09.06.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 176 / Zusatzpunkt 4

Detlef SeifCDU/CSU - Reform der Wahl für die obersten Bundesgerichte

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Mit Artikel 95 des Grundgesetzes wollte der Parlamentarische Rat nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus ein ganz bestimmtes Wahlverfahren auf den Weg bringen, an dem nicht nur die Richter beteiligt sind, an dem nicht nur die Exekutive beteiligt ist. Es sollte ein Mischsystem werden. Das Vertrauen in eine effektive Justiz war durch die Erfahrung im Nationalsozialismus völlig erschüttert. Erstes Ziel war deshalb, die Unabhängigkeit der Justiz und die Qualität in der Rechtsprechung wiederherzustellen.

Bei dem Konzept der Richterberufung nach dem Grundgesetz handelt es sich – Kollege Brandt hat das schon unter Hinweis auf die anderslautenden Regelungen des Beamtenrechts dargelegt – gerade nicht um ein typisches Auswahlverfahren mit einer typischen Bewertung, mit einer vorhergehenden Bewerbung und mit einer abschließenden einheitlichen Verwaltungsentscheidung. Vielmehr legt das Grundgesetz fest: Es ist eine echte Wahlentscheidung. Hier hat man die Wahl zwischen verschiedenen Bewerbern, und das muss man sich immer wieder vor Augen halten.

Die Berücksichtigung von Interessenten bei der Wahl zum Bundesrichter setzt voraus – das ist gesagt worden –, dass ein entsprechender Vorschlag von einem Mitglied des Bundesrichterwahlausschusses oder auch vom zuständigen Bundesminister vorliegt; soweit besteht Klarheit. Das Bundesjustizministerium, Frau Keul, übermittelt den Mitgliedern aber auch – und das muss man dazusagen – erarbeitete Wahlvorschlagsbögen, die verschiedenste Rubriken enthalten: Dienststellung, Beruf, Zeitpunkt und Ergebnis der juristischen Staatsprüfung, Laufbahn, Ernennungen, Beförderungen, Eingruppierungen, bisherige berufliche Tätigkeit – auch die Nachweisung möglicher wissenschaftlicher Betätigung und Veröffentlichungen, was Sie jetzt fordern, ist Praxis – sowie Hauptämter und Nebentätigkeiten. Dazu kommen sämtliche Beurteilungen und auch die Stellungnahme – dass sie abgegeben wird, ist der Regelfall – des zuständigen Präsidialrats.

Aufgrund des Spannungsverhältnisses zwischen Artikel 95 Grundgesetz – noch einmal: echte Wahl – und des individuellen Anspruchs eines Bewerbers, eines Deutschen, berücksichtigt zu werden, wenn Eignung, Befähigung und fachliche Leistungen entsprechend vorliegen und die sachlichen und persönlichen Voraussetzungen mitgebracht werden, haben wir es mit einer ganz besonderen und sicherlich auch nicht einfachen Entscheidung zu tun.

Der Richterwahlausschuss hat ein weites Bewertungs- und Auswahlermessen. Er kann insbesondere auch – und das findet sich in keinem Katalog, in keinem Schema wieder – die Persönlichkeit des Betroffenen mit einbeziehen. Immerhin handelt es sich um Ämter bei den höchsten Gerichten in der Bundesrepublik Deutschland. Da sind Persönlichkeit und Charakter ein ganz wichtiges Merkmal.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

– Frau Keul, Sie rufen: „Genau!“, aber ich bin noch nicht fertig mit meinen Ausführungen. – Der Hauptgesichtspunkt, der auch historisch begründet war, war der, dass man in diesem Mischsystem die Beteiligung der Politik einbauen wollte, weil man gesagt hat: Durch die Beteiligung demokratisch legitimierter Politiker erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit der positiven Einstellung der Richter zum Gesamtsystem.

Nun ist es traurig, Frau Keul, wenn Minderheiten nicht in jedem Fall berücksichtigt werden. Aber das nennt man Demokratie, wenn die Mehrheit, auch im Richterwahlausschuss, entscheidet, welche Personen nun gewählt werden. Sie haben das sehr negativ und nachteilig dargestellt, aber genau das ist schon bei der Entstehung dieser Vorschrift Absicht gewesen.

Eine verbindliche Ausschreibung ist im Übrigen auch gar nicht erforderlich. Was Sie schildern, ist reine Theorie; denn der Bundesminister der Justiz gibt vor einem entsprechenden Wahltermin erstens die freien Stellen und zweitens das Datum bekannt. Wer noch nicht einmal in der Lage ist, auf die Homepage des Ministeriums zu gucken, und auch kommunikativ nicht in der Lage ist, sich bei einem der bekannten Mitglieder des Richterwahlausschusses zu melden und zu zeigen, dass er die Befähigung und die Eignung hat, dass er Interesse hat, dass er brennt für dieses Amt, der ist, ehrlich gesagt, auch nicht geeignet, dieses Amt auszuüben.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist sehr praxisorientiert, was Sie da sagen!)

