Hans-Joachim SchabedothSPD - Sicherung des Fachkräftepotenzials
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der deutschen Wirtschaft geht es doch eigentlich gut. Das BIP wächst, die Arbeitslosigkeit wird weiter sinken, die Einkommen steigen. Das ist allerdings nur möglich, weil es in Deutschland ein wunderbar funktionierendes System der Fachkräfteausbildung gibt. Dafür bewundert man uns weltweit – mit Recht.
Aber auch was schon gut ist, muss ständig an neue Herausforderungen angepasst werden – nicht zuletzt in unserer Gesellschaft des demografischen Wandels. Wir haben das im vorliegenden Antrag ausführlich dargestellt. Ich will deshalb nur einzelne Aspekte hervorheben.
Zum Beispiel muss die Facharbeiterausbildung in Konkurrenz mit der akademischen Bildung immer wieder neu profiliert werden. Es gibt in Deutschland rund 2,8 Millionen Studierende, Tendenz steigend, während die Zahl der Auszubildenden stetig sinkt. Derzeit sind 1,4 Millionen junge Menschen in Ausbildung. Es müssten erheblich mehr sein.
Etwa 50 000 Stellen sind derzeit unbesetzt. Viele wissen gar nicht, dass man unter 330 Ausbildungsberufen wählen könnte. So verwundert es uns nicht, dass viele Ausbildungsgänge unbekannt bleiben.
Zudem weichen viele Menschen lieber auf eine akademische Ausbildung aus. Es gibt über 18 000 Studiengänge. Wir freuen uns über jeden Studienabschluss; verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Aber ohne die Basis von Facharbeit würden wir als Industrieland an Bedeutung verlieren.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Viele Menschen, die das berühmte IMM studiert haben, also „Irgendwas mit Medien“, wären vielleicht als Mechatroniker oder als Schreinerin glücklicher. Mehr Geld verdienen könnten sie damit, glaube ich, allemal. Viel zu sorglos sind wir lange davon ausgegangen, in der Berufswelt stünden Nachwuchskräfte immer ausreichend zur Verfügung. Doch sie sind nie auf den Bäumen gewachsen. Jetzt mehren sich die Engpassfälle, wo der Nachwuchs mit der Lupe gesucht wird.
Wir können heute eine ganze Menge dafür tun – das haben wir ja aufgeschrieben –, damit die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage geschlossen oder zumindest nicht größer wird. Vielleicht ist es schlichtweg auch nicht lukrativ genug, zum Beispiel als Metzger oder als Bäcker zu arbeiten. Aber da stellt sich doch die Frage: Müsste unattraktivere Arbeit nicht deutlich besser bezahlt werden, auch schon während der Ausbildung?
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Es darf auch nicht unerwähnt bleiben, dass Frauen nach wie vor erheblich weniger verdienen als Männer. Die bestausgebildeten Frauen aller Zeiten und auch viele Männer fehlen dem Arbeitsmarkt, weil wir ihre Probleme mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch nicht lösen konnten.
(Beifall bei der SPD)
Selbstverständlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben alle Frauen einen legitimen Anspruch, auch an den von Männern präferierten Segmenten der Arbeitswelt teilzuhaben.
Frauen sind nicht der Rest, sondern leider vielfach gegen ihren eigenen Wunsch die noch unterbeschäftigte Hälfte der Gesellschaft. Das kann man ändern. Auf Arbeitsfeldern, in denen heute überwiegend Frauen beschäftigt sind, wird im Übrigen am schlechtesten entlohnt. Auch das ist kein Naturgesetz, sondern das hat schon etwas Männerbündisches. Das darf so nicht bleiben.
(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Es ist doch irre, dass der Dienst am Menschen schlechter bezahlt wird als der Dienst am Auto.
Auch junge Menschen, die sich vielleicht nur für die Dauer ihres Flüchtlingsstatus bei uns aufhalten, müssen wir jetzt ausbilden, und zwar so gut und so schnell es geht. Davon profitieren wir alle; mein Kollege Josip Juratovic wird Ihnen das noch ausführlicher erklären. Heutige Versäumnisse bei der Ausbildung von Flüchtlingen würden sich bitter rächen. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist es, im Ausland gezielt um Fachkräfte zu werben. Kluges Einwanderungsmanagement gehört deshalb zur Palette aller Maßnahmen, mit denen wir dem Fachkräftemangel vorbeugen. Das wäre moderne Politik.
Während viele Industrieländer eine Einladung an die Fähigsten aussprechen, machen wir was genau? Das morgen zu diskutierende Integrationsgesetz ist ein erster Schritt; denn es nutzt die Potenziale derer, die schon da sind und die wir glücklicherweise schon haben. Es gibt viele Menschen mit einer Behinderung, die nur durch gezielte und begleitete Maßnahmen einen willkommenen Platz in der Berufswelt finden können. Das sollten wir fortan systematischer berücksichtigen.
Wir brauchen auch eine Perspektive für Studienabbrecher und die Unterstützung für die allzu vielen, die ihre Ausbildung ohne Abschluss beenden. Es ist und bleibt eine Lüge, Kolleginnen und Kollegen, dass Hans nicht mehr lernen könnte, was Hänschen versäumt hat. Auch in der beruflichen Ausbildung darf es nie ein Zu-spät geben. Lassen Sie uns jetzt die vielen, die heute resigniert haben oder sich als Langzeitarbeitslose ausgegrenzt fühlen, ermutigen, die Fachkräfte von morgen zu werden.
(Beifall bei der SPD)
Eine solide Ausbildung ist niemals eine Sackgasse, sondern die Startrampe für ein gelingendes Leben.
Unser Antrag zeigt auf, was bereits passiert, aber es muss auch noch viel getan werden. Haben wir vielleicht etwas vergessen? Frau Kollegin, reichen Ihnen die 32 Punkte nicht? Das mag sein, ja. Das Qualifizieren von Fachkräften ist eine Dauerbaustelle. Was wir jetzt angehen wollen und müssen, um unser Fachkräftepotenzial zu mehren und besser auszuschöpfen, haben wir in vielen Gesprächen ermittelt und aufgezeigt.
Danke an alle, die daran mitgewirkt haben, vor allen Dingen auch an Sie, Herr Knoerig, aber auch an viele Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Arbeitskreisen. Jetzt muss es getan werden. Danke an alle, die dabei mithelfen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Als Nächster spricht der Kollege Dieter Janecek, Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6888707 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 173 |
Tagesordnungspunkt | Sicherung des Fachkräftepotenzials |