08.06.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 175 / Zusatzpunkt 1

Christian FlisekSPD - Aktuelle Stunde zu den Unwettern in Deutschland

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Es ist angesprochen worden: Was sich in der letzten Woche in meinem Nachbarwahlkreis, im Landkreis Rottal-Inn, zugetragen hat, kann einfach nur als eine Katastrophe bezeichnet werden. Die Zahlen: Es waren sieben Menschen allein in einem Landkreis, die den Fluten zum Opfer gefallen sind. Es sind über 500 Häuser, die schwer beschädigt wurden, irreparabel, die vermutlich abgerissen werden müssen. Insgesamt sind über 5 000 Haushalte betroffen. Die Schäden allein in einem Landkreis werden auf 1 Milliarde Euro geschätzt. Das sind katastrophale Zahlen.

Als Passauer sage ich auch ganz offen: Als die Wasserpegel in diesen Tagen stiegen, haben wir angstvoll auf unsere Flüsse geschaut, weil das Ereignis von 2013, das Passau und Deggendorf damals heimgesucht hat, allen sprichwörtlich noch in den Knochen steckt. Seinerzeit haben wir allein in Passau und Deggendorf Schäden von 12 Milliarden Euro zu verzeichnen gehabt. – Auch das ist noch nicht lange her: 2002 hatten wir über Pfingsten ein katastrophales Hochwasser, bei dem allein in unserer Region Schäden von 5 Milliarden Euro entstanden sind.

Insofern, meine Damen und Herren, von Jahrhundert­hochwassern zu reden, ist eigentlich mittlerweile eine Verhöhnung der Menschen, die davon betroffen sind, der Opfer. Wir sollten diesen Begriff schlicht und ergreifend nicht mehr verwenden, in keinem Antrag, in keinem Gesetz, in keinem Hilfspaket. Es gibt keine Jahrhundert­hochwasser mehr, es gibt keine Jahrhundertkatastrophen mehr. Wir müssen spätestens jetzt zur Kenntnis nehmen und lernen, dass in Deutschland zu jeder Zeit regelmäßig so etwas passieren kann. Das ist etwas, glaube ich, was auch Konsequenzen in der politischen Landschaft haben muss.

Wenn wir über Schäden reden, dürfen wir nicht nur über die materiellen Schäden reden; wir müssen auch über die psychischen Schäden von Menschen reden. Ich denke an Menschen, die ihr Hab und Gut verloren haben. Das Schlimmste ist natürlich, wenn man sein Leben oder Angehörige verliert. So etwas ist durch gar nichts zu ersetzen. Aber es sind auch viele Existenzen vernichtet. Wenn man lange warten muss und nicht weiß, woher eventuell eine Regulierung kommt – vielleicht findet auch gerade kein Landtags- oder Bundestagswahlkampf statt; solche Dinge sind ja, wenn wir ehrlich sind, manchmal entscheidend für den Umfang von Hilfspaketen –, ist es schwer. Wir müssen für die Menschen Planbarkeit erreichen. Wir müssen dafür sorgen, dass der solidarische Gedanke in einer solchen Situation gelebt wird.

Meine Damen und Herren, ein wesentlicher Aspekt – darauf möchte ich mich als Rechtspolitiker in dieser Debatte jetzt konzentrieren; viele Kolleginnen und Kollegen vor mir haben ein Bündel von Maßnahmen angesprochen, die alle richtig sind – ist eine verpflichtende Elementarschadenversicherung. Wir hatten Hoffnung gehabt, dass das Ganze eventuell durch einen Prüfauftrag im Koalitionsvertrag der Großen Koalition in eine richtige Richtung kommen würde. Wir haben dann aber auch festgestellt, dass die Justizminister der Länder das am Ende abschlägig beschieden haben mit dem Argument, es gebe dort enorme verfassungsrechtliche Bedenken; auch europarechtliche Bedenken sind angeführt worden.

Ich sage hier an dieser Stelle heute sehr deutlich: Mich überzeugen diese Argumente nicht, und zwar aus einem einfachen Grund: weil nämlich jeder – das haben wir spätestens jetzt zur Kenntnis zu nehmen – jederzeit in diesem Land Opfer eines solchen Schadensereignisses werden kann. Und weil das eben so ist, weil wir eben nicht nur eine begrenzte, lokale Betroffenheit haben, wie das vielleicht bei Flusshochwassern der Fall ist, weil von einem solchen Elementarschaden jeder in der ganzen Republik jederzeit betroffen sein kann, brauchen wir eine große Solidargemeinschaft, die gemeinsam, auch über entsprechende Versicherungslösungen, in der Lage wäre, solche Schäden zu tragen. Deswegen wird sich meine Fraktion ganz massiv dafür aussprechen, dass wir eine verpflichtende Elementarschadenversicherung wieder auf die Agenda rücken. Ich glaube, die Argumente, die bisher dagegen vorgebracht worden sind, müssen noch einmal kritisch überprüft werden. Uns ist klar, dass die Versicherungswirtschaft da keine Purzelbäume schlägt; aber der Versicherungsgedanke ist in erster Linie nicht ein Profitgedanke, sondern er ist vor allem ein zutiefst solidarischer Gedanke,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

der auch im Sozialstaatsprinzip unserer Verfassung verankert ist. Deswegen sollten wir da wirklich am Ball bleiben.

Ich sage an dieser Stelle, auch aus den Erfahrungen der vergangenen Schadensereignisse: Wir müssen uns auch die Regulierungspraxis von manchen Versicherern anschauen. Auch das kann manchmal kräfte- und nervenzehrend sein. Angesichts dessen, wie mit Geschädigten umgegangen wird – wenn man versucht, ihnen, ich sage mal, pauschale Abschlagszahlungen nach dem Prinzip „Pi mal Daumen“ anzubieten, und sie in einer Situation der Schwäche vielleicht sogar geneigt sind, das anzunehmen, auch, weil sie keine Rechtsschutzversicherung haben, weil sie sich nicht auf langwierige Prozesse einlassen können, weil sie Angst haben vor Sachverständigengutachten –, ist das, denke ich, auch ein Thema für die Politik. Eine Versicherung als solches ist ein erster Schritt. Aber wenn eine Versicherung besteht, dann muss es dort auch eine ordentliche Regulierungspraxis für solche Schäden geben.

Deswegen bin ich sehr dankbar, meine Damen und Herren, dass wir dieses Thema durch die heutige Aktuelle Stunde wieder auf die Tagesordnung heben können. Auch ich spreche mich für eine solidarische Beteiligung des Bundes in diesem konkreten Fall aus. – Im Übrigen wäre ich froh, wenn heute ein Vertreter des Finanzministeriums anwesend wäre,

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

denn dann könnten wir diese Themen eventuell gleich richtig adressieren. – Und ich danke ausdrücklich in meiner Heimat, dem Freistaat Bayern, der Bayerischen Staatsregierung dafür, dass sie erste Sofortmaßnahmen unbürokratisch abgewickelt hat, dass es hier eben nicht um eine Sozialklausel ging, sondern dass den Menschen vor Ort schnell, unbürokratisch und ohne große Prüfung von Einkommen und Ähnlichem geholfen wird.

Das sind die richtigen Schritte. Ich glaube, die Menschen werden uns als Politik nicht daran messen, wer ihnen hilft, sondern daran, dass ihnen geholfen wird und dass ihnen schnell geholfen wird.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Flisek. – Nächster Redner: Artur Auernhammer für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6905404
Wahlperiode 18
Sitzung 175
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zu den Unwettern in Deutschland
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