13.05.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 171 / Tagesordnungspunkt 17

Volker BeckDIE GRÜNEN - Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind uns einig hier im Haus: Wir wollen schnelle Verfahren, schnelle Entscheidungen von hoher rechtsstaatlicher Qualität. Aber wir wollen diese Verfahrensbeschleunigung nicht um den Preis falscher menschenrechtlicher Signale und schlechterer Chancen für die Asylrechtsgewährung bei wirklich Verfolgten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten erfolgt nicht im verfassungsrechtlichen Vakuum, sondern dabei sind die Vorgaben des Grundgesetzes und des europäischen Rechts zu beachten. Artikel 16 a Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz sagt: Aufgrund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse muss in Ländern, die als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden, gewährleistet sein, „daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet“. – Ich will Ihnen an zwei Beispielen deutlich machen, dass das für diese drei Länder nicht gilt.

Ein Beispiel ist die Westsahara, die seit Jahrzehnten von Marokko besetzt ist. Die Vereinten Nationen sind vor Ort, um den Waffenstillstand zu überwachen. Wir haben der Bundesregierung mehrere Beispiele für Demonstrationen in der Westsahara für die Unabhängigkeit benannt, bei denen die Demonstranten mit brutaler Polizeigewalt zusammengeprügelt wurden. Wir haben die Bundesregierung gefragt, ob sie eine Demonstration seit 1975 benennen kann, bei der das anders abgelaufen ist. Die Bundesregierung musste bekennen, dass es ihr nicht bekannt ist, dass eine Demonstration frei von Gewalt stattgefunden hat. Die Bundesregierung versucht, uns in Sicherheit zu wiegen, indem sie sagt: Bei Saharauis ist der Status der sicheren Herkunftsländer nur dann anzuwenden, wenn sie die marokkanische Staatsangehörigkeit haben. – Das hat man auf die Frage der Kollegin Luise Amtsberg geantwortet. Ja, wie kommt denn ein Saharaui nach Europa? Wenn er nicht durch Mauretanien flieht, muss er durch Marokko. Dazu muss er sich den marokkanischen Pass besorgen, und damit fällt er unter die Regelung der sicheren Herkunftsländer. Es kann doch nicht ernsthaft angenommen werden, dass die Vereinten Nationen in der Westsahara präsent sind, weil es dort keine politische Verfolgung, weil es dort keinen kalten Bürgerkrieg gibt. Wir treten die Menschenrechte mit Füßen, wenn wir diesen Blankoscheck ausstellen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das, was auf die Betroffenen zukommt, ist keine Petitesse. Es geht um verkürzte Klagefristen, es geht um Beschränkungen im Verfahren, es geht darum, dass man eine Vermutung widerlegen muss, also höhere Beweislasten hat, und nicht nur um die Fragen Lagerzwang, Residenzpflicht und Arbeitsverbot, was integrationspolitisch problematisch ist, weil die Leute im Zweifelsfall eben doch mehrere Monate hier bleiben. Meine Damen und Herren, überlegen Sie sich gut, was Sie an diesem Punkt tun.

Zweitens. Allein ein Blick auf die Situation der Homosexuellen in diesen drei Ländern würde ausreichen, um ihre Einstufung als sichere Herkunftsländer abzulehnen. In allen drei Ländern steht im Strafgesetzbuch explizit, dass gleichgeschlechtliche Handlungen unter Strafe stehen. Das steht nicht nur dort so, sondern das wird auch real angewandt.

Amnesty International hat darauf hingewiesen, dass im Mai und im Juni 2015 in Oujda und Rabat fünf Männer unter anderem wegen unsittlichen Verhaltens und homosexueller Handlungen zu Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren verurteilt wurden. In Tunesien, dem Land, das wir durch Kritik an seiner Menschenrechtslage nicht beleidigen sollen, wie der Minister meint, wurden im Jahr 2015 mehrere Männer wegen homosexueller Handlungen zu Haftstrafen verurteilt. Die Männer wurden vorher gegen ihren Willen anal untersucht; das gilt nach der europäischen Rechtsprechung als Folter und unmenschliche Behandlung. – Das sind keine Petitessen. Herr Minister, das sollten wir nicht kleinreden. Da sollten wir klar sagen: Das verstößt gegen die Menschenrechte, das akzeptieren wir nicht, und das unterstützen wir nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Herr Kollege Beck.

Ich komme zum Schluss. – Der Europäische Gerichtshof hat 2013 ausdrücklich festgestellt, dass Homosexualität als Verfolgungsgrund gilt, auch wenn man durch verstecktes Leben Verfolgungshandlungen womöglich minimieren oder abwenden kann. Man kann von Homosexuellen genauso wenig wie von Christen verlangen, dass sie ihre Identität verheimlichen. Wenn sie wegen ihrer Identität verfolgt werden, haben sie Anspruch auf Schutz.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Dass Sie von der Bundesregierung in Ihrer Gegenäußerung beim Thema Algerien das den Menschen nahelegen –

Herr Kollege Beck.

– und dass das BAMF jüngst in einem Einzelfall bei einem Syrer mit solch einer Begründung ablehnend entschieden hat, zeigt, dass wir ein Rollback beim Thema „homosexuelle Flüchtlinge und deren Schutz“ haben.

Meine Damen und Herren von der SPD, machen Sie keine Veranstaltung zu Aktionsplänen gegen Homophobie, sondern stimmen Sie gegen diesen Gesetzentwurf. Dann tun Sie etwas gegen Homophobie. Das wäre glaubwürdig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Nun erhält der Kollege Michael Frieser das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6833461
Wahlperiode 18
Sitzung 171
Tagesordnungspunkt Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien
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