Bereits heute besteht die Möglichkeit für jeden, der Interesse hat, sich an geeigneter Stelle zu bewerben; ob er berücksichtigt wird, das ist eine andere Frage. Insoweit sind Ihre Ausführungen nicht zutreffend.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie fordern ein einheitliches Anforderungsprofil, ich nenne das einmal „Schema“. Ich habe schon gesagt, dass man Charakter und Persönlichkeit im Wahlvorgang eben nicht objektiv bewerten kann. Entscheidend ist der subjektive Eindruck der Mitglieder des Richterwahlausschusses, und den können Sie nicht in ein Schema pressen. Genau hier liegt das Problem: Einerseits haben die Mitglieder des Richterwahlausschusses aufgrund ihres subjektiven Eindrucks über Charakter und Persönlichkeit zu entscheiden, andererseits muss natürlich auch all das, was in der Personalakte und den Begleitunterlagen enthalten ist, berücksichtigt werden. – Frau Keul hat wohl eine Zwischenfrage.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Seif ist so groß, dass ich Frau Keul nicht gesehen habe. – Sie erlauben also die Zwischenfrage. – Frau Keul, bitte.

Vielen Dank für die Erlaubnis zur Zwischenfrage. – Sie haben betont, wie wichtig die Persönlichkeit, der Charakter des Menschen ist, der sich bewirbt. Aber wie soll dies einfließen, wenn dieser Mensch niemals die Gelegenheit hat, sich dem Wahlausschuss vorzustellen oder mit den Berichterstattern zu sprechen? Das findet ja alles nicht statt. Wir würden das ja gerne fördern. Natürlich entscheidet am Ende die Mehrheit – das haben wir gar nicht infrage gestellt –; wir würden nur gerne im Vorfeld mit Ihnen über die Kandidaten reden. Das kann doch nicht zu viel verlangt sein.

Frau Keul, wir befinden uns im Zeitalter der Kommunikation. Wir haben soziale Netzwerke; wir sprechen miteinander.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Soziale Netzwerke?)

Ich erwarte von jemandem, der Bundesrichter werden will – ein Bundesrichter muss kommunikativ sein und sich mit der Materie vernünftig auseinandersetzen –, dass er in der Lage ist, herauszufinden – das ist veröffentlicht –, wer Mitglied des Richterwahlausschusses ist. Er kann gerne 32-mal anrufen und sich persönlich vorstellen.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die schicken wir alle zu Ihnen! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das soll jetzt praxisnah sein?)

Machen wir uns doch nichts vor: Die Verfahrensvorschriften verbieten es nicht, dass Gespräche geführt werden, um sich bekannt zu machen.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich finde, das hört sich sehr demokratisch an!)

Es ist doch bei jedem Wahlvorgang so, dass der Bewerber, dass derjenige, der etwas erreichen möchte, auch kommunikativ tätig ist. Das ist die Praxis. Wer sich bekannt machen will, wer seine Leistung, Eignung und Befähigung vermitteln will und für das Amt brennt, der hat jede Möglichkeit dieser Welt;

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie doch nicht im Ernst!)

aber Eigeninitiative wird vorausgesetzt. Es ist nicht so, dass wir Personen mit der Bahre zur Kandidatur tragen. Wer Bundesrichter werden will, muss eine entsprechende Persönlichkeit und entsprechende Fähigkeiten mitbringen und geeignete Wege finden, sich ins Gespräch zu bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Bei der Entscheidung des Richterwahlausschusses handelt es sich um den Wahlvorgang eines Gremiums. Daran sind mehrere Personen beteiligt, die nicht einheitlich und in geheimer Wahl entscheiden. Es ist klar, dass jedes einzelne Mitglied des Richterwahlausschusses andere Gründe für seine Entscheidung hat, dass die subjektiven Einschätzungen unterschiedlich sind. Das ist auch der Grund, warum bei einer Wahl mit Ja und Nein abgestimmt werden kann. Das ist so gewollt. Wenn wir bei diesen Konkurrenzstreitverfahren aber eine verwaltungsgerichtliche Praxis vorfinden, die die Ausführungen der Präsidialräte mehr oder weniger wie in Stein gemeißelt berücksichtigt, aber das gesamte Abwägungsmaterial, das in der geheimen Wahl berücksichtigt wurde, nicht heranzieht, weil es nicht herangezogen werden kann, dann liegt es in der Natur der Sache, dass die Entscheidungen der Gerichte bei Konkurrentenklagen oftmals falsch sind. Ich bin froh, dass das jetzt beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist. Ich wünsche mir klare Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Spannungsverhältnis zwischen Artikel 95 und Artikel 33 des Grundgesetzes.

Wir haben jetzt über die Richterauslese gesprochen. Da kann man unterschiedlicher Meinung sein – es gibt auch die unterschiedlichsten Verfahren –; aber so schlecht kann die Auslese in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten nicht gewesen sein. Die obersten Gerichtshöfe des Bundes – Frau Keul, Sie haben die einzelnen Gerichte benannt; ich möchte das gerne wiederholen –, also der Bundesgerichtshof, das Bundesverwaltungsgericht, der Bundesfinanzhof, das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht, genießen ein hohes Ansehen nicht nur in Deutschland, sondern auch international bezogen auf Unabhängigkeit und Qualität der Rechtsprechung. Ich glaube, einen großen Anteil an dieser Qualität haben die Richter, die bei diesen obersten Gerichtshöfen arbeiten. An dieser Stelle sei es erlaubt, diesen Richtern ausdrücklich Dank für die qualitativ hochwertige Arbeit auszusprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])

Vielen Dank, Herr Kollege. – Die nächste Rednerin ist Sonja Steffen für die SPD.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6908308
Wahlperiode 18
Sitzung 176
Tagesordnungspunkt Reform der Wahl für die obersten Bundesgerichte
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