09.06.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 176 / Tagesordnungspunkt 4

Susann RüthrichSPD - Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 73,1 Prozent der Deutschen stimmen folgender Aussage zu: Die demokratischen Parteien zerreden alles und lösen die Probleme nicht. – Noch unangenehmer für uns ist, dass 75,6 Prozent folgendem Satz zustimmen: Politiker nehmen sich mehr Rechte heraus als normale Bürger.

Wir könnten jetzt sagen: Das ist doch gar nicht so. Das erlebe ich ganz anders; so sind wir nicht. – Das nützt nur leider nichts. In der Sozialpsychologie gibt es das sogenannten Thomas-Theorem, das besagt: Jedes Handeln hat reale Folgen, auch wenn die Einschätzung, die dazu geführt hat, von einer anderen Ausgangssituation ausgegangen ist. – Die Sichtweise vieler ist nun einmal, dass sie sich nicht mitgenommen und zu wenig beteiligt fühlen. Nicht wenige stehen unserer Demokratie skeptisch gegenüber, und das wirkt. Das erleben wir an vielen Stellen. Dabei meint Demokratie doch: Diejenigen, die von einer Entscheidung betroffen sind, müssen auch das Ergebnis beeinflussen können. – Das ist der Anspruch, dem wir gerecht werden müssen, und das geht weit über die Bundesgesetzgebung hinaus; denn Demokratie findet in allen Lebensbereichen statt.

Damit bin ich bei den vorliegenden Vorschlägen der Linken. Ich muss sagen: Der Titel Ihres Antrages, „Demokratie für alle“, löst in meinem Kopf ein anderes Bild aus als das, was ich in Ihrem Antrag finde. Ich hätte erwartet, dass Demokratie umfassend beschrieben wird. Einige Beispiele: In der Familie heißt Demokratie, dass der Papa eben nicht mehr automatisch das größte Stück vom Kuchen kriegt, sondern dass die Entscheidungen zum Besten für alle sind und nicht immer nur für eine oder für einen. Es geht weiter in den Kitas, Schulen, Betrieben, Hochschulen, Pflegeheimen usw. Wer entscheidet da über was in welchem Rahmen? Wie wird Mitbestimmung gelebt? Als formaler Akt, mit Widerwillen oder aus Überzeugung? In den Kommunen, in den Bundesländern, im Bund und in Europa – überall da muss Demokratie mit Leben gefüllt werden. Warum nennen Sie Ihren Antrag also „Demokratie für alle“, wenn Sie nur die Bundesgesetzgebung einbeziehen?

Aber gut, schauen wir uns einmal die Bundesebene an. Wir setzen hier Rahmenbedingungen, soweit wir als Gesetzgeber dafür zuständig sind. Das alles wäre aber eine leere Hülle, wenn es bei diesen Rahmenbedingungen bliebe; die Menschen müssen diesen Rahmen mit Leben füllen können, und zwar Tag für Tag. Damit sie das können, braucht es einige Voraussetzungen. Das ist nichts, was einem einfach in die Wiege gelegt wird. Aushandeln, Kompromisse finden – das muss erlernt und erlebt werden. Viele Menschen engagieren sich genau dafür und kümmern sich darum, dass das passiert. Genau die müssen wir stärken. Wir müssen auf Augenhöhe mit ihnen reden und dann eben auch den Rahmen für die demokratische Beteiligung zur Verfügung stellen.

Aber auch das reicht nicht; denn es braucht auch Bildung, Bildung, Bildung. Damit ist nicht nur das Lernen mit dem Kopf gemeint; Begreifen ist etwas Aktives. Die Menschen müssen den demokratischen Rahmen eben auch füllen können und vor allem füllen wollen. Damit das klappt, muss die demokratische Bildung weit über Institutionenkunde hinausgehen. Im Schulunterricht beispielsweise lernt man, was Bundestag und Bundesrat machen und wie Wahlen funktionieren. Das ist alles gut und richtig. Wenn aber das Recht, zu wählen, noch drei Jahre entfernt ist, weil es an das Erreichen des 18. Lebensjahrs gebunden ist, dann kann kaum ein Mensch das Gelernte mit sich in Verbindung bringen. Demokratische Bildung muss also im täglichen Leben erfahrbar sein.

