03.06.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 174 / Tagesordnungspunkt 27

Michael Roth - Qualität der humanitären Hilfe

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Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1,5 Milliarden Menschen leben in Krisengebieten. 125 Millionen Menschen sind auf akute Nothilfe angewiesen, und mehr als 60 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Das sind erschreckende Zahlen. Sie erschrecken nicht nur uns hier im Bundestag, sie erschrecken viele Menschen, aber es darf nicht beim Erschrecken bleiben.

Deshalb danke ich Ihnen allen auch dafür, dass es uns nicht zuletzt mit Ihrer Unterstützung gelungen ist, dem Thema Menschenrechte und humanitäre Hilfe mehr Bedeutung beizumessen. Sie haben dazu beigetragen, dass Deutschland zwischenzeitlich zum drittgrößten Geber im Bereich der humanitären Hilfe zählt. Wir werden in diesem Jahr 1,3 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Und wir alle wissen, liebe Kolleginnen und Kollegen, es reicht am Ende des Tages nicht.

Die beschämende Situation des vergangenen Jahres ist schon beschrieben worden. Meine Zahlen, Herr Kollege Koenigs, sind noch schlimmer als die Ihrigen. Wir hatten im vergangenen Jahr eine Unterdeckung im Bereich der humanitären Hilfe von 15 Milliarden US-Dollar.

Aber trotz aller Krisen, nicht nur der von Menschen gemachten Krisen, wie das Herr Koenigs eben sagte, sondern auch der Naturkatastrophen und des Klimawandels, von dem wir heute noch gar nicht wissen, was dieser für Menschen wirklich bedeutet, die in noch stärkerem Maße von Naturkatastrophen betroffen sein werden, ist mir wichtig, eines noch einmal zu unterstreichen: Unsere Menschenrechts- und Entwicklungspolitiker, diejenigen, die sich der internationalen Arbeit verpflichtet fühlen, die sich der Humanität verpflichtet fühlen, hatten in den vergangenen Jahren oftmals ein Akzeptanzproblem. Aber nicht zuletzt seitdem die Tragödien der Welt ein Gesicht bekommen haben und die Menschen zu uns kommen und uns an ihren tragischen Geschichten teilhaben lassen, ist das Bewusstsein der einen Welt gewachsen.

Das Geld, die Hilfe, die Kreativität, der Mut und die Leistung, die wir außerhalb Europas investieren im Mittleren und Nahen Osten, in Afrika, in vielen leidgeplagten Regionen der Welt, sind gut angelegt. Deshalb freue ich mich, dass wir nicht nur hier im Bundestag eine politische Mehrheit für diese Politik haben. Nein, wir haben eine breite gesellschaftliche Mehrheit. Ich darf hinzufügen: Wenn das nur in anderen Politikbereichen genauso der Fall wäre.

(Beifall bei der SPD)

Als jemand, der selbst an einer Reihe von Geberkonferenzen teilgenommen hat, kann ich den Eindruck der Kolleginnen und Kollegen nur bestätigen: Auf Gipfeln etwas zuzusagen, ist relativ einfach. Es dann aber auch wirklich umzusetzen und die Mittel zur Verfügung zu stellen, ist ungleich schwieriger. Ich darf Ihnen aber auch versichern – ich bin mir ziemlich sicher, die meisten von Ihnen werden das bestätigen –, dass Deutschland als ein zuverlässiger Partner in der Welt gilt.

(Beifall des Abg. Charles M. Huber [CDU/CSU] – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)

Unser Wort hat Gewicht, weil wir zu unseren Zusagen stehen.

Eben ist deutlich gemacht worden, dass wir mehr tun müssen für Bildung. Genau darum geht es doch bei dem Abkommen mit der Türkei. Darum geht es im Libanon, wo wir in diesem Jahr etwa 330 Millionen Euro zur Verfügung stellen wollen. Wir haben uns nicht nur in Istanbul, sondern bereits auf der Geberkonferenz in London darauf verpflichtet, dass ab dem Schuljahr 2016/2017 jedes Flüchtlingskind die Chance auf ein Schulangebot erhält. Dafür wird das Geld investiert, und es ist deshalb auch dort gut angelegtes Geld, ob in der Türkei, im Libanon, in Jordanien oder auch in vielen anderen Ländern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Botschaft dieses Gipfels in Istanbul ist: Wir müssen raus aus dem permanenten Krisenmodus, bei dem wir immer nur von einer Katastrophe zur nächsten eilen. Unser Ziel für die Zukunft ist ein System, das auf längerfristiger Planung, vorausschauendem Handeln und solider Finanzierung beruht. Zur soliden Finanzierung habe ich schon etwas gesagt, und zur längerfristigen Planung vermag ich auch etwas zu sagen.

Wir haben den gesamten Bereich der humanitären Hilfe auf Mehrjährigkeit ausgelegt.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir ergänzen das auch im Bereich der Stabilisierung. Wir haben vor allem die Mittel für Gemeinschaftsfonds ausgeweitet, um auch den Initiativen vor Ort die Planungssicherheit zu geben, die sie dringend brauchen. Also auch hier, finde ich, haben wir in Istanbul durchaus über die 170 Selbstverpflichtungen hinaus deutlich gemacht: Man darf nicht nur reden, sondern man kann auch konkret etwas tun.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt benennen, der mich vermutlich am meisten umtreibt; auch da stehe ich nicht alleine. Istanbul hat auch ein klares Signal dafür gesetzt, dass es absolut inakzeptabel ist, die humanitären Prinzipien des Völkerrechts weiter mit Füßen zu treten. Es ist grauenhaft, zu erleben, dass – in Syrien und an­dern­orts – Hilfsorganisationen nicht den Zugang haben, um Menschen mit dem Lebensnotwendigsten zu versorgen, dass Krankenhäuser und Schulen beschossen werden, dass Menschen, Kinder verhungern müssen, weil dem Deutschen Roten Kreuz, dem Roten Halbmond und vielen anderen Organisationen das Geld zwar zur Verfügung steht, aber das Geld eben nicht dort ankommt, wo es dringend gebraucht wird.

Deshalb muss es uns tagtäglich darum gehen, das klare Signal von Istanbul immer wieder zu realisieren. Der humanitäre Zugang von Vertretern von Hilfsorganisationen in zivile Einrichtungen muss von allen gewährleistet und garantiert werden. So viel Grundverantwortung und so viel Mindestkonsens muss in dieser Welt doch möglich sein, um dafür zu sorgen, dass nicht am Ende noch die Kranken, die Kinder, die Schwachen, die, die sowieso schon den größten Preis zu zahlen haben, sterben und die Belasteten sind. Ich hoffe, dass in Istanbul wirklich alle diese Signale verstanden haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zum Schluss: Ja, es geht nicht nur um humanitäre Hilfe. Sie kann die politischen Lösungen nicht ersetzen. Aber auch hier stelle ich mich sehr selbstbewusst vor sie. Denn ob es nun Syrien ist, ob es die Ukraine ist, ob es Libyen ist, wir bemühen uns überall – nicht nur aus der Ferne, sondern in aktiver Teilnahme an den Verhandlungen – darum, dass Frieden und Stabilität nicht nur ein abstraktes Hoffnungsversprechen, sondern baldmöglichst wieder eine konkrete Zusage für viele Menschen auf dem Globus sein werden.

Ich danke Ihnen dafür, dass Sie uns in dieser Politik entschieden und auch mit mancher konstruktiven Kritik unterstützen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Michael Brand erhält nun das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6890744
Wahlperiode 18
Sitzung 174
Tagesordnungspunkt Qualität der humanitären Hilfe
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