Tim OstermannCDU/CSU - Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Linken, wir beraten heute über Ihren Gesetzentwurf – zumindest für diese Legislaturperiode. Ich bin mir sicher, dass wir spätestens zu Beginn der neuen Legislaturperiode mit der erneuten, dann dreizehnten Einbringung rechnen dürfen
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Natürlich!)
und dass es auch dann keine Mehrheit für Ihren Antrag und Ihren Gesetzentwurf geben wird.
(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir noch abwarten! – Zuruf von der LINKEN: Sie können gleich zustimmen!)
Ergänzend beraten wir über einen Antrag, der die Aufforderung an die Bundesregierung zur Vorlage eines Gesetzentwurfs enthält, der, was das Ziel angeht, genau Ihrem Gesetzentwurf entsprechen soll. Verstehen muss man das nicht. Offenbar misstrauen Sie Ihrem eigenen Gesetzentwurf. Aber es ist immerhin ein guter Anfang, dass Sie der Bundesregierung mehr vertrauen als sich selbst.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Dazu passt, dass Herr Korte zu allem gesprochen hat, nur nicht zum Gesetzentwurf und zum Antrag.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD] und Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Neoliberale Bildungspolitik! – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Es kommt noch die Kollegin Wawzyniak!)
Ich will auch einige inhaltliche Bemerkungen zu Ihrem Vorhaben machen. Unser System, die repräsentative Demokratie, zeichnet sich durch große politische Stabilität aus. Viele Entscheidungen waren zu der Zeit, als sie getroffen wurden, überaus unpopulär. Ich erinnere zum Beispiel an die Entscheidung über die Westbindung, den NATO-Doppelbeschluss
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Genau!)
und die Einführung des Euro.
(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Da hättet ihr besser eine Volksabstimmung gemacht!)
Das alles sind allerdings Beschlüsse, die sich recht schnell als Segen für unser Land erwiesen haben.
(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Haben sie nicht!)
Unsere Vorgänger im Bundestag haben damals Rückgrat bewiesen und entgegen der damals vorherrschenden Meinung in der Bevölkerung richtig entschieden.
Das Gesetzgebungsverfahren ist in langjähriger Praxis zu einem ausdifferenzierten Verfahren geworden. Es gibt widerstreitende Interessen, die es zu kanalisieren und aufzunehmen gilt. Es gibt mehrere Lesungen im Plenum, Ausschussberatungen und Sachverständigenanhörungen. Am Ende stehen Gesetze, die den unterschiedlichen Interessen Rechnung tragen. Dieses hohe Maß an thematischer Tiefe und Flexibilität können Plebiszite nicht bieten. Volksabstimmungen führen in vielen Fällen zu einer unangemessenen Verkürzung der Sachthemen. Sie bieten auch bei komplexen Themen als Antwort nur Ja oder Nein.
(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Genau, weil das Volk zu dumm ist!)
Man muss aber auch „Ja, aber“ sagen können. Die Verkürzung von Sachthemen eröffnet populistischen Konstellationen viele Handlungsmöglichkeiten. Es besteht die Gefahr, dass Entscheidungen nicht auf Grundlage sachlicher Erwägungen getroffen werden, sondern eher auf Grundlage von Emotionen. Wir wären schlecht beraten, wenn wir uns in wichtigen Sachfragen von Stimmungen und Stimmungsmachern leiten ließen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich möchte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, das an einem aktuellen Beispiel verdeutlichen. In den Niederlanden stand im April das Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine zur Abstimmung. Der Text des Abkommens umfasst 177 Seiten. Hinzu kommen 46 Anhänge und drei Protokolle im Umfang von fast 2 000 Seiten. Unter anderem befasst sich das Abkommen mit Zöllen auf bestimmte Produkte. Das ist also eine überaus spannende Lektüre. Daher verwundert es nicht, dass fast 70 Prozent der Niederländer der Abstimmung fernblieben. Mit dieser Legitimation musste die niederländische Regierung dann das Ergebnis der Abstimmung in Brüssel vertreten. Nachhaltigkeit, Verlässlichkeit und ein starkes Mandat für eine Regierung sehen anders aus. Diese Entscheidung wurde gleichzeitig als Zeichen der Ablehnung der Europäischen Union gedeutet. Gerade dies war auch die Absicht. Den Initiatoren ging es nicht um die Frage, die konkret zur Abstimmung stand; das gaben sie sogar offen zu. Arjan van Dixhoorn, einer der Organisatoren, hat zum Beispiel in einem Interview mit einer Tageszeitung in den Niederlanden gesagt – ich zitiere ihn –:
Natürlich kümmert uns die Ukraine nicht. Ein Nexit-Referendum ist aber bisher nicht möglich. Wir nutzen daher alle Möglichkeiten, um die Beziehungen zwischen den Niederlanden und der EU unter Druck zu setzen.
