Matthias SchmidtSPD - Sowjetische Kriegsgefangene als NS-Opfer
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehr als 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs leben in Deutschland ganz überwiegend Menschen, die diesen Krieg nur aus Erzählungen kennen. Sie tragen an den in deutschem Namen verübten Gräueln keine persönliche Schuld. Aber die Nachkriegsgenerationen, wir alle, haben die Pflicht, die Erinnerung zu bewahren. Das ist unsere Verantwortung, und diese Forderung ist leider aktueller denn je.
Hierzu leistet der Antrag der Linken einen Beitrag, wofür ich Ihnen danken möchte. Weiterhin möchte ich mich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie uns die Gelegenheit geben, die Leistungen der Koalition und der sie tragenden Fraktionen zu würdigen. Bereits im letzten Jahr hat die Koalition einen namhaften und zugleich doch nur symbolischen Betrag für die ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen zur Verfügung gestellt. Wir taten dies nicht mit stolzgeschwellter Brust, sondern mit demütiger Geste und Dankbarkeit, dass wir das nun endlich auf den Weg bringen konnten.
Die Linke will im Vorfeld des 75. Jahrestages des Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 durch die deutsche Wehrmacht erneut auf die Opfergruppe der sowjetischen Kriegsgefangenen hinweisen. Ja, dieser historische Tag gibt uns natürlich allen Anlass, der vielen Opfer, die dieser Angriffskrieg gefordert hat, zu gedenken. Dieser Krieg hat 60 bis 70 Millionen Menschen das Leben gekostet, und noch viel mehr haben gelitten.
Ja, die sowjetischen Kriegsgefangenen gehören dazu. Rund 5,7 Millionen waren es, die unter unmenschlichen Bedingungen interniert wurden und Zwangsarbeit leisten mussten. An die 3 Millionen von ihnen – die Zahlen gehen bei Historikern etwas auseinander – wurden direkt oder indirekt ermordet durch Hunger, Krankheit, Erschöpfung oder auch durch direkte Gewalt und Peinigung durch die Nationalsozialisten. Ihr Leid und ihr Opfer sind unbestritten.
2013, am Ende der letzten Legislaturperiode, gab es einen gemeinsamen Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, der eine Entschädigung für diese Opfergruppe forderte. Dieser wurde von den damaligen Koalitionsfraktionen [CDU/CSU] und FDP abgelehnt. Nur ein Jahr später, also schon in dieser Legislaturperiode, wurde unsere Absicht von den Oppositionsfraktionen in zwei Anträgen mit unterschiedlichen Entschädigungssummen erneut aufgegriffen. Wir haben darüber hier im Februar 2015 diskutiert. Ich kann mich noch sehr lebhaft an die Debatte erinnern.
Nach dieser Debatte gelang es uns, mit der Union eine Einigung herbeizuführen. 10 Millionen Euro wurden im Haushalt eingestellt, um den wenigen Überlebenden wenigstens eine symbolische Anerkennung zukommen zu lassen. Sie beträgt 2 500 Euro. Auch das Antragsverfahren ist hinsichtlich der Fragen noch einmal überarbeitet worden, was ich sehr begrüße.
Kollege Beck, ich kann Ihre Aussage, dass der Bundestag geschwiegen hätte, nicht bestätigen. Ich finde sogar, er hat an dieser Stelle sehr intensiv und würdig diskutiert und auch ebenso entschieden.
(Beifall bei der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber er hat noch nicht beschlossen!)
Nun komme ich zum heutigen Antrag. Ich muss sagen, dass mich der Antrag ein kleines bisschen ärgert; denn Sie schieben jetzt einen Antrag hinterher, der hinsichtlich seiner Sinnhaftigkeit zumindest Fragen aufwirft. Sie fordern, dass die Mitglieder des Deutschen Bundestages in einer Feststellung den sowjetischen Kriegsgefangenen, ihren Angehörigen und Nachkommen Achtung und Mitgefühl bezeugen. Ja, aber das ist doch mit Blick auf die Geschichte selbstverständlich. Das wurde in jeder Debatte hier im Bundestag hervorgehoben. Es gab in der Vergangenheit diverse Gründe, warum die Anträge dazu abgelehnt wurden, auch unser eigener Antrag. Doch niemals war mangelnde Achtung oder mangelndes Mitgefühl der Grund. Es wäre ja geradezu unmenschlich, das zu verweigern.
Dann fordern Sie, dass es der Deutsche Bundestag in Anerkennung des Unrechts begrüßt, dass ein finanzieller Anerkennungsbetrag aus dem Bundeshaushalt bereitgestellt wurde. Dies hat der Deutsche Bundestag bereits dadurch getan, dass er die Bereitstellung der Mittel beschlossen hat – im Haushaltsausschuss und im Plenum, und zwar im Mai 2015. Zuvor hat der Haushaltsausschuss eine Anhörung dazu durchgeführt, die letztendlich mit dazu geführt hat, dass wir diesen Beschluss fassen konnten.
Herr Kollege Schmidt, lassen Sie eine Zwischenfrage von Herrn Korte zu?
Aber gerne.
Danke, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben eben gesagt, dass das eine Selbstverständlichkeit sei. Wenn wir uns die Geschichte der Bundesrepublik anschauen, stellen wir fest, dass zum Beispiel das Gedenken an die Schoah in den 50er- und 60er-Jahren mitnichten eine Selbstverständlichkeit gewesen ist, sondern das musste erkämpft werden, übrigens insbesondere von denjenigen, die selber Opfer waren. Denken Sie an die Rehabilitierung der Deserteure, die erst im Jahr 2002 erfolgte – das war eben keine Selbstverständlichkeit. Denken wir an die Rehabilitierung der sogenannten Kriegsverräter im Jahr 2009 – das war ebenfalls keine Selbstverständlichkeit. Ich würde gerne Ihre Einschätzung dazu hören.
Im Rahmen der Erinnerungskultur war die Erinnerung an die Opfer des NS‑Regimes und der damit verbundene Blick auf die Täter eben keine Selbstverständlichkeit, sondern das musste bitter erkämpft werden, übrigens insbesondere auch von Sozialdemokraten wie Fritz Bauer, Willy Brandt und anderen. Im Falle der sowjetischen Kriegsgefangenen ist das historisch erklärbar, aber dennoch inakzeptabel. Deswegen kann man nicht von einer Selbstverständlichkeit reden.
Mein zweiter Punkt. Wenn Sie mit Vertretern der Opferverbände reden, zum Beispiel von Kontakte-Kontakty e. V., dann haben Sie natürlich vernommen, dass diese Einmalzahlung in Höhe von 2 500 Euro mit großer Genugtuung und Freude begrüßt wurde. Alle haben aber gesagt, dass ein politisches Zeichen für sie genauso wichtig ist, weil das eben keine Selbstverständlichkeit ist. Das müssten Sie als Sozialdemokrat doch nachvollziehen können.
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Kollege Korte, historisch gesehen haben Sie völlig recht. Die Beispiele, die Sie angeführt haben, zeigen, dass das über einen langen Zeitraum erkämpft werden musste. Die besondere Situation der sowjetischen Kriegsgefangenen haben Sie in Ihrer Rede sehr gut beschrieben.
Ich beziehe mich mit meinen Aussagen auf diese Legislaturperiode, in der wir schon mehrfach über dieses Thema gesprochen haben. Dabei ist es, wie ich finde, eine Selbstverständlichkeit, dass wir das Leid der Opfer anerkennen. Wir als Bundestag haben das getan. Wir haben in würdigen Debatten darauf hingewiesen, und wir haben im Nachgang zu der Debatte, wie schon mehrfach erwähnt wurde, gemeinsam mit der Union dafür gesorgt, dass die finanzielle Anerkennungsleistung geregelt werden konnte. Die Vertreter des Vereins Kontakte-Kontakty haben unseren finanziellen Beitrag als unsere Anerkennung des Leids gewürdigt.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Finanziell!)
– Finanziell, und damit natürlich auch darüber hinaus. Das finde ich eindeutig.
(Beifall bei der SPD)
Herr Kollege Korte, der Punkt, den ich inhaltlich mit Ihnen teilen kann, verfolgt das Ziel, den Opfern ein ehrendes Andenken zu bewahren und sie stärker in der deutschen Erinnerungskultur zu verankern. Ja, ich finde, das ist ein guter Ansatz. Hier gibt es viele Möglichkeiten, diese Leerstelle, wie sie die Wissenschaftlerin Beate Fieseler nannte, zu schließen.
In Berlin gibt es zahlreiche Orte, wo Zivilisten und Kriegsgefangene Zwangsarbeit leisten musste. Einer dieser Orte befindet sich in meinem Wahlkreis. Das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit erinnert am authentischen Ort in Berlin-Schöneweide an die Geschichte und das Leid der vielen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Das ist so eine Stätte, wo mit großem persönlichem Einsatz Erinnerungskultur gepflegt wird. Im letzten Haushalt ist es gelungen, diesen Lern-, Erinnerungs- und Begegnungsort mit Bundesmitteln stärker zu fördern, worüber ich mich sehr freue. Ich kann Ihnen allen einen Besuch des Dokumentationszentrums in Schöneweide mit Ihren Besuchergruppen nur empfehlen. Es ist nicht weit vom Bundestag entfernt.
Für uns ist es wichtig, dass wir die Erinnerung an die Verbrechen und an die Opfer des Nationalsozialismus wachhalten. Das schließt die sowjetischen Kriegsgefangenen ausdrücklich mit ein. Ich bin vollkommen damit einverstanden, dass diese in Zukunft eine stärkere Berücksichtigung finden sollen.
Ich freue mich auf die Beratungen in den Ausschüssen. Wir bleiben sicher gesprächsbereit. Wir werden uns keinesfalls eines überfraktionellen Antrags verschließen. Da müsste dann aber das eine oder andere in den Ausschüssen noch geklärt und besprochen werden.
Vielen herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Als nächste Rednerin spricht Barbara Woltmann für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Cite as | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Electoral Period | 18 |
Session | 173 |
Agenda Item | Sowjetische Kriegsgefangene als NS-Opfer |