22.06.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 178 / Tagesordnungspunkt 4

Elisabeth MotschmannCDU/CSU - Vereinbarte Debatte zum 75. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit insgesamt 60 bis 70 Millionen Toten steht der Zweite Weltkrieg für die Tragödie des 20. Jahrhunderts schlechthin. 27 Millionen Tote – das ist wiederholt genannt worden – musste allein die Sowjetunion beklagen, die wir vor 75 Jahren überfallen haben. Nicht einbezogen in diese Zahlen der Toten sind die Männer und Frauen, Kinder und Alte, die unter diesem Krieg massiv zu leiden hatten. Hunger, Kälte, Krankheit, Flucht und Vertreibung zählen zur traurigen Bilanz dieses Krieges. Ebenfalls zur Bilanz dieses Krieges zählt ein grausamer Rassismus und Antisemitismus.

Deutschland hat diesen Krieg 1941 – eigentlich aber schon 1939 – begonnen. Unser Volk hat damals große Schuld auf sich geladen und großes Leid über ganz Europa gebracht. Das steht vor der Klammer jeder Diskussion und Erinnerung an diese Zeit. Diese Vergangenheit verjährt nicht.

Die Grausamkeit dieses Krieges stand mir schon als Kind deutlich vor Augen. Mein Vater hat als ganz junger Soldat – leider! – an diesem Krieg teilgenommen; vielleicht musste er teilnehmen. Er wurde mit 27 Jahren schwer verwundet: Ein Bein wurde amputiert. – Die Kriegsschuldfrage stellt sich einem Kind noch nicht. Aber eines hat sich fest in meine Seele eingebrannt: Krieg darf es niemals wieder geben, schon gar nicht von deutschem Boden aus.

(Beifall im ganzen Hause)

Krieg kann kein Mittel zur Lösung von Konflikten zwischen Völkern sein. Hierin liegt die Mahnung für uns heute. Krieg ist kein Mittel der Politik.

Wenn das richtig ist, darf der Gesprächsfaden, der Dialog zwischen den Völkern niemals abreißen. Das gilt unabhängig davon, ob uns ein Regime, ein Staatsoberhaupt gefällt oder nicht. Politische Verhandlungen sind tatsächlich alternativlos, und das, Herr Außenminister, bestreitet, glaube ich, niemand hier im Raum. Diese Balance zwischen Dialog und Abschreckung muss gehalten werden. Hierfür wird von unserer Seite viel getan. Mit Blick auf die Zukunft kann die Vergangenheitsbewältigung – auch das will ich hier noch einmal deutlich sagen – durch den Austausch von Studenten und Schülern gut vorangebracht werden; denn das trägt zur Völkerverständigung bei. Unsere kommenden Generationen werden es dann im Dialog leichter haben.

Krieg ist kein Mittel der Politik. Leider sehen das nicht alle so. Die vielen Krisen und Kriege in der Welt zeigen, dass Präsidenten, Diktatoren und Despoten immer wieder Kriege zur Durchsetzung ihrer Interessen führen. Assad, der IS, aber auch Putin, wenn ich an die Krim und den Donbass denke, führen uns dies täglich vor Augen. Deshalb ist es wichtig, dass wir verteidigungsbereit bleiben. Deshalb brauchen wir unsere Bundeswehr und die NATO. Deshalb müssen wir unseren Soldaten jede Unterstützung zukommen lassen. Sie sind bereit, notfalls mit ihrem Leben unseren Frieden, unsere Freiheit, unser Land und unsere Partner zu verteidigen. Deshalb habe ich das Wort „Säbelrasseln“ nicht verstanden. Das ist kein Säbelrasseln.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte mir nicht ausdenken, wie sich ein Soldat im Manöver fühlt, wenn das, was er tut, was er für uns tut, als „Säbelrasseln“ bezeichnet wird. Ich möchte mir auch nicht vorstellen, wie die osteuropäischen Länder Polen, Lettland, Estland oder Litauen reagieren, wenn sie den Eindruck bekommen, dass ihre Verteidigung als „Säbelrasseln“ bezeichnet wird. Diese schätzen Sie, Herr Bundesaußenminister. Sie zählen, wie oft Sie da waren: Sie waren in dieser Legislatur sechsmal im Baltikum. Ich glaube, Ihre Bemerkung hat leider Irritationen ausgelöst. Diese Länder bauen auf uns, auf die NATO, auf die EU. Sie haben Angst, dass auch sie Opfer des Machtstrebens ihres russischen Nachbarn werden können. Wir haben es in der letzten Woche hautnah in Narva erlebt, wo es nur diese Brücke zwischen der einen oder der anderen Seite gibt.

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg fiel vielen Menschen die Aufarbeitung zunächst schwer. Sie waren vielleicht zu sehr selbst betroffen und verstrickt in das Naziregime, als dass sie zu einer verantwortungsvollen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit hätten finden können. Inzwischen hat sich das grundlegend verändert. Deutschland hat sich dieser Verantwortung gestellt. Wir haben diesen Teil unserer Geschichte sorgfältig aufgearbeitet. Deshalb ist sie uns sehr präsent und muss sie uns und nachfolgenden Generationen präsent bleiben.

Das zeigen unter anderem die vielen Erinnerungsorte, Veranstaltungen und Publikationen. Das zeigt sich in unserer wissenschaftlichen Aufarbeitung und Forschung. Das zeigt sich im Geschichtsunterricht in unseren Schulen. Aber so wichtig es ist, die Vergangenheit als Mahnung – jetzt mahnt mich der Präsident mit Blick auf meine Redezeit – für die Zukunft wachzuhalten, so sehr gilt das Wort des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard, mit dem ich hier schließen möchte:

Das Leben kann nur mit dem Blick zurück verstanden werden, aber gelebt werden kann es nur mit dem Blick nach vorn.

Vielen Dank.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6944705
Wahlperiode 18
Sitzung 178
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zum 75. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion
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