09.06.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 176 / Zusatzpunkt 4

Helmut BrandtCDU/CSU - Reform der Wahl für die obersten Bundesgerichte

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuhörer und Zuschauer! Wir befassen uns heute – Frau Keul hat es gerade vorgestellt – mit einem Antrag der Grünen, der aus durchsichtigen Gründen, denke ich, heute als Zusatzpunkt auf die Tagesordnung gesetzt wurde; denn im Grunde genommen ging es Ihnen, glaube ich, gar nicht so sehr um das, was Sie hier vorgetragen haben, sondern eher um ein Verfahren, das derzeit beim Bundesverfassungsgericht schwebt und das eine von Ihnen unterstützte Kandidatin, die bei der Bundesrichterwahl 2015 nicht gewählt wurde, angestrengt hat.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist absurd! Das ist wirklich absurd, Herr Kollege!)

– Da regen Sie sich zu Recht oder Unrecht auf. Ich sehe an Ihrer Reaktion, dass ich nicht ganz danebenliege.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das ist wirklich absurd!)

Dieses von jener Kandidatin angestrengte Verfahren steht demnächst an. Ich erwarte schon, dass das Bundesverfassungsgericht den einen oder anderen Hinweis gibt. Es hätte also keiner Eile bedurft, diesen von Ihnen eingebrachten Antrag zu debattieren.

Herr Kollege, erlauben Sie eine Frage von Frau Keul?

Bitte schön.

Gut.

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie das zulassen. – Ich muss sagen: Ich bin, ehrlich gesagt, erstaunt. Ich glaube, ich habe sachlich unser Anliegen vorgetragen, und würde Sie bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir an diesen Vorschlägen seit über einem Jahr arbeiten, mehrere Fachgespräche in unserer Fraktion dazu durchgeführt haben, mit Richtern, mit Fachleuten gesprochen haben und all dies stattgefunden hat, bevor die Verfassungsbeschwerde, über die Sie jetzt sprechen, überhaupt eingereicht worden ist.

Zum einen: Auch ein sachlicher Vortrag kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass vielleicht ein anderer Hintergrund besteht. Zum anderen: Möglicherweise ist es so, dass Sie schon länger darüber nachdenken. Aber der Zeitpunkt, an dem dieser Zusatzpunkt auf die Tagesordnung kommt, nämlich heute, ist aus den Gründen gewählt, die ich dargestellt habe.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die von dieser Kandidatin vorgetragene Kritik soll im Grunde genommen durch die Reformüberlegungen der Grünen, denke ich, unterstützt werden. Es gibt ja auch ein weiteres Indiz, Frau Keul: Die Justizministerkonferenz, die in der vergangenen Woche getagt hat und die überwiegend mit grünen Landesministern bzw. -ministerinnen besetzt ist, hat ja ähnliche Vorstellungen geäußert. Ich denke, auch dieser Zeitpunkt ist bewusst gewählt worden. Wir halten jedenfalls nichts davon, mit Verfahrenstricks und Falschbehauptungen ohne Not ein an sich bewährtes Verfahren umzukrempeln. Gewonnen und verbessert wird jedenfalls mit Ihren Vorschlägen nichts. Verlierer wären allerdings wir, die Bundestagsabgeordneten, die als Mitglieder des Richterwahlausschusses die Wahlen durchführen.

Wir müssen uns doch zunächst die Frage stellen, warum das Richterwahlverfahren so ist, wie es ist. Für die Wahl der Bundesrichter gilt nicht nur Artikel 33 Absatz 2 Grundgesetz, das sogenannte Prinzip der Bestenauslese, sondern auch die von Ihnen genannte Vorschrift aus Artikel 95 Absatz 2 Grundgesetz, wonach die obersten Bundesrichter von einem aus Mitgliedern des Deutschen Bundestages und den zuständigen Landesministern bestehenden Wahlausschuss gewählt werden. Dieser Wahlakt ist, glaube ich, nicht hoch genug einzuschätzen. Denn der Verfassungsgeber hat sich im Hinblick auf den prägenden Einfluss oberster Richter auf die gesamte Rechtsordnung und die demokratische und föderale Legitimation der Richter für ein Mischsystem entschieden, das die Exekutive auf Bundes- und Landesebene sowie die Legislative bei der Berufungsentscheidung gleichermaßen beteiligt. Diese Entscheidung ist, glaube ich, nach wie vor richtig. Die Berufung von Bundesrichtern soll gerade keine sozusagen beamtenrechtliche Entscheidung sein. Vielmehr geht es darum, die beiden Vorschriften der Artikel 33 und 95 in ein Verhältnis der praktischen Konkordanz zu bringen. Das Wahlelement soll genauso Berücksichtigung finden wie das Prinzip der Bestenauslese. Das ist mit dem Richterwahlgesetz in seiner jetzigen Form gut gelungen. Bei Ihren Vorschlägen wäre das nach meiner festen Überzeugung nicht mehr der Fall. Das Ganze wäre auch gar nicht mehr handhabbar.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD])

Ich möchte noch auf einige andere Punkte eingehen.

Sie wollen, dass freie Stellen an den Bundesgerichten ausgeschrieben werden und dass es ein Interessenbekundungsverfahren gibt. Über die Auswahl der Kandidaten und die Aufnahme in eine Vorschlagsliste sollen dann merkwürdigerweise aber nur die Landesministerien entscheiden. Dass es um die Besetzung von Stellen an Bundesgerichten geht, scheint bei Ihnen keine Rolle zu spielen. Ebenso werden die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die Mitglieder im Richterwahlausschuss sind, ihres Vorschlagsrechtes, das sie jetzt haben, beraubt. Sie sollen die Bundesrichter zwar wählen, aber ausschließlich Kandidaten, die von den Ländern vorgeschlagen wurden.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie falsch verstanden, Herr Kollege! – Gegenruf des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD]: Ich habe es auch so verstanden!)

Da entsteht eine Unwucht, die offensichtlich nicht mit den Intentionen des Grundgesetzes in Einklang steht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ebenso ist offensichtlich, dass das von Ihnen vorgeschlagene Verfahren bei Konkurrentenstreitigkeiten praktisch nicht mehr händelbar wäre. So ein offenes Bewerbungsverfahren würde ja dazu führen, dass sich jeder Jurist mit zweitem Staatsexamen bewerben könnte. Jeder, der dann nicht in die Vorschlagsliste aufgenommen würde, könnte schon auf dieser Stufe eine Konkurrentenklage erheben

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)

– ja, selbstverständlich – mit der Folge, dass das ganze Verfahren dadurch nicht mehr weiter fortgeführt werden könnte. Es würde also zu einer Nichtbesetzung auf unbestimmte Zeit kommen. Das Chaos wäre vorprogrammiert.

(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!)

Es stellt sich auch die Frage, welche Folgerungen sich aus den angestrebten Änderungen für den Wahlakt ergeben sollen. Soll der Wahlausschuss verpflichtet werden, bestimmte Kandidatinnen und Kandidaten zu wählen? Kann nach Ihrem Vorschlag die Wahl überhaupt geheim bleiben? Die Verpflichtung zur Wahl einer bestimmten Kandidatin oder eines bestimmten Kandidaten würde den Charakter der Wahl natürlich absolut entwerten. Auch der geheime Charakter der Wahl sollte nach meiner Auffassung unbedingt erhalten bleiben und geschützt werden, weil nur so verhindert werden kann, dass Druck von dritter Seite auf die Wählenden ausgeübt wird. Die Geheimheit der Wahl schützt die gleiche Entscheidungsfreiheit aller Mitglieder des Richterwahlausschusses.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Daran wollen wir auch nichts ändern!)

Schließlich stellt sich die Frage, ob die einzelne Wahl­entscheidung dann nicht konsequenterweise auch begründet werden müsste, was dem Charakter einer Wahl diametral entgegenstehen würde.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu haben wir nichts, aber auch gar nichts gesagt!)

Wie soll man das bei einer Wahl machen, die geheim durchgeführt wird, mit unterschiedlichen Mehrheiten? Wer soll dann die Begründung liefern? Es ist einfach nicht ausgegoren.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben keine Begründung gefordert, Herr Kollege!)

Sie hätten vorher vielleicht mit mehr Leuten sprechen sollen, als Sie es tatsächlich getan haben.

Es hat den Eindruck, dass die Qualifikation nach Ihrem Modell keine Rolle mehr spielen soll. Auch ich bin dafür, dass mehr Frauen als Bundesrichterinnen gewählt werden. Aber Ihr Vorschlag führt dazu, dass ein Mann und eine Frau als Kandidaten gegenübergestellt werden. Was passiert mit dem Kandidaten oder der Kandidatin, die oder der nicht gewählt wird? Nimmt sie oder er dann an weiteren Wahlakten nicht mehr teil? Es ist jedenfalls ein Irrweg.

Ich bestreite schließlich, dass in dieser Hinsicht der von Ihnen behauptete Reformbedarf überhaupt besteht.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, da gehen Sie fehl!)

Wir haben – das rührt aus der Vergangenheit – sicherlich noch, Frau Künast, ein Defizit an weiblichen Bundesrichtern. Wir haben aber gerade im letzten Jahr – die Tendenz ist klar erkennbar – mehr Frauen zu Bundesrichterinnen gewählt – jedenfalls beim BGH – als Männer zu Bundesrichtern. Das zeigt: Wir wollen das in der Vergangenheit entstandene Defizit sukzessive bereinigen.

Frappierend ist bei Ihnen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Grünen, der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Ich will hier und heute nicht das Jahr 2001 in das Bewusstsein rufen. Aber: Damals wurde ein von Ihnen protegierter Kandidat, der als ungeeignet bezeichnet wurde, zum Bundesrichter gewählt; sicherlich kein Ruhmesblatt.

Ich komme zum Ausgangspunkt meiner Ausführungen zurück. Mit Ihrem Antrag soll offenbar Stimmung gemacht werden für das anhängige Verfassungsbeschwerdeverfahren.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch einmal: Das ist wirklich absurd!)

Aber ich bin mir sicher, dass sich das Bundesverfassungsgericht von so einem vordergründigen Versuch nicht wird beeinflussen lassen. Die Auswahl der Bundesrichterinnen und Bundesrichter in den vergangenen 60 Jahren hat deutlich gemacht, dass das bestehende Richterwahlgesetz zu einer hohen Qualität des Richterpersonals führt. Aus all dem folgt für mich ganz klar: Ihre Vorschläge sind untauglich. Wir sollten es bei dem bewährten Verfahren belassen.

Besten Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Zustimmung bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Helmut Brandt. – Der nächste Redner in der Debatte: Dr. Matthias Bartke für die SPD.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6908245
Wahlperiode 18
Sitzung 176
Tagesordnungspunkt Reform der Wahl für die obersten Bundesgerichte
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