Volker BeckDIE GRÜNEN - Sowjetische Kriegsgefangene als NS-Opfer
Frau Kollegin, Ihre Ausführungen haben mich an zwei Punkten etwas erstaunt. Zu Beginn Ihrer Rede haben Sie gesagt, dass die Erinnerung nicht so wichtig ist wie das In-die-Zukunft-Schauen. Das hat mich insbesondere deshalb gewundert, weil ich vorhin in meiner Rede Ihren Fraktionsvorsitzenden zitiert habe, der am 2. Juni dieses Jahres in der FAZ geschrieben hat:
Nur durch die Erinnerung an ein solches Unrecht wächst die Aussicht, dass sich dieses nicht wiederholt – in welcher Form und auf welchem Erdteil auch immer.
Was bei der Anerkennung des Völkermords an den Armeniern richtig ist, kann bei der Anerkennung des NS‑Unrechts gegenüber den sowjetischen Kriegsgefangenen nicht falsch sein.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Aus der Erinnerung, aus der Vergangenheit, wächst die Zukunft in Verantwortung, weil man daraus die Lehren zieht.
Noch mehr berührt und auch ein bisschen erschüttert hat mich, dass Sie darüber gesprochen haben, dass im Krieg eben schlimme Dinge passieren. Die Kriegsgefangenen wurden aber in zwei Klassen eingeteilt. Für die westalliierten Kriegsgefangenen galt auch im Nationalsozialismus die Genfer Konvention, und sie wurde bei allem Elend, das es auch dort gab, grundsätzlich auch respektiert und angewandt. Für die sowjetischen Kriegsgefangenen wurde sie dagegen durch Führerbefehl ausdrücklich außer Kraft gesetzt. Deshalb hat man sie systematisch ausgehungert. Ich habe den Eindruck, dass Sie das nicht zur Kenntnis nehmen wollen, obwohl wir das in der Anhörung diskutiert haben.
Ich möchte hier wirklich keine Schärfe in die Debatte bringen, sondern ich möchte im Sinne der Würdigung der Geschichte und auch mit Blick auf die Menschen, die unsere Debatte in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion – in Russland, in der Ukraine, in Belarus – verfolgen, einfach versuchen, zu erreichen, dass wir uns in einem Berichterstattergespräch noch einmal gemeinsam der Frage annehmen, wo die entscheidende Differenz war.
War es nicht so, wie uns alle Historiker in der Anhörung gesagt haben, dass die entscheidende Differenz darin bestand, dass es nicht um ein Kriegsziel ging, und dass der Grund, weshalb man die Leute verhungern ließ, nicht ein Mangel an Ressourcen zur Versorgung der Kriegsgefangenen war, sondern der Wille, sie aus rassebiologischen Gründen umzubringen? Das Unrecht, das auf rassebiologischen Gründen fußt, ist klassischerweise nationalsozialistisches Unrecht.
Lassen Sie uns diese Frage noch einmal ohne Schärfe und jenseits von Partei- und Fraktionsgrenzen besprechen, damit wir hier als Hohes Haus gemeinsam zur historischen Wahrheit finden. Ich bitte Sie: Gewähren Sie uns diese Diskussion.
Frau Woltmann, Sie haben das Wort zur Erwiderung.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6888891 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 173 |
Tagesordnungspunkt | Sowjetische Kriegsgefangene als NS-Opfer |