Dieses aktuelle Beispiel sollte die Befürworter von Volksentscheiden aufhorchen lassen.
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Man muss bessere Argumente haben! Das ist meistens günstig!)
Hinzu kommt, dass dieses Instrumentarium die Spaltung der Bevölkerung in politisch Aktive und in einen Teil, der sich nicht an Wahlen und Abstimmungen beteiligt, verschärfen könnte. Das sehe ich genau anders als Sie, Herr Korte. Ich möchte auf Michael Müller, den Regierenden Bürgermeister von Berlin – wohlgemerkt ein Sozialdemokrat, also jemand, der nicht unserem Lager angehört – verweisen, der gesagt hat, er befürchte, dass die „Instrumente der direkten Demokratie nicht ein Mehr an Demokratie für mehr Menschen bedeuten, sondern nur für einige wenige, die sich schon vorher gut artikulieren konnten“.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat auch drei Volksbegehren verloren! Deshalb! – Jan Korte [DIE LINKE]: Dazu habe ich gerade etwas gesagt!)
– Genau, Demokratie darf kein Elitenprojekt werden. Sie haben dieses Argument ebenfalls verwendet.
Diese Beispiele zeigen, dass genau das passieren würde, wenn wir heute Ihren Gesetzentwurf verabschieden würden. Ich wundere mich, dass gerade Sie das mit Ihrem Gesetzentwurf befördern wollen.
Der Vollständigkeit halber möchte ich auf zwei weitere Änderungen eingehen, die Sie mit Ihrem Gesetzentwurf einführen möchten: die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre
(Dr. Eva Högl [SPD]: Ja!)
und die Einführung einer Wahlberechtigung für Nichtdeutsche.
Das Wahlalter ist auf Bundesebene bislang an die Volljährigkeit geknüpft. Diese bringt unter anderem auch die volle Geschäftsfähigkeit mit sich. Für uns ist das eine nachvollziehbare Wahlrechtsvoraussetzung. Das Gleiche gilt für das Vorhandensein der deutschen Staatsbürgerschaft. Wer Staatsbürger mit allen sonstigen Rechten und Pflichten ist, dem steht auch das Wahlrecht zu. Wer unsere Staatsangehörigkeit noch nicht besitzt, aber auf Bundesebene wählen möchte, ist herzlich eingeladen, deutscher Staatsbürger zu werden. Wir freuen uns über jeden, der diesen Weg beschreitet und die Staatsangehörigkeit beantragt.
(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber nicht immer so einfach! Vor allem nicht unter eurer Regierung!)
Ich möchte eine letzte Bemerkung, lieber Özcan Mutlu, machen. In dieser Woche hat das Planspiel „Jugend und Parlament“ stattgefunden. Dabei übernehmen bekanntlich Jugendliche die Rolle von fiktiven Abgeordneten und haben die Aufgabe, Gesetzentwürfe durch das Gesetzgebungsverfahren zu begleiten. Auf der Tagesordnung stand unter anderem der Entwurf eines Gesetzes zur Einführung bundesweiter Volksabstimmungen. Dieser Gesetzentwurf weist erstaunliche Ähnlichkeiten mit Ihrem Gesetzentwurf auf. Auch unsere jungen Kollegen haben den Gesetzentwurf mit stichhaltigen Argumenten und deutlicher Mehrheit abgelehnt.
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Die sind schon von Ihnen versaut! Die Jugendlichen wurden schon von Ihnen versaut!)
Sie sehen, um die Abgeordneten von morgen müssen wir uns keine Sorgen machen. Im Gegenteil: Wir können stolz darauf sein, wie präzise und scharfsinnig dort diskutiert worden ist. Wir folgen unseren jugendlichen Vorbildern und lehnen Ihren Gesetzentwurf und Ihren Antrag ab.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Jedenfalls ist die Veranstaltung „Jugend und Parlament“ keine Einübung in Plebiszite, sondern in den anspruchsvollen Umgang mit Repräsentation.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Wie auch immer.
Ich möchte, bevor ich den nächsten Redner aufrufe, auf der Ehrentribüne den Präsidenten des georgischen Parlamentes und seine Delegation herzlich begrüßen.
(Beifall)
Lieber Kollege Usupaschwili, seien Sie uns in Berlin herzlich willkommen. Ich bedanke mich auch sehr für die guten, konstruktiven Gespräche im europäischen Geist, die wir gestern in verschiedener Besetzung miteinander geführt haben. Wir wünschen Ihnen für Ihren Besuch in Sachsen-Anhalt noch interessante Aufschlüsse und alles Gute für Ihr weiteres parlamentarisches Wirken.
(Beifall)
Nun erhält der Kollege Mutlu für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6907567 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 176 |
Tagesordnungspunkt | Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid |