09.06.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 176 / Tagesordnungspunkt 7

Kersten SteinkeDIE LINKE - Tätigkeitsbericht des Petitionsausschusses 2015

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Ausschussdienstes! Ich will zunächst darauf aufmerksam machen, dass hinter den vielen Sammelübersichten, die wir gerade beschlossen haben, ganz viel Arbeit der Mitglieder des Petitionsausschusses, aber auch der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter steckt. Dafür ein herzliches Dankeschön von dieser Stelle aus!

(Beifall im ganzen Hause)

Ich möchte im Vorfeld noch erwähnen, dass ich über die Leere auf der Regierungsbank bzw. darüber, wie wenig die Regierung die Arbeit des Petitionsausschusses interessiert, sehr erstaunt bin. Ich hoffe, dass es beim nächsten Mal besser wird; denn auch im Berichtsjahr 2015 haben sich erneut viele Bürgerinnen und Bürger an den Petitionsausschuss gewandt. Auch im vergangenen Jahr war der Petitionsausschuss der Seismograf für die aktuellen Sorgen und Nöte der Menschen.

13 137 Petitionen gingen beim Petitionsausschuss ein. Das waren durchschnittlich 52 Zuschriften pro Tag. Das klingt nach viel. Dennoch muss man an dieser Stelle sagen: So wenige Petitionen erreichten uns das letzte Mal 1988. Da stellt sich natürlich die Frage: Bedeuten weniger Petitionen auch weniger Probleme? Wenn man allerdings die Stimmung im Land sieht, dann muss man sagen, dass das eher unwahrscheinlich ist. Die Gründe für diesen Rückgang können sehr vielfältig sein, zum Beispiel die einfachere Mitzeichnung einer Petition auf unserem Internetportal, anstatt eine Petition selber einzureichen, oder die Konkurrenz mit privaten Internetportalen oder das nahende Ende der Legislaturperiode. Aber die Gründe bedürfen sicherlich einer genauen Analyse.

Von den insgesamt eingereichten 13 137 Petitionen gingen 4 031 elektronisch über unser Internetportal ein; das sind 30 Prozent. Abschließend behandelt hat der Ausschuss im Berichtsjahr 14 765 Eingaben, wobei wieder Überhänge aus dem Vorjahr dabei waren. Die meisten Eingaben entfielen wie in jedem Jahr mit knapp 20 Prozent der Gesamteingaben auf das Ressort Arbeit und Soziales.

Wenn es um Beruf und Einkommen, um gerechte Rente und angemessene Hilfe geht, kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen Staat und Bürgern. Oft geht es in den Petitionen um die Grundsicherung für Arbeitsuchende, Regelbedarfsätze, Mindestlohn, Leiharbeit und Fragen betreffend die Rentenversicherung. Aber auch die Bescheinigung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Anerkennung einer Berufskrankheit fällt in dieses Ressort, wie das folgende Beispiel zeigt.

Ein Petent, der mehr als sechs Jahre in den 60er- und 70er-Jahren mit einem hochgiftigen Lösungsmittel in hoher Dosis und ohne Schutzmaßnahmen Reinigungs- und Entfettungsarbeiten durchgeführt hatte, litt unter einer Krebserkrankung der Niere sowie unter Hauterkrankungen. Seine Berufsgenossenschaft war nicht gewillt, die Erkrankungen trotz mehrerer ärztlicher Gutachten als Berufskrankheiten anzuerkennen. Es bedurfte eines zähen dreijährigen Petitionsverfahrens mit vielen Gutachten und Stellungnahmen, bis der Petent endlich zu seinem Recht kam. Hier zeigt sich, dass die Hartnäckigkeit des Petitionsausschusses oft zum Erfolg führt.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Petent bedankte sich beim Petitionsausschuss und schrieb unter anderem: „Ohne Ihre Hilfe wären die Fehler, die von der Berufsgenossenschaft am Anfang des Verfahrens gemacht wurden, nicht korrigiert worden.“

Auf dem zweiten Platz der Bundesressorts mit den meisten Eingaben folgt das Bundesministerium des Innern mit 1 847 Petitionen. Hier gibt es eine wesentliche Veränderung im Vergleich zu den Vorjahren. Mit 932 Eingaben entfielen mehr als die Hälfte der Petitionen auf den Bereich Aufenthalts- und Asylrecht.

In der ersten Jahreshälfte bewegten die Bürger vor allem die zahlreichen Schiffsunglücke, bei denen, wie im April 2015 vor der libyschen Küste, Hunderte von Menschen im Mittelmeer ertranken. Ab September begannen dann die Zuschriften derjenigen zuzunehmen, die sich aus unterschiedlichsten Gründen Sorgen um den Anstieg der Flüchtlingszahlen, die angemessene Unterkunft und die Versorgung der Flüchtlinge oder um die Abschiebepraxis machten.

