10.06.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 177 / Tagesordnungspunkt 29

Wolfgang GunkelSPD - Bundespolizeibeauftragtengesetz

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich recht schwer, hier als Polizist zu sprechen, wenn sich zuvor bereits drei Polizisten geäußert haben. Ich kann nahtlos an das anschließen, was ich in der Debatte über einen Vorschlag der Linksfraktion, den sie vor einem Jahr eingebracht hat, gesagt habe. Damals kam ich zu dem Ergebnis, dass der Vorschlag sehr diskussionswürdig ist, dass man darüber parteiübergreifend reden sollte. Das ist auch heute noch meine Meinung.

Wie ist das Ganze entstanden? Wir alle wissen, dass der NSU-Untersuchungsausschuss zu dem katastrophalen Ergebnis kam, dass bei der polizeilichen Arbeit erhebliche Fehler gemacht worden sind. Aus diesem Grund hat meine Fraktion ein Sondervotum abgegeben und genau das gefordert, worüber wir heute diskutieren, eine unabhängige Beschwerdestelle, die als Ombudsstelle für die Bürger fungieren soll, aber auch als interne Beschwerdestelle zur Aufarbeitung polizeilicher Beschwerden. Dies entspricht im Wesentlichen dem, was hier vorgelegt worden ist.

Einige Punkte, die angeführt werden, sind wirklich diskussionswürdig. Zu dieser Diskussion kann ich etwas beitragen. Zunächst einmal will ich aber sagen, dass die Anregung, die von den Vorlagen ausgeht, unbedingt notwendig ist. Kollege Baumann, in Rheinland-Pfalz gibt es seit 2014 eine entsprechende Stelle. Die Zahl der dort auflaufenden Fälle beträgt etwa 2 000. Davon hat der Beauftragte 300 zurückgewiesen. Es gibt also auch die Möglichkeit, Fälle zurückzuweisen, die nicht in die Kompetenz des Beauftragten fallen. Das gilt beispielsweise für Fälle, um die sich ein Petitionsausschuss kümmern kann. Diese Fälle muss der Polizeibeauftragte bzw. der Bürgerbeauftragte nicht abarbeiten, sondern in diesen Fällen kann er den Bürger beispielsweise an die Petitionsausschüsse verweisen.

Darum geht es in diesem Zusammenhang aber nicht. Hier geht es um ein Hilfsorgan, ein Hilfsinstrument des Bundestages, um einen Beauftragten, der mehr Befugnisse haben soll als ein normaler Beschwerdebearbeiter, der in einer Polizeidienststelle tätig ist. Dahinter steht ein ganz spezieller Auftrag, nämlich auch bei schwerwiegenden Vorkommnissen Ermittlungsarbeit zu übernehmen, Akteneinsicht zu nehmen und Ähnliches mehr. Seine Befugnisse würden also ein bisschen weiter reichen.

Von dieser Warte aus betrachtet, muss man sagen, dass es notwendig ist, diese Stelle einzurichten. Eine unabhängige Stelle wird gebraucht, weil bestimmte Beziehungen unter den Kollegen beispielsweise bei Großeinsätzen dazu führen, dass recht unterschiedliche Meinungen über die Rechtmäßigkeit einer Handlung zustande kommen.

Was will ich damit sagen? Ich möchte ein kleines Beispiel geben. Vor einigen Jahren ist Folgendes passiert – ich glaube, es ist denkbar, dass es so etwas auch heute noch gibt –: Es geht um einen Einsatz, bei dem ein Haus geräumt werden soll, die Hochschule der Künste. Die Polizei muss nach langen Auseinandersetzungen, die recht heftig verlaufen, über das Dach einsteigen und dieses Haus räumen. Sechs Etagen sind geräumt – ich fasse mich kurz –, und in dem Rondell vor dem Haus bildet sich eine Gruppe. Ein Mensch tritt auf einen Beamten zu und sagt, dass er die Rechtmäßigkeit überprüfen wolle, und fragt, welche Rechtsgrundlage die Polizei für ihren Einsatz habe. Der Polizeibeamte holt aus, schlägt ihm mit der Hand ins Gesicht und sagt: Das ist die Antwort. – Durch das Tohuwabohu, das entsteht, und den neuen Auftrag an die Gruppe verläuft sich das Ganze, und die Sache ist zunächst einmal erledigt.

Was passierte danach? Es wurde selbstverständlich Anzeige erstattet. Am nächsten Tag erfuhren wir von dem Beamten, dass darüber sicherlich nachgedacht wurde. Dann tauchte eine Liste mit acht oder neun Leuten auf, die in der Gruppe dort tätig gewesen sein sollen, und sie sollten unterschreiben, dass sie eine Straftat nicht haben feststellen können. Ein Beamter, der dort betroffen war, sagte, dass er das nicht unterschreibt. Der Vorgesetzte sagte zu ihm: Dann warten wir einmal, bis der Chef kommt, und dann wirst du ja schon sehen.

Der Chef war nicht da und erschien erst drei Tage später. Der Beamte ging dorthin, und der erfahrene Chef sagte ihm gleich: Überlegen Sie sich ganz genau, was Sie hier sagen. Sie wissen, dass Ihnen ein Verfahren wegen Strafvereitelung im Amt droht, wenn Sie etwas gesehen und es nicht zur Anzeige gebracht haben.

Das ist eine sehr schwierige Situation, und das wollte ich einmal so drastisch deutlich machen.

Was machte er nun? Er überlegte: Entweder gebe ich zu, dass ich da etwas gesehen habe, aber dann bekomme ich eine Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt, oder ich sage, dass ich nichts gesehen habe, wodurch ich eventuell heil aus der Situation herauskomme. Er entschied sich für Letzteres und wurde gefragt: Warum konnten Sie es dann nicht unterschreiben? Die Antwort war: Wenn ich nichts gesehen habe, kann ich auch nichts unterschreiben.

