Oswin VeithCDU/CSU - Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Castellucci, höhere Wahlbeteiligung erreicht und Wählerinnen und Wähler gewinnt man nicht durch permanente Verfassungsänderungen, sondern indem man den Wählerinnen und Wählern zuhört, sie ernst nimmt und ihnen zukunftsfähige Lösungen anbietet.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir diskutieren heute auf Wunsch der Linken wieder einmal den untauglichen Versuch, unsere Verfassung aus populistischen Gründen zu verändern. Das Manöver ist durchschaubar. Lieber Herr Kollege Korte, wer nichts zum eigentlichen Thema zu sagen hat, der muss so reden wie Sie. Ich kam mir stellenweise vor wie bei einer Rede zur Wiedereinführung einer sozialistischen Republik. Sie haben Ihr halbes Parteiprogramm untergebracht.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt nicht zurückbleiben! So schlimm war es nicht! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Da klatschen noch nicht mal die eigenen Leute!)
Seien Sie sicher: Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Ich hätte mir mehr Substanz an dieser Stelle gewünscht.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich konnte bis jetzt auch keine überzeugenden Argumente in Ihrer Begründung finden, die mich dazu bringen würden, einer so weitreichenden Verfassungsänderung zuzustimmen. Lassen Sie mich wenigstens zwei Punkte ansprechen, die exemplarisch für unsere unterschiedlichen Auffassungen stehen, bevor ich Gegenargumente in der Sache vortragen werde.
Erstens. Sie sprechen von „Zuschauerdemokratie“. Damit wollen Sie plakativ das Recht der Bürger auf die Parteien- und die Kandidatenwahl bei Bundestagswahlen geringschätzen. Ich kenne keinen Bürger, der sich mit der Wahl aus dem politischen Raum verabschiedet und seine Interessen und Überzeugungen nicht mehr artikuliert. Wer in kommunaler Verantwortung stand oder steht, weiß, dass die Stadtverordnetenversammlungen immer dann auseinanderbrechen, wenn es um Bebauungsplanänderungen geht und konkret das eigene Grundstück betroffen ist, wenn auch zuweilen nach dem Tagesordnungspunkt wieder alle die Sitzung verlassen. Aber es besteht ein hohes Interesse daran.
Der ständige Kontakt der Wähler mit ihren Repräsentanten ist Kern unserer repräsentativen Demokratie. Ich setze voraus, dass jeder hier im Hause bereits Bürgerbriefe erhalten und hoffentlich auch beantwortet hat, dass er Sprechstunden anbietet, dass ein Büro im Wahlkreis existiert, dass man zu Vereinen oder anderen Interessenvereinigungen eingeladen wird und dort Rede und Antwort steht. Ich gehe ebenfalls davon aus, dass Sie die Anliegen der Menschen, mit denen Sie sprechen, ernst nehmen und nach bestem Wissen und Gewissen bei Ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen. Ebenso gehört es dazu, die getroffenen Entscheidungen zu erklären und dafür einzustehen, auch wenn es manchmal unangenehm ist.
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, gehört zu unseren originären Aufgaben als Abgeordnete. Ich hielte es für grundfalsch, diese Pflicht durch Volksentscheidungen einfach wegzudelegieren, gerade wenn es kontrovers wird. Wir drücken uns nicht vor der Verantwortung. Wir verstecken uns nicht hinter Plebisziten. Ich habe keine Angst vor Volkes Stimme. Das erwarte ich auch von Ihnen.
Zweitens. Sie sprechen davon, Betroffene zu Beteiligten zu machen, ebenfalls eine schöne Phrase, die eine Aktivierung der sogenannten Nichtwähler über Sachthemen befördern soll. Ihre Begründung ist angesichts der Tragweite und der unabsehbaren Folgen der geforderten Verfassungsveränderung doch mehr von Populismus, von verfassungstheoretischer Träumerei und verfassungssinnstiftender Ferne geprägt,
(Beifall bei der CDU/CSU)
ganz im Gegensatz zur Demokratie des Grundgesetzes, die uns fast 70 Jahre gute Dienste geleistet hat und meiner Meinung nach so realistisch, so aktuell und so populär wie eh und je ist. Es gibt daher keinen sachlichen Grund, dem, was unsere Verfassungsväter 1949 niedergeschrieben haben, zu entsagen
(Dr. Eva Högl [SPD]: Und Mütter!)
