03.06.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 174 / Tagesordnungspunkt 30

Jana SchimkeCDU/CSU - DDR-Renten-Überleitungsrecht

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren hier im Deutschen Bundestag ja regelmäßig über die Entscheidungen der DDR-Rentenüberleitung und damit auch über die Besonderheiten des DDR-Rentenrechts.

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Dann ändert doch mal was!)

Mir wird dabei immer wieder klar, wie schwer es für die Mütter und Väter der Wiedervereinigung gewesen sein muss, das DDR-Rentensystem in das Rentensystem der BRD zu überführen, zumal das Rentenrecht in der DDR einer Systematik folgte, die weit von dem Selbstverständnis unseres heutigen Rentenrechts entfernt war.

Das bundesdeutsche Rentenrecht betrachtet in der Regel allein die gezahlten Beiträge und die geleisteten Arbeitsjahre. Will man darüber hinaus vorsorgen, kann man dafür private oder betriebliche Vorsorgeformen wählen. In der DDR waren nicht allein die gezahlten Beiträge und die Arbeitsjahre ausschlaggebend, sondern es wurde auch nach Berufsgruppen unterschieden. In bestimmten Berufsgruppen war man in der DDR allein durch die Zugehörigkeit gegenüber anderen Berufsgruppen von vornherein bessergestellt. Aus diesem und anderen Gründen diskutieren wir hier in aller Regelmäßigkeit über bis zu 20 verschiedene Sonderregelungen des DDR-Rentenrechts.

Nun kann man nicht behaupten, dass diese Unterschiede bei der Rentenüberleitung nicht anerkannt worden wären. Durch Übergangsregelungen wurden die Besonderheiten des DDR-Rentenrechts bis weit in die 90er‑Jahre übernommen. Dann aber galt es, die Einheit auch in der Rente Stück für Stück umzusetzen. Das Renten-Überleitungsgesetz zielte deshalb ganz bewusst auf eine einheitliche Alterssicherung der Menschen in der DDR ab. Bis heute steht es für eine großartige Solidarleistung aller Versicherten und ermöglicht heute den ehemaligen Bürgern der DDR eine gute Alterssicherung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich noch einen weiteren Punkt aufgreifen. Die politische und soziale Einheit zweier wiedervereinter Staaten herzustellen, kann schlichtweg nicht bedeuten, Unterschiede fortzuführen. Und: Ja, die politische und soziale Einheit herzustellen, bedeutet auch, dass jeder für sich nicht nur mit Veränderungen, sondern auch mit Entbehrungen zurechtkommen musste. Viele verloren ihre Arbeitsstelle – eine Erfahrung, die man so vorher noch nie gemacht hat.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Das sind nur salbungsvolle Worte!)

Viele fanden sich in einer Zeit wieder, in der es galt, neue Regeln und neue Werte anzuerkennen. Die Welt war sozusagen aus den Fugen geraten. Obwohl man erwachsen war, bereits Kinder hatte, verheiratet und im Beruf etabliert war, musste man sich einen neuen Platz in einer neuen Gesellschaft suchen. Vielleicht lässt dies erahnen, wie schwer es war, eine Einheit herzustellen und dabei auch diese Besonderheiten zu berücksichtigen.

Vor diesen Herausforderungen stehen wir bis heute. Jedes Gesetz erhebt den Anspruch, Gerechtigkeit bestmöglich abzubilden. Doch wir alle, die wir Politik machen und somit täglich Entscheidungen zu treffen haben, wissen eines: Notwendige Entscheidungen stellen in den seltensten Fällen für alle eine zufriedenstellende Lösung dar. Besonders bei der Rentenüberleitung war und ist es schwer, alle Härte- und Einzelfälle sowie die entstandenen Ansprüche eines nicht mehr bestehenden Systems abzubilden.

Dennoch: Wir nehmen die Anliegen der Betroffenen sehr ernst.

(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)

Wir haben uns in dieser und in der vergangenen Legislatur in Expertengesprächen, in den Ausschüssen und in Beratungen ausführlich mit vielen dieser Sonderfälle befasst. Alle Gespräche haben gezeigt, dass die Gefahr weiterer Ungerechtigkeiten vor allem dann besteht, wenn wir das beschließen, was in den Anträgen steht, die uns hier und heute vorliegen.

Ein Beispiel. Nach einer mindestens zehnjährigen Tätigkeit erhielten Beschäftigte des Gesundheits- und Sozialwesens in der DDR für jedes Beschäftigungsjahr den 1,5‑fachen Satz des maßgeblichen Durchschnittsverdienstes angerechnet. Vergleichbare Regelungen gab es auch für andere Berufsgruppen. In der DDR sollten damit bestimmte Tätigkeiten, die körperlich anstrengend oder gesellschaftlich bedeutsam waren, in der Altersvorsorge bessergestellt werden. Auch ging es darum, einen Ausgleich für das oftmals niedrige Einkommen während der Erwerbstätigkeit zu schaffen. In der Bundesrepublik aber erfahren alle Berufe dieselbe gesellschaftliche Bedeutung, sei es im gewerblichen, im sozialen oder im kaufmännischen Bereich.

Hinzu kommt, dass die Rente keinen Ausgleich für geringes Einkommen bildet. Die Rente ist Ausdruck dessen, was war, und nicht dessen, was hätte sein sollen.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Aber was war, war ein aufopferungsvolles Arbeitsleben!)

Deshalb ist Ziel unserer Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die Aussichten auf die spätere Rente durch Qualifikation, eine gesunde Wirtschaft und auch durch eine gesunde und funktionierende Sozialpartnerschaft zu stärken. Deshalb kennt unser bestehendes Rentensystem solch eine Regelung nicht. So ist es auch logisch und konsequent, dass man sich seinerzeit gegen eine Übernahme dieser Sonderregelung ins SGB VI entschieden hat. Mit den Grundsätzen des lohn- und beitragsbezogenen Rentenrechts ist diese Regelung nicht vereinbar.

Einen weiteren Sonderfall des DDR-Rentensystems bilden die Personen, die in der DDR-Braunkohleveredelung tätig waren. Diese wurden aufgrund ihrer anspruchsvollen Arbeit mit gesundheitsgefährdenden Chemikalien wie Bergleute unter Tage behandelt. Genau dies, liebe Kolleginnen und Kollegen, offenbart natürlich auch die oftmals schlechten Arbeitsbedingungen in vielen Bereichen der Wirtschaft der DDR.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch hier entschied sich der Gesetzgeber, eine Übergangsregelung zu treffen. Nach 1996 wurde diese Regelung nicht mehr angewandt, und die Beschäftigten im Bereich der Braunkohleveredelung wurden nicht mehr wie Bergleute unter Tage behandelt. Aber diese Entscheidung, diese politische Entscheidung, hat nichts damit zu tun und führt auch nicht dazu, dass die betreffenden Personen wie Kumpel zweiter Klasse behandelt werden.

Lassen Sie mich abschließend noch ein paar Worte zur Mütterrente sagen. Bei der Einführung der Mütterrente haben wir uns schlichtweg an geltendes Recht gehalten und dieses angewandt. Es stimmt, dass eine Rentnerin im Osten Mütterrente in Höhe des Rentenwertes Ost erhält.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist doch schlecht!)

Die Entwicklung der letzten 25 Jahre zeigt aber, dass sich die Rentenwerte in Ost und West zunehmend annähern; darüber diskutieren wir heute ja nicht zum ersten Mal hier im Deutschen Bundestag. Seit der Wiedervereinigung – das erwähne ich auch immer wieder sehr gerne – haben wir bei der Angleichung der Renten sehr große Fortschritte erzielt.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)

Das sollte an dieser Stelle auch noch einmal gesagt sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD])

Die Renten stiegen in den neuen Bundesländern seit der Wende um weit mehr als 100 Prozent. In Westdeutschland betrug der Anstieg lediglich 25 Prozent. Der Rentenwert Ost wächst weiter, und noch in diesem Jahr wird es eine ordentliche Rentenerhöhung geben, die sich auch in den Portemonnaies der betreffenden Personen deutlich bemerkbar machen wird.

(Zurufe von der LINKEN)

Nur 2,1 Prozent der Menschen in Ostdeutschland beziehen die Grundsicherung im Alter; im Westen sind es hingegen 3,2 Prozent, und die durchschnittliche Rente von Frauen ist in den neuen Bundesländern um 44 Prozent höher als in den alten Bundesländern.

Die vollständige Angleichung des Rentenrechts in Ost und West rückt in greifbare Nähe. Wir und unser Koalitionspartner haben uns auf einen gemeinsamen Fahrplan zur Erreichung dieses Ziels verständigt.

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber die Ostkinder sind immer noch weniger wert!)

Auf der Grundlage des anstehenden Sachstandberichts der Bundesregierung werden wir entscheiden, ob mit Wirkung ab 2017 eine Teilangleichung notwendig ist oder eben nicht.

Es kommt aber auch darauf an, die tatsächlichen Herausforderungen für die Zukunft unseres Rentensystems insgesamt in den Blick zu nehmen. Die Bundesregierung sieht die Herausforderung des demografischen Wandels und will die zweite und dritte Säule der Altersvorsorge stärken. Die private und die betriebliche Vorsorge sollten für jeden Menschen in unserem Land selbstverständlich sein und eine auskömmliche Rente für jeden ermöglichen.

Dies ist unser Ziel und bestimmt unser Handeln. Ich freue mich sehr auf die Diskussion zur anstehenden Rentenreform in den kommenden Beratungen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Markus Kurth von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6891042
Wahlperiode 18
Sitzung 174
Tagesordnungspunkt DDR-Renten-Überleitungsrecht
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