Frank TempelDIE LINKE - Informationsaustausch bei Terrorismusbekämpfung
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrten Damen und Herren! Bei den Anschlägen von Paris und Brüssel ist uns noch einmal sehr bitter die Gefahr von Terroranschlägen vor Augen geführt worden. In diesen Fällen waren es Anschläge vonseiten radikaler Islamisten. Wir wissen aber auch, dass ebenso die Gefahr rechtsextremistisch motivierter Terroranschläge besteht. Für uns ergeben sich daraus zwei klare Aufgabenstellungen.
Erstens. Wir müssen alles daransetzen, dass geplante Terroranschläge nicht stattfinden können. Wir müssen sie verhindern.
Zweitens. Wir müssen die Ursachen des Terrorismus thematisieren und wirkungsvolle zivile Prävention dagegensetzen.
(Beifall bei der LINKEN)
Zur Prävention und zur Ursachenbekämpfung höre ich relativ selten etwas von Ihnen, Herr Innenminister. Das haben Sie aber heute getan, und das, was Sie dazu in Ihrer Rede gesagt haben, möchte ich ausdrücklich unterstreichen.
Aber gucken wir einmal, was in Ihrem Gesetzentwurf steht. Da finden wir Regelungen mit erheblichen Möglichkeiten zu Grundrechtseingriffen für Geheimdienste und Polizei, eine üppige personelle und materielle Aufrüstung des Bundesamts für Verfassungsschutz. Und: Das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten wird wie mit dem BKA-Gesetz weiter ausgehöhlt. Da ist die Frage: Ist dieses Gesetz wirklich geeignet, mehr Sicherheit gegen terroristische Anschläge zu bringen?
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Clemens Binninger [CDU/CSU]: Ja!)
Ich behaupte, dass es das nicht ist, und werde das anhand von drei Beispielen belegen.
Erstes Beispiel: die Schaffung einer gemeinsamen Datei des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit ausländischen Nachrichtendiensten. Ich darf erinnern: Es gab bisher eine Kommunikation mit ausländischen Geheimdiensten. Wir bekamen auch immer wieder Terrorwarnungen, die sich aber weitestgehend als Fehlinformationen oder als unüberprüfbar herausgestellt haben. Jetzt wollen Sie, wenn wir das richtig verstanden haben, diesen Zustand sogar noch verstetigen und den Heuhaufen, in dem Sie stochern, deutlich höher stapeln. Dafür brauchen Sie 5,8 Millionen Euro und 27 dauerhafte Planstellen. Das ist nicht schlecht. Auf diese Art tauschen Sie dann anlasslos Daten von Zehntausenden Bürgern. Zulieferung von Geheimdiensten aus autoritären und diktatorischen Staaten nehmen Sie dabei auch in Kauf.
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Nein! Das ist doch ausgeschlossen! Das steht doch gar nicht im Gesetz! – Uli Grötsch [SPD]: Steht doch gar nicht im Gesetz drin! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das stimmt doch nicht!)
Dann gibt es noch den Datenringtausch unter den befreundeten Geheimdiensten, Herr Binninger. Die beteiligten Geheimdienste haben damit Zugriff auf Daten, die sie nach nationaler Gesetzgebung gar nicht erheben dürfen, und das alles wieder einmal unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung.
Da müssen wir Sie fragen: Ist das etwa Ihre Konsequenz aus den Skandalen um NSU und NSA? Ist das etwa Ihre Konsequenz aus dem jüngsten Versagen der Sicherheitsbehörden? Mehr Geld und Beschäftigte für den Verfassungsschutz und dafür dann erneut weniger Datenschutz? Ein Sicherheitsgewinn wird von der Linken hier jedenfalls deutlich bezweifelt.
(Beifall bei der LINKEN)
Zweites Beispiel: Sie wollen die umfassende Erfassung und Prüfung für Identitätsdaten der Nutzer von Prepaidkarten bzw. -telefonen. Das heißt, der normale Bürger soll sich dem Zugriff des Staates auf seine Kommunikationsdaten nicht entziehen können. Ich darf Sie erinnern: Personen mit Anschlagsabsichten können ohne größeren Aufwand den Weg über Drittpersonen oder das Ausland wählen. Das ist überhaupt nicht schwer. Unsere prinzipielle Kritik an der Vorratsdatenspeicherung gilt also auch dieser Maßnahme. Es ist Massenüberwachung,
(Zuruf von der CDU/CSU: Keine Überwachung!)
ohne dass ein dem Verhältnismäßigkeitsgebot entsprechender Effekt für die Strafverfolgung erkennbar ist.