und deren großes Zukunftswerk permanent umzukrempeln. Volksentscheide oder Volksabstimmungen sind in der Regel Sachentscheidungen zu einer bestimmten politischen Angelegenheit, üblicherweise begrenzt auf eine konkrete Fragestellung, welche mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten ist. Genau darin liegt auch die Schwäche dieses Elements der Entscheidungsfindung. Die Komplexität der Entscheidungen auf Bundesebene hat in den letzten Jahren drastisch zugenommen, sodass es naiv wäre, zu glauben, man könnte derartige Fragen seriöserweise mit einem klaren Ja oder Nein beantworten.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Machen wir ja auch nicht!)
Ich möchte daran erinnern, dass, bevor wir hier über ein Gesetz abstimmen, welches weitreichende Folgen für die Bevölkerung und unser Land hat, wir jedes mögliche Risiko, jede mögliche Folge analysieren und auch debattieren. Die Beratungen erfolgen in einem komplexen Verfahren. Nur so kann man Gesetzentwürfen dieser Art auch gerecht werden. Es werden Experten befragt und auch angehört. Mit deren jeweiligen Expertisen setzen wir uns oft wochen-, wenn nicht gar monatelang auseinander. Oftmals einigen wir uns dabei auch auf einen besseren Kompromiss. Dieses wenn auch manchmal langwierige Verfahren wäre im Falle einer Volksabstimmung – so meine ich – nicht durchführbar. Vielmehr müsste man, will man einen Volksentscheid durchführen, das betroffene Sachthema unangemessen verkürzen. Dies geht zulasten einer konkreten Bewertung der Folgen.
Spricht man von einem Mehr unmittelbarer Mitbestimmung auf Bundesebene, muss man fairerweise auch darüber sprechen, dass Volksentscheide in der Regel emotional aufgeladen sind und damit gut organisierte finanz- und kampagnenstarke Interessenvertretungen bei der Meinungsbildung im Vorteil sind. Das führt letztendlich zu einer Verzerrung des scheinbar reinen Volksbildes und damit zu einem Weniger an Demokratie und schlussendlich zu weniger Gerechtigkeit.
(Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])
Auch das gehört zur Wahrheit. Die Folge wäre, dass nicht sachbezogene Gesichtspunkte Einfluss auf die Entscheidung nehmen. Und das, so meine ich, kann nicht gewollt sein.
Die Wahrheit ist, dass die heute zu treffenden Entscheidungen immer in einem Graubereich zwischen einem klaren Ja und einem klaren Nein liegen. Einer solchen Situation kann eine Volksbefragung niemals gänzlich gerecht werden. Hinzu kommt, dass in vielen Situationen schnell und entschlossen reagiert werden muss. Neben Schnelligkeit muss Politik auch die notwendige Weitsicht mitbringen. Bei Volksentscheiden – das wissen wir – besteht immer auch die Gefahr einer Emotionalisierung, sodass keine Chance besteht, mit rationalen Argumenten zu überzeugen.
Menschen sollen und dürfen politische Verantwortung übernehmen, und es gibt genügend Möglichkeiten, sich an der Meinungsbildung zu beteiligen. Auf der Suche nach den besten Lösungen sind die Bürgerinnen und Bürger natürlich aufgefordert, sich einzubringen, und das tun sie zum Glück auch. Bürger können sich an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages wenden. Jeden Monat gehen dort Hunderte Eingaben ein. Zur Wahrheit gehört auch: Petitionen waren in der Vergangenheit oft der ausschlaggebende Impuls für Gesetzentwürfe von uns.
Churchill hat einmal formuliert:
Demokratie ist die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute zu beugen.
In diesem Sinne halte ich es für richtig, sich unseren Ansichten zu beugen
(Heiterkeit bei der LINKEN – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Gelegentlich! Aber nur gelegentlich! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Ich finde das eine gute Idee!)
und den Gesetzentwurf abzulehnen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin Halina Wawzyniak.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6907623 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 176 |
Tagesordnungspunkt | Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid |