Jürgen HardtCDU/CSU - Vereinbarte Debatte zum 75. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Werte Gäste auf der Ehrentribüne! Als vor 75 Jahren Hitler-Deutschland über die Sowjetunion herfiel – der bis heute vielleicht brutalste Feldzug der Weltgeschichte: weit über 3 Millionen Soldaten, 600 000 Fahrzeuge von der Ostsee bis zu den Karpaten – mit dem Ziel, das Land vollständig zu unterwerfen, das Land freizuräumen, damit die Hybris vom Volk ohne Raum neuen Platz bekommt, die Menschen in der Sowjetunion als Arbeitssklaven zu unterwerfen, die politisch Andersdenkenden zu vernichten, haben wir die vielleicht tiefste und dunkelste Stunde der deutschen Geschichte erlebt. Deswegen ist es gut, dass der Deutsche Bundestag 75 Jahre nach diesem Tag der vielen Opfer, der 27 Millionen Bürger der Sowjetunion gedenkt, die Opfer dieses von Deutschland entfesselten, brutalen Krieges geworden sind. Jedes zweite Opfer des Zweiten Weltkrieges war ein Bürger der Sowjetunion. Wir können uns 75 Jahre danach vor den Opfern nur verneigen.
(Beifall im ganzen Hause)
Es war als Überfall geplant, der nach wenigen Wochen zur Niederwerfung der Sowjetunion führen sollte. Dann sollte der Blick gewendet werden Richtung England. In einem dritten Schritt sollte der große Konflikt um die Weltherrschaft mit Amerika gesucht werden. Welch eine schaurige Vorstellung, wenn das in irgendeiner Weise in Erfüllung gegangen wäre! Es ist dem Volk der Sowjetunion zu verdanken, dass es trotz der unsäglichen Opfer und Entbehrungen, die es auf sich nehmen musste, der Übermacht der deutschen Wehrmacht und der SS standgehalten hat und dass es es geschafft hat, diesen Angriff zurückzuwerfen. Die Menschen in der Sowjetunion haben wesentlich dazu beigetragen, dass Deutschland im Jahre 1945 von der Nazidiktatur befreit wurde. Dafür danken wir den Bürgerinnen und Bürgern der Sowjetunion, die daran mitgewirkt haben. Auch das darf hier genannt werden.
(Beifall im ganzen Hause)
Herr Gysi, Sie haben einige Dinge aus der Geschichte angesprochen und diese sicherlich richtig dargelegt. Allerdings möchte ich Ihnen an einem Punkt massiv widersprechen. Dass Sie das Gedenken an den Überfall auf die Sowjetunion in Zusammenhang mit NATO-Einsätzen im ehemaligen Jugoslawien bringen, die zum Ziel hatten, massenweises Ermorden von Menschen und ethnische Säuberungen zu verhindern, finde ich, offen gesagt, weder der Geschichte noch Ihrem Intellekt angemessen. Das möchte ich in aller Klarheit zurückweisen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Lassen Sie mich den Blick auf die Gegenwart und die Zukunft lenken. Wir haben leider die Situation, dass die Völker der ehemaligen Sowjetunion nicht in Frieden und Eintracht miteinander leben, dass einige im Konflikt zueinander stehen. Das ist anders als bei uns im vereinigten Europa, wo wir mit unseren Kriegsgegnern ausgesöhnt sind, wo wir uns vierteljährlich auf der Ebene der Regierungschefs treffen und im Europäischen Parlament, im Rat und in der Kommission unsere politische Zukunft gemeinsam gestalten. Wir haben unter den Völkern der Sowjetunion Konflikte wie zum Beispiel den Konflikt Russlands mit der Ukraine, den Konflikt Russlands mit Georgien, den Konflikt Armeniens mit Aserbaidschan. Über andere Dinge möchte ich hier nicht weiter reden. Das ist eine Belastung nicht nur für die Menschen im Osten Europas, sondern auch für Europa insgesamt. Der Bundesaußenminister hat das richtig ausgeführt: Der große gemeinsame Bogen aller Europäer ist, dass Konflikte friedlich entschieden werden müssen. Gewaltsame Grenzverletzungen sind kein Mittel der Politik. Leider hat Russland – konkret im Fall Ukraine, Krimbesetzung und Einmischung in der Ostukraine – gegen diesen Grundsatz verstoßen. Darauf müssen wir angemessen reagieren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Es hat am Wochenende missverständliche Äußerungen gegeben, durch die der Eindruck erweckt wurde, wir hätten in Deutschland oder bei der NATO ein Defizit im Hinblick auf die Bereitschaft, diese Konflikte auf dem Wege des Dialogs mit Russland zu überwinden. Ich finde, der Außenminister sollte sein eigenes Licht nicht unter den Scheffel stellen; denn er ist einer derjenigen, die maßgeblich den Dialog mit Russland führen, auch im Namen der NATO und im Namen zahlreicher anderer Formate, in denen wir uns um die Bewältigung der Konflikte in der Welt bemühen. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich sagen, dass die NATO auf Russland zugeht.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ach! Ach!)
Ich erwähne die Wiederaufnahme der Gespräche im NATO-Russland-Rat und das konkrete Angebot, auch vor dem Warschauer Gipfel mit Russland zu sprechen. Die Russen haben jetzt gesagt, sie würden das gerne nach dem Gipfel machen. Ich sehe es als positives Zeichen, dass die NATO gesprächsbereit ist und die NATO-Mitgliedstaaten auch in vielen anderen Formaten mit den Russen im Dialog sind. Insofern sind wir zuversichtlich, dass der Konflikt letztendlich auf diesem Wege zu lösen ist.
Dass wir uns auf der anderen Seite rückversichern müssen, dass wir unseren Partnern Rückendeckung geben müssen, ist auch richtig – wenngleich das Bild des Säbelrasselns meines Erachtens im Zusammenhang mit der NATO völlig unangemessen ist.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich habe zuerst gedacht, ich sei vielleicht zu empfindlich. Aber wenn man im Internet einmal schaut, was Säbelrasseln bedeutet, dann liest man: Es ist aggressives Angriffsgehabe.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Genau! Genau das ist es!)
Das ist im Zusammenhang mit der NATO völlig unangemessen. Das Bild des Igels wäre besser. Herr Außenminister, wenn Sie das Bild verwendet hätten, dass sich die NATO nicht einigeln, sondern gesprächsbereit bleiben soll, dann hätten Sie für diese Äußerungen vielleicht auch den Beifall der Union bekommen. Aber Sie haben ja heute einiges dazu gesagt, um die Sache klarzustellen.
Ich glaube, dass wir auf dem Weg fortfahren sollten. Ich glaube, dass wir die Hand gegenüber Russland und den Völkern der ehemaligen Sowjetunion ausgestreckt lassen sollten. Ich glaube, dass uns die Zusammenarbeit mit Osteuropa in eine gute Zukunft führt und dass der Deutsche Bundestag mit der heutigen Debatte einen kleinen Beitrag dazu leistet, dass wir die Folgen des Krieges endgültig überwinden.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun die Kollegin Marieluise Beck das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6944634 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 178 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zum 75. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion |