03.06.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 174 / Tagesordnungspunkt 27

Volker UllrichCDU/CSU - Qualität der humanitären Hilfe

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kriegerische Auseinandersetzungen und Naturkatastrophen verursachen großes menschliches Leid. Der Konflikt in Syrien und im Nord-Irak hat Millionen von Menschen zu heimatlosen Flüchtlingen gemacht. Naturkatastrophen wie Erdbeben in Haiti und Nepal verlangen nach schneller Hilfe. Hungernde Menschen in der Sahelzone benötigen Nahrung und sauberes Wasser. Über 130 Millionen Menschen sind derzeit unmittelbar auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Das Leid und die Verzweiflung dieser Menschen sind durch die Bilder spürbar, die uns täglich erreichen. Die Antwort darauf, wie wir mit dieser Situation umzugehen haben, hat uns der in dieser Woche verstorbene Rupert Neudeck gegeben, an den auch ich im Rahmen dieser Rede erinnern möchte. Er sagte:

... wir dürfen uns keine Verzweiflung leisten. Verzweiflung ist eine Luxushaltung für einen Humanitären. Wir müssen immer überlegen, wie wir Wege zu den Menschen finden.

Diese Wege zu Menschen in der Not ist die humanitäre Hilfe. Wir leisten sie, weil unser Menschenbild uns verpflichtet, solidarisch zu sein. Wir leisten sie gerne, weil wir überzeugt sind, dass Mitmenschlichkeit ein Schlüssel zu einer besseren Welt ist.

Der Bedarf an humanitärer Hilfe beträgt derzeit etwa 20 Milliarden Euro pro Jahr. Dieses Geld wird dringend benötigt: für Nahrung, sauberes Wasser, ein Dach über dem Kopf, Babynahrung und Medikamente. Es steht aber nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung. Allein 2015 blieb ein Betrag von 7 Milliarden Euro ungedeckt. Meine Damen und Herren, es ist nicht hinnehmbar, wie Leid noch vergrößert wird, weil die Finanzierung der elementaren humanitären Hilfe nicht sichergestellt werden kann.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wir blicken auf die Flüchtlingslage in Jordanien. Die Menschen dort haben erfahren, was es bedeutet, wenn Gelder für Essensrationen drastisch gekürzt werden. Ich formuliere klar und deutlich: Dieses Beispiel muss uns vor Augen führen: So etwas darf und soll nicht mehr vorkommen.

Die Frage, die sich die wohlhabenden Staaten dieser Welt stellen müssen, ist eine ganz einfache: Wie kann es sein, dass für viele Dinge Geld vorhanden ist, sich aber oftmals der Eindruck erschließt, dass die Not von Menschen nicht die oberste Priorität hat?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wie kann es sein, dass Hilfsgelder erst zugesagt und dann entgegen der Abrede nicht ausgezahlt werden? Meine Damen und Herren, welchen Eindruck macht das auf Hilfsorganisationen, die sich mit ihren Freiwilligen in die Krisengebiete der Welt bewegen und dann feststellen, dass ihre elementare Finanzierung nicht sichergestellt werden kann?

Wir brauchen deswegen eine Reform der humanitären Hilfe mit folgenden Eckpunkten:

Erstens. Die Gelder müssen deutlich erhöht und im vollen zugesagten Umfang unmittelbar zur Verfügung stehen.

Zweitens. Wir brauchen funktionierende Mechanismen der humanitären Hilfe, welche eng mit langfristigen Projekten der Entwicklungszusammenarbeit verknüpft sind.

Unser Land geht, wie ich meine, mit gutem Beispiel voran. Auf der Geberkonferenz in London sind bis 2018  2,3 Milliarden Euro anvisiert worden. Für das Welternährungsprogramm werden wir über 500 Millionen Euro beisteuern. Auf dem Gipfel in Istanbul hat Deutschland einen Betrag von 50 Millionen Euro für den UN-Nothilfefonds zugesagt.

Es gab noch keinen Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wie Gerd Müller, der so intensiv und nachhaltig für die Erhöhung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit geworben hat.

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat er heute Geburtstag?)

Das ist gelebte Verantwortung. Dafür sagen wir herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für den Personenkult! – Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Franz Josef Strauß!)

Wir brauchen neben der Stärkung der humanitären Hilfe auch eine Stärkung des Rechts. Wir erleben derzeit einen Zustand der Krise des humanitären Völkerrechts. Ein elementarer Grundsatz des humanitären Völkerrechts besteht darin, dass jedem geholfen werden muss und kann, unabhängig von Kultur, Religion, Herkunft oder einer etwaigen Angehörigkeit zu einer Konfliktpartei, und dass die Helfer ungefährdet ihre Arbeit verrichten können.

Leider wird dieses Prinzip zunehmend gebrochen. Wir müssen erleben, dass Krankenhäuser bombardiert und Ärzte und Pflegepersonal angegriffen und verletzt werden oder gar ihr Leben verlieren. Wir müssen erleben, dass Kriegsflüchtlinge zur Zielscheibe werden und selbst ihre Zufluchtsorte nicht verschont bleiben.

Am 28. April dieses Jahres sind mindestens 30 Menschen bei der Bombardierung einer Klinik im syrischen Aleppo ums Leben gekommen. Am 5. Mai ist ein Flüchtlingslager in der Provinz Idlib bombardiert worden. Mehr als 28 Menschen verloren dabei ihr Leben. Diese Angriffe sind als das zu bezeichnen, was sie sind: Es sind Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Die Täter müssen der Rechenschaft zugeführt werden. Es wäre auch notwendig gewesen, dass die Weltgemeinschaft auf diesen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht eine noch deutlichere Antwort gefunden hätte. Diese Antwort wäre notwendig, um eine Geltung und Wiederherstellung des Rechts zu ermöglichen.

Meine Damen und Herren, wir werden die Ergebnisse von Istanbul wohlwollend und konstruktiv begleiten. Wir wissen, dass dieser Gipfel nicht das Ende oder das Ergebnis einer langen Wegstrecke ist. Er ist vielmehr der Anfang, um durch unsere Generation Menschlichkeit und Hilfe für die Schwachen zu erreichen.

Ich darf zum Schluss dieser Debatte noch einmal an Rupert Neudeck erinnern, der unlängst gefragt wurde, wie er denn die Kraft aufbringe, zu helfen. Da antwortete er – ich zitiere ihn –:

Es ist ein Geschenk, in einer so freien Gesellschaft zu leben. Ich will den Menschen etwas zurückgeben.

Inspiriert habe ihn dabei das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Diese Geschichte – so sagte er – trete ihm immer wieder in den Bauch, und sagt: Du bist zuständig für die Not anderer Menschen, jetzt und sofort.

In diesem Sinne, meine Damen und Herren, lassen Sie uns das Bewusstsein schaffen, und lassen Sie uns handeln!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Zum Abschluss dieser Aussprache spricht die Kollegin Dr. Ute Finckh-Krämer für die SPD.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6890749
Wahlperiode 18
Sitzung 174
Tagesordnungspunkt Qualität der humanitären Hilfe
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