Meine Damen und Herren, statt die Lehren aus den Untersuchungsausschüssen des Bundestages zu ziehen, werden diesem Nachrichtendienst reflexartig immer weitere Kompetenzen und Budgetmittel zulasten der Bürger und der Steuerzahler gewährt. Seit dem Auffliegen des NSU im Jahr 2011 wurde der Haushalt des Bundesamts für Verfassungsschutz von 187 Millionen Euro auf 261 Millionen Euro aufgestockt. 470 Personalstellen gab es allein in diesem Jahr zusätzlich im Verfassungsschutzverbund. Wieso soll jemand annehmen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz bei der Bekämpfung von islamistischem Terror erfolgreicher agiert als bei rechtsradikalem Terror?
Ein dritter wesentlicher Punkt in Ihrem Gesetzentwurf ist der Einsatz von verdeckten Ermittlern bei der Polizei. Also, die Bundespolizei soll nun ebenfalls, weil alle anderen Polizeien das auch dürfen, verdeckte Ermittler einsetzen, die auch noch aus Eigenschutzgründen ihre Umgebung technisch abhören können. Als Einsatzbeispiel haben Sie auch heute die Schleusung von Flüchtlingen genannt. Mal ganz abgesehen davon, dass bisher bekanntgewordene Terroristen in Europa aufgewachsen sind und sich nur vereinzelt als Flüchtlinge getarnt haben, ist deren Enttarnung durch verdeckte Ermittler fachlich mehr als zweifelhaft. Der Terrorbekämpfung nutzt diese Maßnahme nach aller Wahrscheinlichkeit jedenfalls nicht.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, im Namen meiner Fraktion darf ich Sie noch einmal mahnen: Es gilt Demokratie für alle. Sie muss gestärkt und darf nicht bei jeder Gelegenheit durch den Abbau von Bürgerrechten geschwächt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Ihr Schwerpunkt liegt erneut bei der Stärkung der Geheimdienste. Die Linke bleibt dabei: Geheimdienste sind Fremdkörper der Demokratie, da sie qua Amt zu Desinformation und Unkontrollierbarkeit neigen. Deshalb gehören sie abgeschafft.
(Beifall bei der LINKEN)
Jetzt, Herr Minister, nachdem wir uns damit beschäftigt haben, was wir an Ihrem Gesetzentwurf nicht gut finden, nenne ich Ihnen drei Beispiele, die unserer Meinung nach mehr Sicherheit bringen können, wenn – statt Grundrechte zu beschneiden – Gelder an der richtigen Stelle eingesetzt werden.
Ich habe hier ja schon häufig etwas zum Personaldefizit bei der Bundespolizei gesagt. Ich kann es auch heute nur gebetsmühlenartig wiederholen: Machen Sie dringend eine Aufgabenkritik, und entlasten Sie die Polizei! Aufwendiges Anzeigenschreiben bei Cannabiskonsumenten, bei „illegal“ eingereisten Flüchtlingen, bei Schwarzfahrern, bei einfachen Ladendieben bindet gewaltige Ressourcen bei der Polizei. Das ist durchaus auch anders zu lösen. Weiter muss man dann natürlich definieren, wie viele Stellen zusätzlich geschaffen werden müssen, damit die Polizei ihren originären Aufgaben, also auch der Gefahrenabwehr, tatsächlich nachkommen kann.