Neben seinen 25 regulären Sitzungen im Jahr 2015 hat der Ausschuss 23 Berichterstattergespräche mit einzelnen Ministerien geführt, um Lösungen für schwierige Fälle zu finden. Hier wurden beispielsweise Visaangelegenheiten, die gesellschaftliche Anerkennung und Rehabilitation ehemaliger Heimkinder und die Regelungen zur Altersrente thematisiert.

Sehr gut besucht und nahe am Bürger sind die öffentlichen Sitzungen des Ausschusses, die in diesem Jahr unter anderem zu folgenden Themen stattfanden: Exportverbot für Kriegswaffen und sonstige Rüstungsgüter mit über 94 000 Unterstützerinnen und Unterstützern; es ging um eine angemessene Vergütung für Pflegekräfte mit über 60 000 Unterschriften oder um die Kostenerstattung für Medikamente auf Cannabisbasis durch die GKV mit über 48 000 Unterschriften; es ging aber auch um die Einrichtung eines oder einer Kinderbeauftragten im Deutschen Bundestag mit über 107 000 Unterstützerinnen und Unterstützern und darum, die Personalbemessung in Krankenhäusern gesetzlich zu regeln, mit über 194 000 Unterschriften.

Die jeweiligen Petenten erläuterten im Beisein von Vertretern der zuständigen Ministerien ihr Anliegen den Abgeordneten sowie einer breiten Öffentlichkeit, und die Abgeordneten konnten so ihr Wissen zu den genannten Petitionen vertiefen und in die Entscheidungsfindung einbeziehen. Diese öffentlichen Sitzungen wurden durch das Parlamentsfernsehen und im Web-TV live übertragen. Alle Mitschnitte sind außerdem jederzeit über den Internetauftritt des Deutschen Bundestages abrufbar.

Die Abgeordneten im Petitionsausschuss nehmen ihre Arbeit sehr ernst; denn das Petitionsrecht ist ein wichtiger Bestandteil unserer Demokratie. Mit großem Engagement ringen wir um die bestmögliche Lösung für jede Petentin und jeden Petenten und praktizieren dabei in vielen Fällen eine über Fraktionsgrenzen hinausgehende konstruktive Zusammenarbeit. Aber natürlich gibt es zu manchem Thema unterschiedliche Sichtweisen und somit auch unterschiedliche Voten der Fraktionen.

Wenn auch zu Beginn jeder Wahlperiode der Run auf die Mitgliedschaft im Petitionsausschuss eher gemäßigt ist, will ich ausdrücklich sagen, dass nur ein Petitionsausschussmitglied die Wirkung von Petitionen und die Bedeutung dieses Gremiums wirklich einschätzen kann.

(Beifall im ganzen Hause)

Um diese Bedeutung und Wirkung weiter zu erhöhen und den Bürgerinnen und Bürgern die Chance auf demokratische Teilhabe zu eröffnen, bitte ich Sie, auch in Ihren Wahlkreisen für Petitionen beim Deutschen Bundestag zu werben.

Der Petitionsausschuss hat 2015 mittlerweile den dritten Preis für seine Internetplattform erhalten. Nach der Auszeichnung mit dem Politikaward 2008 und der ­BIENE der „Aktion Mensch“ im Jahr 2010 für den besonders barrierefreien Zugang ist der Petitionsausschuss 2015 als Preisträger im bundesweiten Innovationswettbewerb „Ausgezeichnete Orte im Land der ­Ideen“ für die Einbindung des neuen Personalausweises auf seinem Webportal geehrt worden.

(Beifall im ganzen Hause)

Damit ist es möglich, sich mit dem neuen Personalausweis im Portal zu registrieren und online eine Petition einzureichen.

Nicht zuletzt aufgrund solcher Innovationen ist unser Internetportal zu einem Aushängeschild des Ausschusses geworden. Es erlaubt interessierten Menschen, sich zusammenzutun, um sich gemeinsam für ein Anliegen starkzumachen. Diese Möglichkeit wird rege genutzt. Ich freue mich sehr, dass Ende 2015 auf unserem Internetportal fast 2 Millionen Nutzerinnen und Nutzer registriert waren. Mittlerweile sind es über 2 Millionen Nutzerinnen und Nutzer.

Auf der Internetseite des Petitionsausschusses wurden im vergangenen Jahr 384 Petitionen veröffentlicht und mit fast 500 000 Mitzeichnungen unterstützt. Unser Internetportal bleibt schon wie im vergangenen Jahr klarer Spitzenreiter, was die Seitenaufrufe des Internetangebotes des Deutschen Bundestages angeht.

