03.06.2016 | Deutscher Bundestag / 18. EP / Session 174 / Tagesordnungspunkt 27

Frank SchwabeSPD - Qualität der humanitären Hilfe

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Ich glaube in der Tat, man muss zunächst einmal mit einem Lob anfangen. Ich kann nämlich die Kritik daran, wer alles aus Deutschland nach Istanbul gereist ist, nicht nachvollziehen. Es wurde gesagt, das wäre zu viel der Würde. Wie wäre es denn eigentlich andersherum gewesen? Was wäre denn gewesen, wenn die Bundeskanzlerin, der Außenminister und der Entwicklungsminister bei einem solch zentralen Thema nicht nach Istanbul gefahren wären? Dann wäre die Kritik wahrscheinlich genau andersherum gewesen.

Sie wissen ganz genau: Die Vorbereitung begann vor drei Jahren und mehr. Damals war nicht absehbar, welche Debatten wir heute rund um die Türkei und um Istanbul führen werden. Insofern war es richtig – das ist auch wahrgenommen worden –, dass Deutschland dort hochrangig vertreten war.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Darauf können wir uns nicht ausruhen, aber es ist gut, dass Deutschland weltweit der drittgrößte Geber ist, und wir werden uns bemühen – Frau Steinbach und ich haben darüber schon geredet –, dass wir das Ganze auch haushalterisch entsprechend absichern.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Es ist auch gut, dass Deutschland – so nehme ich das jedenfalls wahr; das ist ja gerade auch gewürdigt worden – im internationalen Konzert der Impulsgeber dafür war, das humanitäre Hilfssystem auf eine andere Grundlage, eine qualifizierte Basis, zu stellen.

Es war keine Geberkonferenz, über die wir hier reden. Trotzdem muss man über Finanzen sprechen. Das will ich gleich auch noch tun.

Vorab will ich aber das unterstreichen, was viele Kolleginnen und Kollegen hier gesagt haben: In allem Schlechten – gemeint ist die schwierige weltweite humanitäre Lage – liegt auch etwas Gutes. Es ist die Chance – wir haben ein neues Momentum –, ganz anders über die humanitäre Hilfe für die 60 Millionen Flüchtlinge, von denen Sie gesprochen haben, und für die 100 bis 200 Millionen Menschen – je nachdem, wie man das sieht –, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, zu reden.

Sich um die humanitäre Hilfe zu kümmern, ist eben nicht „Nice to have“, also irgendetwas, was man auch noch einmal machen kann, sondern es geht um das Leben und die Würde von Menschen. Das allein wäre schon Grund genug. Es geht aber eben auch um knallharte Außen- und Sicherheitspolitik. Es geht darum, ob bestimmte Regionen der Welt dauerhaft stabilisiert oder destabilisiert werden. Darüber reden wir bei der humanitären Hilfe im Kern.

Wir reden auch über Fluchtbewegungen, die ausgelöst werden, wenn es keine ausreichende humanitäre Hilfe gibt, und wir reden darüber, was eigentlich mit den Kindern passiert, die zur Schule gehen müssen, das zurzeit aber nicht können. Sie sind doch wirklich das Futter für diejenigen, die sich terroristische Vorhaben auf der ganzen Welt vorgenommen haben. Auch das muss mit humanitärer Hilfe unterbunden werden.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Humanitäre Weltgipfel kann nur ein erster Auftakt für eine solche intensivierte Debatte sein. Er funktioniert eben nicht wie Klimakonferenzen, bei denen wir am Ende einen Mechanismus haben und Dinge völkerrechtlich verbindlich verabredet werden, sondern der Gipfel funktioniert im Moment nur über Einzelverabredungen, die hier aufgezählt worden sind, und darüber, dass man sich eine Liste von Themen vornimmt, über die man reden will. Dazu ist auch ein Papier verabschiedet worden, das sogenannte Grand Bargain, also der große Deal oder wie auch immer man das übersetzen will, in dem die Dinge, die Sie gerade benannt haben, stehen.

Die Fragen sind: Wie kann man humanitäre Hilfe mit Entwicklungszusammenarbeit verzahnen, nicht verschmelzen? Verschmelzen funktioniert nicht, weil die Prinzipien unterschiedlich sind. Wie kann man dabei helfen, dass Akteure, zum Beispiel die Geflüchteten, in die Entscheidungsstrukturen eines Systems humanitärer Hilfe hineingenommen werden? Wie können wir lokale Organisationen stärken? Wie können wir eine mehrjährige Finanzierung organisieren? Wie können wir Konfliktprävention entsprechend stärken? Das Entscheidende wird sein, dass auf diesen Gipfel etwas folgt und es entsprechend weitergeht. Die Struktur, wie das weitergehen soll, ist noch nicht klar. Das muss aber im Laufe dieses Jahres klar werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was mich immer wieder fassungslos macht, ist die Tatsache, wie stark dieses humanitäre Hilfssystem unterfinanziert ist. Trotz allen Lobs über die London-Konferenz haben wir im Rahmen der Hilfe für Flüchtlinge und für geflüchtete Menschen aus Syrien eine Unterfinanzierung. Wir haben eine dramatische Unterfinanzierung bei der humanitären Hilfe im Südsudan, im Jemen und bei dem El-Niño-Phänomen. Wir haben bei der Finanzierung ein Loch von mindestens 15 Milliarden US-Dollar. Das ist mehr als die Hälfte dessen, was wir in der humanitären Hilfe brauchen.

Ich will die letzten Sekunden meiner Redezeit, die ich noch habe, dafür nutzen, klarzumachen, wie wenig Geld das am Ende ist. Man muss wirklich mit dem Begriff „Peanuts“ aufpassen, aber das sind Peanuts. Dieses Geld ist ein Zwanzigstel von dem, was die weltweit 100 größten Rüstungsfirmen jedes Jahr mit Waffenverkäufen umsetzen. Es ist weniger als das, was Großbritannien und die Türkei für den Bau eines neuen Atomkraftwerks planen. Es ist nur die Hälfte dessen, was zum Beispiel Herr Zuckerberg besitzt, der sich immer wieder wohltätig geriert.

Es ist eben – das müssen wir uns klarmachen – bei allem Lob über die deutsche Rolle weniger als die Hälfte dessen, was für den Verteidigungsetat dieses Landes zur Verfügung steht. Deswegen haben wir als Bundestag die Aufgabe, uns zum einen für das zu loben, was wir in die Haushalte eingestellt haben, aber zum anderen bei den Haushaltsberatungen darauf zu achten, dass es zumindest dabei bleibt und dass wir weitere Impulse finanzieller Art in das internationale System geben können, damit wir den unerträglichen Zustand der Unterfinanzierung beenden und dafür sorgen, dass Terroristen die Nahrung entzogen wird. Das ist unsere gemeinsame Verantwortung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Inge Höger [DIE LINKE])

Der Kollege Dr. Volker Ullrich spricht als Nächster für die CDU/CSU.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Data
Source Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
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Electoral Period 18
Session 174
Agenda Item Qualität der humanitären Hilfe
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