Was aber tun wir, um die demokratisch eingestellten Menschen zu stärken? Nun, mit „Demokratie leben!“, dem Bundesprogramm unserer Familienministerin Manuela Schwesig, tun wir genau das: die engagierten Demokratinnen und Demokraten stärken. In Modellprojekten können wir im kleinen Rahmen ausprobieren, was funktioniert. Aktuell gibt es 218 Lokale Partnerschaften für Demokratie. Dort unterstützen wir Kommunen dabei, Demokratie erlebbar zu machen, vom Jugendprojektefonds bis hin zu Netzwerkkonferenzen. In den Beratungsnetzwerken werden alle Bundesländer dabei unterstützt, Demokratieberatung in ihrem Land zu vernetzen, zu qualifizieren und flächendeckend anzubieten. Jedes Land hat dafür ein Demokratieberatungskonzept entwickelt. Daran waren viele zivilgesellschaftliche Akteure beteiligt. Alle finden sich jetzt in den gemeinsam entwickelten Ansätzen wieder. Das ist Demokratie! Auf Bundesebene fördern wir bundesweite Träger von Fortbildung und Beratung bis hin zu Vernetzung und Empowerment.

In diesem Jahr können wir allein für dieses Programm 50 Millionen Euro zur Verfügung stellen; das ist nicht wenig.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das ein Argument dafür oder dagegen?)

Jedoch übersteigt die Zahl der Anfragen an die Träger oft das Leistbare. Außerdem: Was in den Modellen funktioniert, wissen wir mittlerweile ganz gut. Wir müssen das Gute aber auch woanders anbieten können und auf stabile Füße stellen. Oder: Was in Kommune A passiert, wollen wir auch in Kommune B möglich machen. Kurz: Wir müssen in die Breite wirken. Das kann nicht allein das Programm „Demokratie leben!“ leisten; das ist klar. Aber was wir können, ist, überall den Anreiz zu geben, das Rad, das nun schon einmal erfunden ist, auch zu nutzen. Zudem beweisen wir mit diesem Programm: Die Aktiven für das demokratische Zusammenleben, ob in der Gemeinde, im Land, im Bund, sind nicht alleine. Wir stehen an ihrer Seite. Ab dem kommenden Haushaltsjahr soll deswegen das Programm „Demokratie leben!“ statt mit 50 Millionen Euro mit 100 Millionen Euro ausgestattet werden. Ich gehe davon aus, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Sie das im Herbst im zu beschließenden Haushalt mittragen werden.

Aber auch mit der Verdopplung dieser Mittel ist es aus meiner Sicht noch nicht getan. Das Programm „Demokratie leben!“ läuft über fünf Jahre. Das ist eine lange Zeit; das freut mich auch. Aber auch diese fünf Jahre sind endlich. Diejenigen, die sich Tag für Tag für die Demokratie engagieren, wissen, dass sie eine Daueraufgabe haben, eine Aufgabe, die nie fertig ist. Auch wir wissen das. Eine Forderung im NSU-Abschlussbericht war – das haben wir alle bestätigt – eine langfristige Absicherung der demokratischen Arbeit. Genau das müssen wir tun. Es muss für uns Demokratinnen und Demokraten eine Selbstverständlichkeit sein, dass wir denen, die die Demokratie außerhalb des Parlaments mit Leben füllen, verlässlich beistehen. Deswegen lassen Sie uns die gesetzliche Grundlage schaffen, damit die Demokratieförderung eine Zukunft hat; denn Daueraufgaben müssen dauerhaft gefördert werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Barbara Woltmann, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6907852
Wahlperiode 18
Sitzung 176
Tagesordnungspunkt Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheid
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