Alexander HoffmannCDU/CSU - Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Herr Korte, Ihre Rede war eigentlich ein Ostergedicht zu Weihnachten. Sie haben nicht erklärt, woher das Geld für diese fünf Steckdosen kommen soll. Sie haben auch nicht erklärt, wer es bezahlt, wenn Sie den Mindestlohn erhöhen würden. Aber das Problem Ihres Beispiels war ein ganz anderes. Es ist nämlich so, dass Sachaufwandsträger für diese Schule wahrscheinlich auch in Sachsen-Anhalt die Gemeinde ist. Die Gemeinde bekommt die Finanzausstattung vom Land.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Dazu habe ich doch gerade was gesagt!)
Es gibt in Sachsen-Anhalt Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide. Deswegen verstehe ich nicht, warum das Ihr Argument für ein solches Instrument auf Bundesebene ist. Ich gebe Ihnen einen Tipp: Initiieren Sie doch einen solchen Volksentscheid in Sachsen-Anhalt. Dann wird es vielleicht etwas mit diesen fünf Steckdosen.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Berechtigterweise müssen wir uns in diesem Haus die Frage stellen: Wie wecken wir bei den Bürgerinnen und Bürgern das Interesse für Politik? Wie steigern wir die Wahlbeteiligung? – Das ist richtig, Herr Castellucci. Wir müssen uns auch die Fragen stellen: Wie vermeiden wir, dass die Menschen im Land das Gefühl haben: „Die da oben entscheiden sowieso über unsere Köpfe hinweg“? Wie gelingt es uns, dafür zu sorgen, dass sich die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes in den politischen Entscheidungen wiederfinden? Die spannende Frage ist aber: Ermöglicht das der vorliegende Vorschlag? – Herr Castellucci, das war ja eigentlich Ihr Ansatz; aber auch Sie sind eine Antwort auf diese Frage schuldig geblieben. Auch Sie haben manche Bundesländer benannt und die niedrige Wahlbeteiligung dort beklagt. Aber in all den Bundesländern, die Sie genannt haben, gibt es plebiszitäre Elemente.
Ich möchte heute in meiner Rede auf die genauen Zahlen im Hinblick auf plebiszitäre Erfahrungen in Deutschland eingehen. Ich habe als Beispiel Bayern genommen. Sie wissen, in Bayern gibt es Volksbegehren und Volksentscheide schon seit 1946. Seither fanden 20 Volksbegehren und 19 Volksentscheide statt. Interessant sind die Eintragungszahlen bei Volksbegehren. Sie bewegen sich zwischen 2,3 und 17,2 Prozent der Stimmberechtigten. Nur 8 dieser 20 Volksbegehren wurden angenommen mit Erreichen des Eintragungsquorums von in Bayern 10 Prozent. Wenn man sich die Chronologie über die Jahre hinweg anschaut, dann muss man feststellen, dass es in den Jahren 1967 bis 1977 sieben Volksbegehren gab, von 1990 bis 2000 sechs und von 2003 bis 2014, also in elf Jahren, sieben. Das heißt, auch hier stellt man nicht fest, dass es zu einer Intensivierung, zu einer Steigerung der Anzahl kam, die – ich sage es einmal so – mit der Steigerung auch der medialen Diskussion über Politikverdrossenheit einhergeht.
Auch die Wahlbeteiligung gibt zu denken. Bei Volksentscheiden liegt sie in Bayern zwischen 23,3 Prozent und 63,2 Prozent, je nach Termin. Die Wahlbeteiligung ist nämlich dann hoch, wenn wir einen Volksentscheid mit einer Landtagswahl oder einer Bundestagswahl verbinden. Das heißt, die plebiszitären Elemente haben aus sich heraus nicht die Kraft, die Leute an die Urne zu bringen.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist es!)
Meine Damen, meine Herren, es gibt zwei Erklärungen für diese Situation in Bayern; Sie können sie sich aussuchen. Erklärung Nummer eins ist: Bayern ist das gelobte Land. Dort ist alles so gut, dass die Menschen keinen Bedarf sehen, etwas zu ändern.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das sagt Herr Seehofer! – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das überzeugt mich sofort!)
So gut wie ich Sie kenne, wird das aber nicht Ihr Argument sein. Dann kann es eben nur das zweite Argument sein: Plebiszitäre Elemente alleine genügen nicht, die Menschen an die Wahlurnen zu bringen.
(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Beides stimmt! – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist nicht mein Argument! Das ist Ihr Argument!)
