12.05.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 170 / Tagesordnungspunkt 16

Ute Finckh-KrämerSPD - Willy-Brandt-Korps für humanitäre Hilfe

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Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne! Liebe Präsidentin! Der Antrag der Linken vermischt das schon fünf Jahre alte Projekt von Oskar Lafontaine, das Technische Hilfswerk neu zu erfinden, mit der aktuellen Diskussion über den weltweit dramatisch angestiegenen Bedarf an humanitärer Hilfe. Einen solchen Missbrauch seines Namens hat Willy Brandt nicht verdient; denn das Technische Hilfswerk verbindet auf vorbildliche Weise das Engagement im Katastrophenschutz im Inland mit verlässlicher technischer und logistischer Unterstützung humanitärer Hilfe im Ausland. Die Kapazitäten dafür wurden in den letzten Jahren ausgebaut.

Das Technische Hilfswerk muss also nicht durch ein Konversionsprogramm „Soldaten zu humanitären Helfern“ und „Rüstungsgüter zu Katastrophenschutzgütern“ ersetzt werden. Bevor wir Soldaten zu humanitären Helfern umschulen und pannenanfällige Militärtechnik in Technik für humanitäre Hilfe umwidmen, sollten wir uns ansehen, welche Strukturen die humanitäre Hilfe in Deutschland derzeit hat.

Humanitäre Hilfe – das ist zu Recht gesagt worden – ist den vier humanitären Prinzipien verpflichtet: Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit. Das unterscheidet sie von der Entwicklungszusammenarbeit, die anhand politischer oder ökonomischer Kriterien parteilich sein darf und es oft auch ist. Organisationen, die in beiden Bereichen tätig sind, ordnen aus gutem Grund ihre Projekte möglichst eindeutig dem einen oder anderen Bereich zu.

Was haben wir also aktuell für Strukturen in der humanitären Hilfe in Deutschland? Wir haben die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die größtenteils sowohl im Katastrophenschutz im Inland als auch in der internationalen humanitären Hilfe tätig sind. Sie sind oft zusätzlich Wohlfahrtsorganisationen wie die Johanniter, die Malteser, die Diakonie Katastrophenhilfe, Caritas International und der Arbeiter-Samariter-Bund.

Wir haben die deutschen Sektionen zivilgesellschaftlicher Organisationen, die auf humanitäre Hilfe spezialisiert sind, wie Ärzte ohne Grenzen, die manchmal eine sehr eigene Sicht auf die Dinge haben, was gut und notwendig ist. Schließlich haben wir die deutschen oder internationalen Organisationen, die sowohl im Bereich der humanitären Hilfe als auch im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind.

Diese drei Gruppen zusammengenommen sind größtenteils Mitglieder im Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe, VENRO. Dazu kommt das Deutsche Rote Kreuz als Teil der internationalen Rotes Kreuz/Roter Halbmond-Strukturen, die über das Internationale Komitee vom Roten Kreuz koordiniert werden. Das Rote Kreuz hat drei weitere Prinzipien, die auch wichtig sind: Freiwilligkeit, Einheit und Universalität.

Die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk wird übrigens aus dem Etat des BMI finanziert, und sie erhält für ihre Auslandseinsätze Projektgelder vom Auswärtigen Amt oder aus internationalen Quellen. Das Technische Hilfswerk taucht bezeichnenderweise in dem Antrag nicht auf; denn sonst würde deutlich, was da für Dopplungen vorkommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Schließlich gibt es – das sage ich der Vollständigkeit halber – noch Firmen und Organisationen, die auf humanitäres Minenräumen spezialisiert sind. Auch das ist keine Aufgabe, die die Bundeswehr oder andere Militärs in der Regel wahrnehmen.

Ein Großteil all dieser Organisationen trifft sich mindestens viermal im Jahr zum Koordinierungsausschuss Humanitäre Hilfe, der vom Referat für Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt koordiniert wird. Der Koordinierungsausschuss arbeitet ausgesprochen effektiv, ergebnisorientiert und mit hoher fachlicher Kompetenz. Die Leitung teilen sich das Auswärtige Amt und ein Vertreter aus dem NGO-Bereich. Warum er durch ein neues Gemeinschaftswerk oder eine Kooperationsgesellschaft, was immer die Antragsteller darunter verstehen, ersetzt werden soll, erschließt sich mir nicht.

Generell gilt: Hilfe von außen ist nur notwendig, wenn die eigenen Kapazitäten eines Landes zur Bewältigung einer Katastrophe oder zum Umgang mit einer sehr großen Anzahl von Flüchtlingen oder Binnenvertriebenen nicht ausreichen. Der Aufbau eigener Fähigkeiten und die Unterstützung von Vorsorgemaßnahmen in Gebieten, in denen zum Beispiel das Risiko schwerer Erdbeben, von Stürmen und Hochwasser etc. hoch ist, werden daher ein wichtiges Thema des Humanitären Weltgipfels sein.

In Istanbul findet jetzt im Mai ein Humanitärer Weltgipfel statt, und im September findet in New York – und das wird im Antrag weder erwähnt noch diskutiert – ein Weltgipfel zum Thema Flüchtlinge statt. Deswegen können und müssen wir nicht alles, was sich mit dem Thema Flucht und Flüchtlinge befasst, in die Diskussion um den Humanitären Weltgipfel hineinpacken. Ein Stück weit wird das Argument, dass Istanbul ein sehr schlechter Ort ist, um über Flüchtlinge und den Umgang mit ihnen zu diskutieren, auch dadurch relativiert, dass der Flüchtlingsweltgipfel in New York stattfinden wird.

Ich sehe auch keinen Grund dafür, die humanitäre Hilfe vollständig ins BMZ zu verlagern. Die Zuständigkeit für die Vereinten Nationen und ihre Unterorganisationen und damit auch die Federführung für Geberkonferenzen oder Veranstaltungen wie den Humanitären Weltgipfel oder den Flüchtlingsgipfel liegt in jedem Fall beim Auswärtigen Amt. Die Zusammenarbeit auf Fachebene zwischen den Referaten, die im BMZ für die entwicklungsorientierte Übergangshilfe und die Entwicklungszusammenarbeit zuständig sind, und denen, die im Auswärtigen Amt für die humanitäre Hilfe Verantwortung tragen und die Mittel dafür verwalten, funktioniert nach Ansicht vieler Vertreterinnen und Vertreter der Hilfsorganisationen sehr gut. Aus gutem Grund wird von den Zuständigen daher von Verzahnung oder Komplementarität und nicht von einer „Zusammenlegung der Instrumente“ gesprochen, wie es der Antrag formuliert;

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

denn damit würde es sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, die humanitären Prinzipien und die entwicklungspolitischen Ziele auseinanderzuhalten.

Ich möchte mit einem Zitat aus der Süddeutschen Zeitung vom 7. Oktober 2011 schließen: „Als Pazifistin sehe ich das Willy-Brandt-Korps skeptisch“. Das habe nicht ich gesagt, das hat Katja Kipping gesagt, und dieser Einschätzung schließe ich mich voll an.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6832270
Wahlperiode 18
Sitzung 170
Tagesordnungspunkt Willy-Brandt-Korps für humanitäre Hilfe
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