Jeder Polizist vor Ort – auf der Straße und gerade bei Menschenansammlungen – ist eine wirkungsvolle Antiterrormaßnahme. Noch wirkungsvoller ist er, wenn er gut ausgebildet ist und durch Schulungen in die Lage versetzt ist, frühzeitig spezifische Verhaltensweisen von Terroristen zu erkennen und zu identifizieren. Im Nachhinein anhand von Videoaufzeichnungen drei Personen mit großen Koffern und auffälligen Handschuhen zu erkennen, ist zumindest für diesen Terroranschlag zu spät. Wir brauchen geschulte Polizeibeamte, denen so etwas rechtzeitig auffällt und die Maßnahmen ergreifen können, bevor ein Anschlag stattfindet,
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
wohlgemerkt Polizeibeamte, die regelmäßig abgelöst werden können, also Pausen bekommen und konzentriert bleiben, und die eine vernünftige Ausrüstung, insbesondere eine gute Sicherheitsausrüstung, haben. Das heißt, wir brauchen hier Personal, das gut ausgestattet ist.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie reden viel über Kommunikation, Herr Innenminister. Kommunikation kann tatsächlich sehr entscheidend sein; das ist richtig. Aber dafür brauchen wir nicht noch mehr Daten und noch mehr Befugnisse, sondern effiziente Kommunikationsschnittstellen und eine vernünftige, kompatible IT. Ich darf erinnern: 2,3 Millionen Euro hat das Bundeskriminalamt für eine gemeinsame Ermittlungsdatei von BKA und Landeskriminalämtern ausgegeben. Zweck sind Ermittlungen im Bereich des Terrorismus. Aus der Antwort auf unsere Kleine Anfrage dazu geht hervor: Seit 2011 wurde diese Datei ein Mal genutzt. Ein Mal!
Schnittstellen zu den EDV-Strukturen der Landeskriminalämter bestehen nicht. Dort müssen Daten über eigene Terminals eingegeben werden. Es existiert keine gemeinsame IT-Infrastruktur für den Fall eines terroristischen Anschlags oder eines anderen großen Unglücks. Daten zwischen Bundeskriminalamt und Landeskriminalämtern müssen noch heute per Fax oder Mail ausgetauscht werden. Das kostet einfach Zeit und birgt Reibungsverluste. Da sind Hausaufgaben zu machen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Während Nachrichtendienste immer mehr Befugnisse und Infrastruktur für den Datenaustausch weit im Vorfeld erhalten, sind unsere Polizeibehörden von einer modernen Infrastruktur weit entfernt. Tatsächliche Informationen, Hinweise und Sachverhalte müssen über schnelle und effiziente Informationswege ohne Reibungsverluste an die notwendigen Adressaten bei der Polizei kommen, damit diese auch agieren kann. Die Linke ist ganz klar kein Freund großer Datensammlungen zum Selbstzweck. Aber da, wo der Zugriff für polizeiliche Handlungen erforderlich ist, sind wir dafür, dass die moderne Technik genutzt wird, um die Daten schnell an die notwendigen Stellen zu übermitteln.
Mein dritter Punkt – ich weiß, dass er bis zum Beginn der Fußballeuropameisterschaft keine Wirkung mehr entfalten wird, aber das Thema Terrorbekämpfung wird im Juli nicht verschwinden –: Was müssen wir aus Paris und Brüssel lernen? Datensammlungswut und Absenkung bürgerrechtlicher Standards haben dort kein Mehr an Sicherheit gebracht.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Allerdings hat das fast vollständige Versagen der Präventionsarbeit in ganzen Stadtteilen der Radikalisierung zumeist Jugendlicher den Boden bereitet. Prävention kann den Terror nicht verhindern – das wissen wir –, wohl aber den Nährboden sehr deutlich reduzieren.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
In Sachen langfristiger und nachhaltiger Terrorbekämpfung ist Prävention mit Abstand die wirkungsvollste Maßnahme. Ich weiß, dass wir dafür Programme haben. Aber gerade die zivilen Deradikalisierungsprogramme sind bisher absolut unzureichend, setzen deutlich zu spät an und sind letztendlich in ihrer Quantität ein Tropfen auf den heißen Stein.
Wenn ich zusammenfassen darf: Es gibt Handlungsspielräume, um besser auf die Gefahr von Terroranschlägen vorbereitet zu sein. Aber Ihre Vorschläge, Herr Minister, haben zumindest mit Terrorbekämpfung und mehr Sicherheit für den Bürger nichts zu tun. Damit sind Sie nach unserer Auffassung Ihrer Verpflichtung als Innenminister erneut nicht nachgekommen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Uli Grötsch ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6907399 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 176 |
Tagesordnungspunkt | Informationsaustausch bei Terrorismusbekämpfung |