02.06.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 173 / Tagesordnungspunkt 18

Karin StrenzCDU/CSU - Dopingopfer-Hilfegesetz

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein ganz persönlicher Blick zurück in meine eigene Vergangenheit: Aufgewachsen bin ich in der ehemaligen DDR. Ich war neun oder vielleicht zehn Jahre alt, als sich in meinem Zuhause die Sportlehrer an meiner Schule die Klinke in die Hand gaben. Da saßen sie nun und redeten auf meine Eltern ein. Ja, ich war – die Betonung liegt natürlich auf „war“ – eine echte Sportskanone. Selbst die Jungs zwei Klassenstufen höher konnten mich beim Laufen nicht einholen; sie waren chancenlos. Dafür stieg allerdings die Chance, als junger Kader für die KJS – das Zauberwort für „Kinder- und Jugendsportschule“ – akquiriert zu werden.

Mein Vater – stolz wie Bolle auf seine Lütte, gebauchpinselt durch Vater Staat – war begeistert. Meine Mutter – immer darauf bedacht, ihr Kind zu behüten und zu beschützen, es nicht zu früh aus der Familie zu geben und zu entlassen – hat den familieninternen Machtkampf gewonnen. Die kleine Karin – ohne Ahnung – ging weiter an drei Nachmittagen die Woche in ihre Sport‑AG und lief weiter fröhlich und unbeschwert anderen davon.

Wovor ich in Wahrheit bewahrt blieb, ist mir seinerzeit natürlich komplett verborgen geblieben. Heute bin ich unendlich dankbar, dass mir das Schicksal der Dopingopfer aus dem DDR-Staatsplan 14.25 erspart blieb. Unfassbar, dass dieses Regime noch nicht einmal vor Kindern und Jugendlichen haltgemacht hat und lebensbedrohliche und lebensvernichtende Maßnahmen ergriff, mit dem Wissen, dass sie die Menschen und die Seelen zerstören, nur um bei Spielen in Gold zu glänzen.

Was passiert wäre, wenn bei mir die Entscheidung ein anderes Ende gefunden hätte, ist uns durch die vielen, vielen überaus schweren Schicksale von Sportlern, die in der Vergangenheit systematisch auf Befehl der DDR-Führung gedopt wurden, nun glasklar geworden. Wir haben eine schreckliche Bilanz zu verzeichnen, die in unseren Augen erneut dringenden Handlungsbedarf erfordert.

Wenn nicht gleich und unmittelbar, dann wurden die vielen gesundheitlichen Folgen erst später – oder auch erst sehr viel später – ersichtlich. Das Gravierende, gar Menschenverachtende daran: Die gefährlichen Dopingmittel, die zu enormer Leistungssteigerung führen sollten, wurden den Athleten nichtwissentlich verabreicht. Sie hatten schlicht und ergreifend keinen blassen Schimmer davon, welche qualvollen Konsequenzen ihre große Freude am Sport für ihr Leben noch haben sollte. Das ist zutiefst bitter. Umso wichtiger ist es, dass wir den zahlreichen Opfern jetzt zügig unter die Arme greifen. Dies wollen wir mit der heutigen Verabschiedung des Zweiten Dopingopfer-Hilfegesetzes auf den Weg bringen.

Wenn wir heute von Staatsdoping sprechen, dachten wir, zumindest bis vor Kurzem, dieses Vorgehen sei ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Doch erst jüngst wurden wir bedauerlicherweise eines Besseren belehrt.

(Dagmar Freitag [SPD]: Sehr richtig!)

Während wir uns mit der Aufarbeitung und Anerkennung befassen, stehen andere erst vor der Realisierung eines noch nicht abzusehenden Scherbenhaufens. Ein Beispiel: Russland hat zwar erste Konsequenzen gezogen; doch noch kennen wir die Tragweite des Ausmaßes nicht. Das ist zweifellos ein schmerzhafter Paukenschlag für den internationalen Sport, der, sollten sich die Vorwürfe so bewahrheiten, noch lange und vor allem im wahrsten Sinne des Wortes tief in den Knochen stecken wird.

Die Verantwortlichen richten einen unermesslichen Schaden für diesen unseren internationalen Sport an, den wir lieben und der uns schon über Generationen hinweg begeistert hat. Das ist nicht hinnehmbar, und das ist schändlich, vor allem gegenüber den fairen und sauberen Sportlern.

Wir sollten uns die Frage stellen, was die Teilnahme an Olympischen Spielen für einen Sportler, der ehrlich und fair mit seinen Mitstreitern um den Sieg ringen will, überhaupt bedeutet. Ich denke, für viele ist es das Ereignis schlechthin; das ist eine wahrhafte Lebensleistung. Die emotionale Bedeutung sollte in keinem Fall unterschätzt werden. Denn bis ein Sportler die einzigartige Chance erhält, an so einem Event teilzunehmen, muss er einen steinigen Weg beschreiten und einen langen, anstrengenden Kampf führen.

Nur die Besten der Besten werden sich hier miteinander messen. Wer das geschafft hat, kämpft schließlich um das ganz, ganz große Los: um einen Platz auf dem Siegertreppchen, darum, in einer feierlichen Zeremonie einmal im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen und für seine außerordentlich besondere Leistung vor den Augen von Millionen Fans daheim geehrt zu werden. Was muss das für ein besonderes und verdientes Gefühl für denjenigen sein!

Leider reicht es nicht immer für Platz eins, den Platz ganz oben. Wer knapp daneben liegt, muss es auch verkraften. Aber umso gewaltiger muss doch die Enttäuschung für ebendiesen ehrlichen Athleten sein, wenn er dann im Nachhinein erfährt, dass er diese Würdigung doch verdient hätte, da der vermeintliche Sieger des Dopings überführt wurde. Schlimmstenfalls liegen dann irgendwann die Medaille und ein nettes Schreiben mit den Worten „Herzlichen Glückwunsch“ und „mit tiefem Bedauern“ lieblos im Briefkasten. Doch das unglaubliche Feeling einer Siegesfeier bei Olympia, das, wofür man so lange gekämpft hat und den Menschen in Erinnerung bleibt, ist vergangen und unwiederbringlich. Für solche Fälle müssen wir alle zusammen ein angemessenes Zeremoniell erfinden, es kreieren, um die Würdigung der Leistung noch einmal in den Mittelpunkt zu stellen.

In neun Wochen ist es wieder so weit. Am 5. August beginnen die Olympischen Spiele in Rio, und ich hoffe, dass bis dahin die Verantwortlichen der jüngsten Vorfälle angemessen sanktioniert werden. Viel zu oft fehlt genau hier die Durchschlagskraft für eine angemessene Bestrafung.

Wer hingegen in Deutschland betrügt, indem er verbotene Substanzen zur Leistungssteigerung zu sich nimmt, muss durch die Verabschiedung des Anti-Doping-Gesetzes, das wir Ende vergangenen Jahres hier beschlossen haben, mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Deutschland nimmt seine Aufgabe ernst, Manipulation und Betrügerei im Sport zu bekämpfen.

Frau Kollegin.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6889380
Wahlperiode 18
Sitzung 173
Tagesordnungspunkt Dopingopfer-Hilfegesetz
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