Barbara WoltmannCDU/CSU - Sowjetische Kriegsgefangene als NS-Opfer
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wir werden nicht durch die Erinnerung an unsere Vergangenheit weise, sondern durch die Verantwortung für unsere Zukunft.
Das stellte schon der irische Schriftsteller, Politiker und Pazifist George Bernard Shaw fest.
Die unfassbaren Verbrechen Hitlers haben sich unlöschbar in die deutsche Geschichte eingebrannt. Es ist und muss uns Erinnerung und Mahnung für die Zukunft sein. Viele Menschen leiden noch immer unter den schrecklichen Ereignissen des Zweiten Weltkrieges. Dieser Krieg hat Elend und Verderben über Millionen von Menschen in Europa und darüber hinaus gebracht.
Das Gedenken an Verdun, an den Ersten Weltkrieg 100 Jahre zurück, oder auch an den Völkermord an den Armeniern – heute Morgen hier in diesem Hause beraten – erinnert uns daran, mahnend wachsam zu sein gegen jeden Aggressor gegen die Menschlichkeit. Die sowjetischen Truppen und die anderen Siegermächte waren es, die ein Deutschland befreiten, in dem Menschen planmäßig und in nie dagewesenem Umfang vernichtet und Andersdenkende gnadenlos verfolgt wurden. Der Zweite Weltkrieg hat Europa weitgehend verwüstet.
Auch das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen in der NS‑Zeit war ein menschenverachtendes Kapitel der Naziherrschaft. Das wissen wir alle und bestreitet niemand. Sämtliche Regierungen der Bundesrepublik Deutschland haben der moralischen und finanziellen Wiedergutmachung des vom NS-Regime verübten Unrechts stets eine besondere Priorität eingeräumt. Dieser Aufgabe stellt sie sich, wie wir sehen, noch heute.
Ihre Forderung, liebe Kollegen und Kolleginnen von den Linken, der Deutsche Bundestag solle die Überlebenden um Verzeihung bitten und ihren Angehörigen Achtung und Mitgefühl bezeugen, finde ich allerdings – wie schon teilweise meine Vorredner – sehr missverständlich. Das klingt nämlich so, als wenn Sie der deutschen Bevölkerung damit jedwedes Mitgefühl absprechen – in der Vergangenheit und in der Gegenwart. Das können Sie nicht wirklich ernsthaft meinen.
Was hat Sie im Grunde dazu bewogen, nach der Diskussion um die Anerkennungsleistung an ehemalige sowjetische Kriegsgefangene im Jahre 2015 – meine Vorredner haben schon darauf hingewiesen – und den daraus erfolgten Regelungen jetzt wieder diese Diskussion auf die Tagesordnung zu heben und Ihren Antrag vorzulegen?
(Zuruf des Abg. Jan Korte [DIE LINKE])
Mir erschließt sich das nicht wirklich.
Letztes Jahr ist auf Antrag der Grünen sowie der Linken über eine finanzielle Anerkennung von NS-Unrecht für sowjetische Kriegsgefangene im Plenum eingehend diskutiert und eine entsprechende Vorlage an den Haushaltsausschuss überwiesen worden. Nach einer Sachverständigenanhörung hat der Haushaltsausschuss im Mai 2015 einen Beschluss zum Nachtragshaushalt gefasst und einen symbolischen finanziellen Anerkennungsbetrag von 10 Millionen Euro bereitgestellt; denn das Bundesentschädigungsgesetz greift für Kriegsgefangene nicht.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es greift überhaupt nicht mehr für Neuanträge!)
Der Bundestag hat den Nachtragshaushalt dann auch beschlossen. Das heißt, das Leid dieser Menschen ist – auch darüber ist hier damals diskutiert worden – durch diesen Betrag zumindest symbolisch anerkannt worden.
Ehemalige sowjetische Kriegsgefangene erhalten demnach eine Einmalzahlung in Höhe von 2 500 Euro. Wir gehen von bis zu 4 000 noch lebenden Berechtigten aus. Bisher sind 1 233 Anträge eingegangen. In 391 Fällen wurden Leistungen ausgezahlt, etwas mehr sind erledigt, und nicht alle konnten anerkannt werden. Diese Regelung halte ich ausdrücklich für richtig; denn eine Entschädigung von Kriegsgefangenen durch die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ ist auch ausgeschlossen. Bei den internationalen Verhandlungen, die der Errichtung dieser Stiftung vorausgegangen sind, wurde dies einvernehmlich so geregelt. Die Begründung war damals, man wolle keine neuen Reparationszahlungen zum Ausgleich von Kriegsschäden ehemaliger Kriegsgefangener justiziabel machen. Die Stiftung wurde bereits 2000 gegründet, um vor allen Dingen Zahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter zu leisten.
Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik Deutschland hat auf dem Gebiet der Entschädigung für NS‑Unrecht bis heute rund 70 Milliarden Euro erbracht. Deutschland war dabei immer darauf bedacht, dass die Entschädigungsleistungen nicht einseitig – das heißt nur für eine Gruppierung – gewährt werden, sondern dass alle Betroffenen und alle Verfolgten zumindest eine späte Wiedergutmachung bekommen. Allerdings muss auch ich sagen: Mit Geld allein kann man das, was dort passiert ist, nie wiedergutmachen.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb sollten wir eine Resolution verabschieden!)
Da stehen wir zu unserer historischen Verantwortung.
Festzuhalten bleibt: Krieg ist immer eine furchtbare Geißel für alle davon Betroffenen, insbesondere dann, wenn man es mit solch menschenverachtenden Regimen wie dem Naziregime zu tun hat. Wir sollten und müssen uns daher – auch im Interesse unserer Kinder und der nachfolgenden Generationen – immer unserer Geschichte bewusst sein, damit ein solches Verbrechen niemals wieder geschieht. Aber man sollte niemandem, der den Krieg nicht erlebt hat, Schuldgefühle einreden. Die meisten von uns sind nach Kriegsende geboren.
Ich möchte ganz ausdrücklich betonen: Wir haben die Schuld unserer Vorfahren von Beginn an auf unsere Schultern genommen und die Verantwortung übernommen. Wenn wir es aber nach über 70 Jahren nicht langsam schaffen, uns von dem Gedanken zu emanzipieren, dass das alles immer noch nicht reicht und wir nicht genug tun, habe ich die Sorge, dass sich dieses Pflichtgefühl irgendwann ins Gegenteil verkehren wird.
Wir sehen uns heute von kriegerischen Auseinandersetzungen umgeben, die entsetzliche Gräueltaten, die wir in unserem friedlich vereinten Europa seit über 70 Jahren durch unsere gemeinsame Politik erfolgreich abgewendet haben, zutage bringen.
Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Beck zu?
Diesmal nicht, nein. – Ich trete dafür ein, dass wir unseren Blick auf die Gegenwart und die Zukunft richten, ohne die Vergangenheit zu vergessen. Wir sollten dafür Sorge tragen, dass unser Friedensmodell für andere Regionen in der Welt beispielhaft sein kann. Wir sollten daher voller Zuversicht in die Zukunft schauen. Es sind 70 Jahre Frieden, die uns das europäische Haus beschert hat. Das müssen wir heute mehr denn je vermitteln. Da halte ich Ihren Antrag für nicht zielführend.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank. – Jetzt erhält der Kollege Beck das Wort für eine Kurzintervention.
(Zuruf von der CDU/CSU: Die Betonung liegt auf „kurz“!)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Cite as | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Electoral Period | 18 |
Session | 173 |
Agenda Item | Sowjetische Kriegsgefangene als NS-Opfer |