Ähnlich sind die Erfahrungen auf kommunaler Ebene; auch das will ich an dieser Stelle einflechten. Ich habe drei Jahre das Wahlamt einer mittelgroßen Stadt in Bayern mit circa 130 000 Einwohnern geleitet. Die Wahlbeteiligung lag dort regelmäßig unter 20 Prozent. Das Zustimmungsquorum von 10 Prozent wurde regelmäßig nicht erreicht. Das beschäftigt mich deswegen bis heute, weil es doch gerade auf kommunaler Ebene um Fragen geht, die die Bürgerinnen und Bürger beschäftigen müssten. Es findet eine unmittelbare Berührung statt, weil es zum Beispiel um Entscheidungen wie den Bau einer Straßenbahn oder die Bebauung eines Parkgeländes geht. Auch mit solchen Fragen sind die Menschen dort leider nicht zu motivieren gewesen. Demgegenüber fielen in dieser Stadt mit etwa 130 000 Einwohnern regelmäßig Kosten von 100 000 Euro pro Volksentscheid an.
Trotzdem glaube ich, dass wir uns auf Bundesebene durchaus Gedanken machen müssen. Aber ich sage Ihnen: Einige Fehler dürfen uns nach meiner Einschätzung dabei nicht passieren. Wir brauchen politische Stabilität. Wir müssen vermeiden, dass solche Instrumente der politischen Stimmung unterworfen werden. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, wir hätten im August 2015 eine Volksabstimmung zur Frage der Schließung der Grenzen durchgeführt, und stellen Sie sich eine Volksabstimmung über dieselbe Frage im Januar 2016 vor. Damit uns das nicht passiert – es ist angeklungen –, brauchen wir Quoren.
Wenn man sich Ihren Gesetzentwurf anschaut, stellt man fest: Es besteht vor allem eine Gefahr, nämlich die, dass Minderheiten Mehrheiten regieren. Da ich Ihre sozialistische Kampfrede von vorhin noch in Erinnerung habe – Herr Korte, seien Sie mir nicht böse –, muss ich sagen: Bewahre uns Gott davor!
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Was war denn daran sozialistisch?)
Nach Ihrer Auffassung soll ein Volksbegehren zustande kommen, wenn sich mindestens 1 Million der Wahlberechtigten innerhalb von neun Monaten einträgt. 1 Million, das klingt nach wahnsinnig viel. Wir haben in Deutschland circa 64 Millionen Stimmberechtigte; das sind also gerade einmal 1,56 Prozent. Hätten Sie die Zahl 1,56 Prozent in Ihren Gesetzentwurf geschrieben, wäre jedem beim ersten Durchlesen klar geworden, was für ein Instrument Sie hier etablieren wollen, nämlich eines, das dazu führt, dass am Schluss die Minderheit die Mehrheit regiert.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Entschieden wird durch Volksentscheid! Das ist etwas ganz anderes! Das dürfen Sie nicht durcheinanderbringen!)
Lassen Sie mich am Schluss noch etwas zum Wahlrecht ausführen. Sie wollen das Wahlrecht von der deutschen Staatsangehörigkeit trennen.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja! Dazu erzähle ich Ihnen nachher noch einmal etwas!)
Ich warne deshalb davor, weil wir in Deutschland einen untrennbaren Zusammenhang zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und den staatsbürgerschaftlichen Rechten haben.
(Dr. Eva Högl [SPD]: Bei den Kommunalwahlen nicht!)
Den staatsbürgerlichen Rechten wie dem Wahlrecht stehen staatsbürgerliche Pflichten gegenüber. Herr Ostermann hat es vorhin schon herausgearbeitet: Welches Bestreben sollte denn noch jemand haben, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen, wenn Sie ihm am Schluss eines der wesentlichen staatsbürgerlichen Rechte, nämlich das Wahlrecht, auf dem Silbertablett präsentieren? Es ist für mich – das sage ich auch ganz offen – nicht einzusehen, dass Sie, wenn Sie das schon ändern wollen, hier nicht auf das Kriterium der Gegenseitigkeit bestehen.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das erzähle ich Ihnen heute Abend!)
Das müsste doch mindestens davon abhängig gemacht werden, dass unsere deutschen Mitbürger im Ausland auch in den Ländern wählen dürfen, aus denen die Damen und Herren stammen, die mit ausländischer Staatsbürgerschaft bei uns wählen dürfen.
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Kollege Hoffmann, TOP 15 nachher!)
Mit genau diesem Eindruck darf ich schließen. Sie haben uns einen untauglichen Vorschlag präsentiert. Er macht nichts besser, sondern sehr vieles schlechter, und deswegen werden wir ihm nicht zustimmen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Als Nächstes spricht die Kollegin Susann Rüthrich, SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zurück zur Sachlichkeit!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6907851 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 176 |
Tagesordnungspunkt | Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid |