Petra Pau - Bahnstreckenstilllegungen
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich will mit einer Vorbemerkung starten: Wir sollten uns davor hüten, eine Diskussion zu den Regionalisierungsmitteln zu einem Ost-West-Konflikt zu machen.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael Donth [CDU/CSU])
Wer das Problem der Regionalisierungsmittel zu einem Ost-West-Gegensatz konstruiert, will mit dieser Konstruktion nicht Probleme lösen, sondern er will sie für andere politische Zwecke instrumentalisieren. Das dient niemandem, weder den Menschen in Ost und West noch den Verkehren, über die wir heute reden.
(Beifall bei der SPD)
Deshalb bringt es nichts, vergossene Milch noch einmal zu präsentieren. Natürlich waren sich die Länder darüber einig: 8,5 Milliarden Euro an Regionalisierungsmitteln und keinen Euro weniger. Natürlich waren auch andere Randbedingungen bei den Ländern selbstverständlich, und es war darüber sofort Einvernehmen zu erzielen: Es galt, gegenüber Bahn und Bund eine Verhandlungsposition aufzubauen und sich mit berechtigten Interessen möglichst durchzusetzen. Die 8 Milliarden Euro waren in der Tat ein belastbarer Kompromiss.
Herr Kühn hat recht: Das eigentliche Defizit liegt woanders. Nicht das, was hier von anderen beschworen wurde, ist defizitär, sondern das, was Sie, Herr Kühn, sehr genau beschrieben haben: Das erste Defizit liegt darin, dass viele Bundesländer gezwungen sind, angesichts einer völlig unzureichenden Fernverkehrserschließung diese Verkehre, mit zweckentfremdeten Regionalisierungsmitteln, zu kaufen. Dieser Zukauf muss problematisiert werden, weil er als strukturelles Problem die Diskussion um die Regionalisierungsmittel belastet. Nicht die Regionalisierungsmittel sind ungleich verteilt, sondern das Problem der Verteilung besteht darin, dass das Fernverkehrsnetz der DB national ungleich verteilt ist und die einen auskömmlich strukturiert sind, während die anderen mit Mitteln zukaufen müssen, die dafür nicht vorgesehen sind.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb muss das Problem dort gelöst werden, wo es ursächlich vorhanden ist, statt dort, wo es am besten zur politischen Semantik passt.
Dann sind wir bei der Frage: Wo bleibt denn die Verordnung? Denn ein Teil des Kompromisses aller Länder bzw. der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten war die Absprache: Statt auf eine lange Reise zu gehen und auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu schielen, lasst uns schnell Nägel mit Köpfen machen. Wir brauchen Planungssicherheit in allen Bundesländern, und wir brauchen schnelle Entscheidungen.
Deshalb ist es gut, dass das Bundesverkehrsministerium eine Entscheidung getroffen hat. Schlecht ist, dass diese Entscheidung offensichtlich nicht tragfähig genug ist, um das Kanzleramt zu passieren. Deshalb ist der Bundestag aufgefordert, die Bundesregierung zu fragen, wann die Bundesregierung als Kollektivorgan dazu in der Lage ist, eine schon längst durchdeklinierte Verordnung endlich in Kraft zu setzen. Das Problem ist keine Ost-West-Konstruktion, sondern ein Vollzugsdefizit.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Dieses Vollzugsdefizit müssen wir beklagen, und das tun wir. Deshalb hoffe ich sehr, dass diese Diskussion dazu beiträgt, beschleunigt voranzukommen und eine Entscheidung zu treffen.
Jetzt noch einmal zum Thema Solidarität. Wir müssen niemandem Vorhaltungen machen. Das Prinzip „Ölsardine in Bimmelbahn“ hatten Sie angesprochen, Herr Kühn. In der Tat: Kommen Sie nach Nordrhein-Westfalen. Sie werden erleben, dass in der größten westeuropäischen Großstadt, in der Region zwischen Köln und Dortmund, Berufspendler tausendfach jeden Morgen und jeden Abend gezwungen sind, wie Ölsardinen in der Bimmelbahn zu fahren, sofern der völlig überfüllte Zug überhaupt noch an jedem Bahnhof hält. Dort ist tagtäglich eine Bedarfssituation zu besichtigen.
Eine vergleichbar schwierige Situation tritt in weiten Bereichen östlicher Bundesländer ein, weil es die Fernverkehrslücke gibt und weil Eurocity-Verkehre und Intercity-Verkehre – auch im internationalen Maßstab von Stralsund über Berlin nach Prag oder weiter – im Grunde S-Bahn-gleich an jeder Station halten. Offenbar wird damit, dass Fernverkehre nicht auskömmlich finanziert sind. Bei diesem Finanzierungsproblem müssen wir ansetzen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Was müssen wir machen? Wir müssen jetzt die eine Kuh vom Eis kriegen: Wir müssen endlich die Regionalisierungsmittel im Rahmen der Verordnung sichern. Dann müssen wir überlegen, wie noch vorhandene strukturelle Defizite beseitigt werden können. Es gibt doch spannende, sehr konstruktive Vorschläge der DB. Es gibt Überlegungen zu einem neuen Fernverkehrsnetz. Es gibt Überlegungen, wie wir mit der politischen Lebenslüge der Verkehrspolitik aufräumen, endlich mehr Güter von der Straße auf die Schiene zu bringen.
Warum haben wir nicht gemeinsam, Bund-Länder-übergreifend, den Mut, die verkehrspolitischen Probleme der Republik endlich da zu lösen, wo sie zu lösen sind, nämlich an der Wurzel statt in der politischen Semantik?
(Beifall bei der SPD)
Kalendersprüche können noch so sehr aufgeblasen werden: Es wird kein politisches Konzept daraus, wenn es nicht problemadäquat angepackt wird.
Deshalb freue ich mich sehr, dass ich Gelegenheit habe, für die Länder hier zu sprechen und deutlich zu machen, dass wir uns nicht in ein Gegeneinander und nicht einmal in ein Nebeneinander hetzen lassen. Vielmehr stehen wir gemeinsam und erinnern den Bund an seine grundgesetzliche Alimentations- und Unterhaltspflicht, der er über Jahre nicht nachgekommen ist. Das belegen viele Gutachten von Verfassungsrechtlern. Diese liegen vor, weil vor dem Vermittlungsergebnis juristische Auseinandersetzungen vorbereitet worden waren. Das zeigt, dass die grundgesetzliche Verpflichtung des Bundes nicht beliebig zu interpretieren ist. Darüber kann man sich zwar amüsieren, aber letztendlich ist diese Grundgesetzgegenwart in einer Rechtsverordnung abzubilden.
Lange Rede, kurzer Sinn: Die Länder in Ost und West wie in Nord und Süd warten darauf, dass die Verordnung endlich in Kraft gesetzt wird. Eine anstehende Landtagswahl kann kein hinreichendes Argument dafür sein, im regionalen Schienenverkehr nicht verkehrspolitische Vernunft walten zu lassen. Darum bitte ich herzlich, und ich bitte um Unterstützung des gesamten Hohen Hauses dabei, der Regierung ein bisschen Beine zu machen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Der Kollege Karl Holmeier hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6831228 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 170 |
Tagesordnungspunkt | Bahnstreckenstilllegungen |