So ist das gewesen. Man kann also sagen: Glück gehabt, dass der Vorgesetzte das auch so akzeptiert hat.

Wie ist das Verfahren weitergegangen? Es interessiert ja auch noch der Abschluss. – Der Betroffene ist identifiziert worden, weil jemand eine Kamera hat mitlaufen lassen, und da es ein sehr warmer Tag war, war sein Visier hochgeklappt, sodass er eindeutig zu identifizieren war. Er ist dann seiner entsprechenden Strafverfolgung zugeführt worden.

Warum erwähne ich das? Ich will damit deutlich machen, wie schwierig es für die Kollegen in solchen Fällen mitunter ist, all das „durchzuziehen“, was normalerweise erforderlich ist.

Deshalb finde ich es besonders gut, dass in dem Gesetzentwurf der Grünen steht, dass die Frist, die für jeden gelten soll, der mit einer solchen Sache konfrontiert worden ist, drei Wochen betragen soll. Man kann darüber reden, ob es zwei oder drei Wochen sind, aber das spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass die Beamten eine Karenzzeit haben, während der es ihnen möglich ist, sich auch nachträglich entsprechend zu äußern, ohne sich der Gefahr einer Strafverfolgung auszusetzen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich möchte auch noch auf Folgendes hinweisen: Es gibt interne und externe Beschwerdestellen; Rheinland-Pfalz hatte ich in diesem Zusammenhang schon erwähnt. Die Berliner Beschwerdestelle erhält zum Beispiel über 2 000 Beschwerden pro Jahr. Das ist schon eine große Zahl an Beschwerden, die zu bearbeiten sind. Die Zahl der Beschwerden, die die Beschwerdestelle der Bundespolizei erhält – und um sie geht es hier ja; da haben Sie völlig recht –, liegt weitaus darunter. Ein Grund dafür ist zum Beispiel, dass Unterstützungskräfte natürlich immer erst in zweiter Linie ins Blickfeld geraten. So war es auch in Köln und Stuttgart. Somit sind die Fallzahlen dort recht gering. Das kann sich aber jederzeit ändern.

Der Bundespolizeipräsident hat also dankenswerterweise eine interne Beschwerdestelle eingerichtet. Das ist löblich und auch zu begrüßen. Sie erfüllt aber nicht die Aufgabe, die hier vorgesehen ist und die ich auch für dringend notwendig halte.

Ich möchte jetzt noch ein paar Worte zu einer anderen enthaltenen Bestimmung sagen:

Ich habe ein Problem mit § 13 Absatz 2 des Gesetzentwurfs, in dem die parallele Ermittlungszuständigkeit für Strafverfahren, Disziplinarverfahren und die Verfahren, die der Bundespolizeibeauftragte führen soll, vorgesehen ist. Man müsste noch einmal darüber sprechen, wie das ausgestaltet werden soll. Das müsste für meine Begriffe klarer geregelt werden. Insofern kann ich nur sagen: Es wäre schön, wenn wir eine intensive Debatte darüber führen könnten.

Ich bin ganz und gar der Meinung, dass man noch einmal alle Beteiligten anhören sollte – die Bundespolizei, die Gewerkschaften, den Landesbeauftragten in Rheinland-Pfalz und ähnliche Personen, die zur Sache etwas sagen können –, um noch einmal über diesen ganzen Vorgang zu reden. Ich glaube, dann könnte man von einem vernünftigen Ergebnis ausgehen.

Heute haben wir die erste Lesung. Es ist üblich, dass danach das Ganze an die Ausschüsse überwiesen wird. Das wird auch jetzt der Fall sein. Die SPD jedenfalls begrüßt diesen Vorschlag. Ich hoffe, wir werden uns dann in den folgenden Wochen damit tiefer auseinandersetzen können.

Ich möchte zum Schluss noch sagen, damit keiner glaubt, ich erhöbe hier einen Generalverdacht gegen Handlungen der Bundespolizei, dass ich meine Kollegen sehr schätze und sehr wohl weiß, wie auch Kollege Baumann schon gesagt hat, was von der Polizei, gerade auch von der Bundespolizei, geleistet wird. Ich erinnere an Millionen von Überstunden durch die Entwicklung der letzten Monate. Auch das muss entsprechend honoriert werden.

Mir liegt es fern, darüber zu philosophieren, ob die Polizei rechtsstaatlich handelt oder nicht. Sie ist ein Rechtsstaatselement. Wenn man die Zahlen betrachtet, die immer wieder erhoben werden, um das Vertrauen in Berufsgruppen anzugeben, dann muss man feststellen, dass Feuerwehrleute, Ärzte und Polizisten bei der Bevölkerung zu 80 Prozent Vertrauen genießen – das ist schon einmal ein ganz erheblicher Wert und das schon seit Jahren –, während es andere Gruppen wie Politiker und Gewerkschafter gibt, die bei 30 Prozent herumdümpeln. Das nur zum Vergleich. Man kann daran sehen: Die Polizei hat ihren Stellenwert, und der Bürger hat keinerlei Zweifel an ihrer Arbeit.

Ich fasse zusammen: Der Gesetzentwurf ist insgesamt diskussionswürdig. Nach der Überweisung an die Ausschüsse wird man sehen, ob etwas daraus zu machen ist.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE])

Vielen Dank. – Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat jetzt der Kollege Dr. Volker Ullrich, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mal sehen, was der Herr Ullrich jetzt dazu sagt!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6910726
Wahlperiode 18
Sitzung 177
Tagesordnungspunkt Bundespolizeibeauftragtengesetz
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