Dennoch muss auch gesagt werden, dass die Gesamtzahl der online eingereichten Petitionen gesunken ist. Einer der Gründe könnte sein, dass sich der Ausschuss seit einiger Zeit in einer Art Konkurrenzsituation sieht. Sogenannte Petitionsplattformen von privaten Anbietern sind nicht zuletzt durch die sozialen Netzwerke äußerst populär geworden und werden auch regelmäßig in den Medien erwähnt. Natürlich ist es immer gut, wenn sich Bürgerinnen und Bürger engagieren. Doch, so weiß ich aus Gesprächen mit Petenten, ist vielen der Unterschied zu unserer Petitionsplattform nicht klar. Hier rufe auch ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf, für Klarheit und Aufklärung in Ihren Wahlkreisen zu sorgen.

Nur beim Deutschen Bundestag ist die Petition gemäß dem Grundgesetzartikel 17 mit einer Dreifachgarantie ausgestattet, nämlich für die offizielle Bestätigung und Entgegennahme, die sorgfältige Prüfung des Anliegens und eine demokratische abschließende Entscheidung, die den Petenten ebenfalls mitgeteilt wird. Alle diese Schritte finden unabhängig von der Zahl der Unterstützerinnen und Unterstützer statt; denn der Hauptteil unserer Arbeit sind und bleiben die privaten Sorgen und Nöte des einzelnen Bürgers.

Die Bearbeitung von persönlichen Bitten und Einzelschicksalen, wie etwa die falsch berechnete Rente, der nicht finanzierte Rollstuhl, das abgelehnte Besuchervisum, sind wichtig; denn dies alles können für den Einzelnen existenzielle Probleme sein. Sie zeigen auf, wo Politik nicht funktioniert. Genau hier ist das Engagement aller Ausschussmitglieder gefragt, Abhilfe zu schaffen und Lösungen zu finden.

Es kommt beim Lesen von Petitionen auch manchmal vor, dass wir schmunzeln müssen. Als zum Beispiel ein elfjähriger Junge im November des vergangenen Jahres anregte, den Nikolaustag am 6. Dezember zum bundeseinheitlichen Feiertag zu erklären, wollten wir zwar gern helfen, aber das Anliegen liegt nicht in der Zuständigkeit des Bundes, sondern ist Ländersache. Erfreulich ist allerdings, dass bereits ein Elfjähriger unseren Ausschuss kennt und von seinem demokratischen Recht des Einreichens einer Petition Gebrauch macht. Das stimmt mich zuversichtlich, noch dazu, weil die Petition online einging.

(Beifall im ganzen Hause)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, abschließend möchte ich mich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes, der Fraktionen und der Abgeordneten, bei den Abgeordneten im Petitionsausschuss, dem Unterabteilungsleiter Herrn Dr. Paschmanns und den Referatsleiterinnen und Referatsleitern bedanken. Mein Dank geht aber auch an den inzwischen mit anderen Aufgaben betreuten ehemaligen Leiter des Petitionsausschussdienstes, Herrn Dr. Schotten, der für jede neue Idee ein offenes Ohr hatte und sachlich ausgleichend zwischen den Fraktionen managte.

Darüber hinaus möchte ich dem Sekretär unseres Ausschusses, sozusagen meiner rechten Hand im Ausschussdienst, Herrn Finger, für seine langjährige Hilfe und Unterstützung danken.

(Beifall im ganzen Hause)

Ihnen, lieber Herr Finger, wünsche ich im bevorstehenden Ruhestand alles Gute und viel Zeit für die schönen Dinge im Leben. Vielleicht sehnen Sie sich auch bald nach uns. Ich hoffe, dass Sie die nächste Aussprache zum Tätigkeitsbericht des Petitionsausschusses auf Phoenix im Fernsehen oder auf der Besuchertribüne verfolgen. Vielleicht wird sie dann an einem Donnerstag um 9 Uhr beginnen.

Lassen Sie mich abschließen mit den Worten eines amerikanischen Schriftstellers, der einmal sagte:

Erfolg ist die Summe kleiner Anstrengungen, die man jeden Tag aufs Neue tut.

Lassen Sie uns gemeinsam diese kleinen und großen Anstrengungen im Sinne der Petentinnen und Petenten weiterhin unternehmen. Ich wünsche mir eine weitere gute Zusammenarbeit.

Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)

Ganz herzlichen Dank, Frau Steinke. – Als nächste Rednerin hat Christel Voßbeck-Kayser das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6908046
Wahlperiode 18
Sitzung 176
Tagesordnungspunkt Tätigkeitsbericht des Petitionsausschusses 2015
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