt, lehnt Verbesserungen für die betroffenen Menschen ab. Deshalb plädiere ich dafür, diesen Verbesserungen zuzustimmen und den nächsten Schritt zu gehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention kann man nicht einfach einen Kippschalter umlegen, und dann ist alles schön. Vielmehr handelt es sich um einen Prozess, der zwar Jahre dauert, aber in die richtige Richtung geht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vielen Dank. – Herr Kollege Schummer, das Präsidium des Bundestages hat selbstverständlich entschieden, dass wir generell barrierefrei werden. Wir haben schon begonnen. Aber bei dem, was Sie angesprochen haben, gibt es nach den europäischen Richtlinien ein großes Ausschreibungsverfahren. So lange wollten wir aber nicht warten. Wir wollten die Menschen zumindest in einem kleinen Bereich, also während der Hauptdebattenzeiten, teilhaben lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist die Kollegin Corinna Rüffer.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6831084
Wahlperiode 18
Sitzung 170
Tagesordnungspunkt Behindertengleichstellungsrecht
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